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J. Roth, der Spiegelmensch seinesWachtraums

19451960198020002020

Zur neuen Gesamtausgabe seiner Werke in drei Bänden. XXVI + 891, 931, 851 Seiten. Kiepenheuer und Witsch, Köln-Berlin

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Zur neuen Gesamtausgabe seiner Werke in drei Bänden. XXVI + 891, 931, 851 Seiten. Kiepenheuer und Witsch, Köln-Berlin

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Daß noch niemandem die seelische Gemeinschaft aufgefallen ist, die in einem wichtigen Punkt zwischen Joseph Roth und Karl May vorhanden ist. Da werden zwei Menschen aus der Randschicht sehr früh angezogen vom Glanz der happy few. Sie träumen sich mit Wollust hinein in ein anderes, reicheres Leben, .- das ihnen eine Erfüllung ihrer Sehnsüchte bringt. Es besagt dabei wenig, ob der eine als überstarker, siegreicher Held in fernen Landen Abenteuer auf Abenteuer besteht und ob der andere als müder Erbe jäh aufgestiegener und allmählich herabgleitender Geschlechter die Existenz eines vornehmen „heredo", eines vergeudenden Erben durch Generationen angesammelter Kraft, nachgenießt und nachleidet. Der schöne, hoch- begabte, früh verluderte, geistreiche Sproß des galizischen Judenstädtchens war wirklich, und darin liegt seine Tragik, in der zweiten Gesellschaft. Wiens, ja im literarischen Frankreich weit mehr "zu' Hause als in jener Umwelt, in die, hiheingeboren, er auf- brach zur Flucht ohne Ende. Ihm wurde,r ihm war diö deutsche Sprache das selbstverständliche, schwerelos gefügige Ausdrucksmittel einer brodelnden Viel- fflt von. Gedanken, die allesamt immer um den e,j n e n Mittelpunkt kreisten: ein-Vaterland für den Vaterlosen, ein Heimatland für den Heimatlosen, (peborgensein für den Hinausgeschleu,derten. Da-

metaphfillher Art, diö'-nach 'einem den Bangenden, Schwankenden, Umhergerissenen.

ei Karl May ist scheinbar die Einordnung in die natürliche Kulisse vorhanden. Auch hier trügt indessen dieser Schein. Der Webersohn aus Sachsen ist izwar nichp national, doch klassenmäßig entwurzelt ' und .er findet in die“ von ihm bewunderte großbürgerliche Gesellschaft nur Einlaß um den Preis eines in zweideutig-doppeltem .Sinne frommen Betrugs, als Doktor der Philosophie von eigenen Gnaden, später und realer als authentischer Herr über ein die Millionengrenze streifendes Goldmarkvermögen, als Besitzer einer stattlichen Villa und eines noch imponierenderen schriftstellerischen Ruhms. In die eigentliche Wunschwelt seines Wähnens, dorthin, wo die Fürsten goldstrotzende Uniformen spazierentragen, die Lakaien umherwimmeln und die Geschicke der Völker durch Machtgebote entschieden werden, hat Karl May nur im Buch, noch dazu im kolportagehaften Teil seiner hundertbändigen Erzählungen, hingefunden: als strahlender Offizier Kurt, als Trapper Geierschnabel, die mit dem alten Wilhelm, mit Bismarck und mit Moltke nur so umgehen wie mit Müller und Meyer ...

Wenn aber zwei wohl nicht dasselbe, so doch das gleiche tun, so ist es in der Literatur trotzdem nicht dasselbe und keineswegs das gleiche. Die psychologische Ausgangssituation bei den beiden Traumwandlern kann noch so viele Berührungs punkte aufweisen, es bleibt der gewaltige Unterschied im Gestaltungsvermögen und in der Wortkunst. Als soziologisches und als seelenkundliches Phänomen rufen Karl May und Joseph Roth den Forscher zur Analyse einer über Raum und Zeit hinweg deutlