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Der Sturz in das Gesetz des Glaubens

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Das große Werk der größten Dichterin des heutigen Deutschland, der 80jährigen Gertrud von Le Fort, hat beziehungsreiche Vorspiele, die Jahrhunderte zurück und tief in ihr allerjüngstes Schaffen hineinreichen. Auf dem Weg ihrer Ahnen, die als Hugenotten von Savoyen nach Genf flüchten, als Offiziere für Ludwig XVI. in den Tuilerien fechten, unter dem russischen Peter dienen und schließlich im Nordischen Krieg nach Mecklenburg gelangen, toben gnadenlose Kämpfe für Gott und Vaterland: sie werden Jahrhunderte später im Herz der Dichterin noch einmal aufgenommen, bis zum letzten ausgetragen und durch allumfassende, menschliche Liebe und außerirdische Gnade überwunden.

Als Gertrud von Le Fort 1924, also fast schon 50jährig, nach wohlbehüteter Jugend und schriftstellerisch-theologisch-geschichtlichen Versuchen mit den „Hymnen an die Kirche“ an die Oeffentlichkeit tritt, ist daher alles schon reif und fertig in ihr: in dem unablässigen Strom von Prosa, Lyrik, Essays und autobiographischen Skizzen, der von da an, vom ersten Teil des „Schweißtuches der Veronika“ („Der römische Brunnen“, 1928) bis zur Novelle „Die Frau des Pilatus“ (1955) strömt, ist kein Wanken und Schwanken mehr und kaum eine Stufe wert-oder ranggemäßen Gefälles festzustellen. Alle thematischen und formalen Züge und Vorzüge ihres Werkes sind im ersten Augenblick fest geprägt und unveränderlich; es ist, als ob dieses Vor-Leben nur gewartet, sich gesammelt und innerlich angereichert habe, um sich dann unablässig zu verströmen. Sinnfällig steht am Tor dieses Aufstieges der Uebertritt der Protestantin zur katholischen Kirche und damit die liebende Umfassung und Ueberwindung jahrhundertealten deutschen Sehnens, Kämpfens und Zweifeins. Denn es ist nicht so, daß diese Konvertitin fürderhin Fleißaufgaben religiöser Intoleranz und Intransigenz machen, päpstlicher als der Tapst sein wird: eher rechtet sie, bis hart an die Grenze des Mißverständnisses, mit dem Feind in der eigenen Brust, mit Härte, Lauheit und Zufriedenheit, als mit dem Bruder Gegner von einst: der protestantische Ratsherr, die blutigen Jakobiner, der schismatische Pepst und der römische Statthalter, vor allem aber der geliebte gottlose Mann Enzio sind immer Menschen, die, wie sie, auf einer Wanderung zu einem Ziel sind. Man hat dieses große Verstehen und Erbarmen da und dort als echt fraulichen Zug der Dichterin sehen und damit (wie mit der Feststellung des eindeutigen Ueberwiegens weiblicher Helden in ihrem Werk) dem literarischen Rang Gertrud von Le Forts irgendwie Abbruch tun, Grenzen ziehen wollen. Nichts wäre verfehlter als das. Die Wurzeln dieser Liebe sind ausschließlich religiös bestimmt (es sei denn, daß in diesen wildbewegten deutschen Jahrzehnten tatsächlich das tiefste religiöse Empfinden nicht in dem äußerlich überforderten, überreizten und verwirrten Mann, sondern in der standfesteren Seele der Frau zu suchen sei). Echt fraulich dagegen ist Gertrud von Le Forts instinkthafter Horror vor der Abstraktion. Wenn die vorliegende Ausgabe der erzählenden Schriften am Schlüsse des dritten Bandes die Titel aufzählt, springt es förmlich in die Augen, daß von 15 Titeln nicht weniger als drei mit den höchst gegenständlichen bestimmten Geschlechtswörtern „der, die, das“ anlauten ...

Der erste und der zweite Band gehören den großen Erzählungen, die ins Zentrum Le Fort'scher Problematik führen: „Das Schweißtuch der Veronika“ (1. Band) mit seinem gedämpften Vorspiel „Der römische Brunnen“ und der wuchtigen deutschen Tragödie der Kriegs- und Nachkriegszeit schlechthin „Der Kranz der Engel“; mußte dieses Herzstück Le Fort'schen Schaffens nicht durch alle sengenden Feuer streitbarer Verkennung gehen, ehe es rein und schlackenlos zum dauernden Besitz deutschsprachiger Dichtung wurde? — Schöpft „Das Schweißtuch der Veronika“ seine versehrende Kraft aus unmittelbarstem, bitterstem Gegenwartserleben, so zeigen die beiden Erzählungen des II. Bandes („Der Papst aus dem Ghetto“ und „Die Mecklenburgische Hochzeit“) die Dichterin auf dem Höhepunkt jener Meisterschaft, zurückliegende, Geschichte gewordene Vorgänge aus ihrer zeitgeschichtlichen Bedingtheit zu lösen und fast schmerzhaft nahe mitten in unser brennendstes Erleben zu rücken. Das Credo am Schlüsse der „Magdeburgischen Hochzeit“, tönend aus den katholischen Posaunen des „besiegten Siegers“ Tilly, ahnungsvoll und erleuchtet gehört von dem protestantischen Prediger Bake, rüttelt an allen Toren unserer Tage: „Et unam sanetam catholicam et apostolicam Ecclesiam.“ Wer Ohren hat zu hören, höre.

Zu Unrecht stehen die kürzeren Erzählungen Gertrud von Le Forts (III. Band) bisweilen im Schatten der großen zeitgeschichtlichen und geschichtlichen Romane. Der Aufbau ist streng chronologisch. Wenn trotzdem aus ihm ein sonderbares Gesetz erwächst, mag dies • kein Zufall sein. Wie wuchtige Grenzsäulen stehen Anfang und Schluß da: „Die Letzte am Schafott“ (1931), wohl die sublimste und christlichste Deutung der Schwäche und „begnadeten Angst“, die die Helden-Literatur kennt, und „Die Frau des Pilatus“ (1955), in deren Hader mit der „Rechtskirche“ und demütiger Unterwerfung noch einmal das „große. Aergernis“ aus dem „Kranz der Engel“ anklingt: stiller, so will es uns scheinen, klarer und reifer. Etwa in der Mitte steht wie ein erratischer Block die Novelle „Plus ultra“ (1950), der schönsten, weisesten und au tiefster Vorfahrentragik gespeisesten eine, aus deren Motto Alfred Focke SJ. zutreffend eine Parallele zum „magis“ der Exerzitien, zum Höchstanspruch der Nachfolge Christi zieht. Dazwischen stehen immer neue Abwandlungen des einen Themas (in das „Gesetz des Glaubens“ zu fallen „wie in ein nackendes Schwert“), reifste Stücke moderner Seelendeutung, Meisterwerke der Novellentechnik (besonders die Briefform ist virtuos gehandhabt), makellose Perlen der Sprachkunst: „Die Abberufung der Jungfrau von Barby“ (1940), „Die Opferflamme“ (1938), „Das Gericht des Meeres“ (1943), „Die Consolata“ (1947), „Die Tochter Fari-natas“ (1950), „Die Verfemte“ (1953), „Die Unschuldigen“ (1953) und „Am Tor des Himmels“ (1954). Zum Gesamtwerk der Dichterin fehlen damit nur die drei Lyrikbände (1924 „Hymnen an die Kirche“, 1932 „Hymnen an Deutschland“, 1949 „Gedichte“) sowie die spärlichen, immer aber bedeutungsvollen kleineren essayistischen und autobiographischen Schriften, von denen „Mein Elternhaus“ (1941) und „Aufzeichnungen und Erinnerungen“ (1951) auch Einblicke in die genealogische und geistige Herkunft der Dichterin geben.

Dankbar überblicken wir an dem vorliegenden Jubiläumswerk zum 80. Geburtstag Gertrud von Le Forts ein reiches ästhetisches Werk, das einen würdigen Anschluß an die bedeutende Dichterin Droste des vorigen Säkulums darstellt; ein wesentliches religiöses Werk, das gleichrangig neben die größten Schöpfer der katholischen Weltliteratur von heute tritt; ein faustisches, existentielles, universales Werk, zu dem Junge und Alte, Katholiken und Protestanten, Deutsche und Franzosen, Glaubende und Zweifelnde heute aufblicken: ergriffen und aufgescheucht; heilsam erschreckt; und wundersam getröstet.

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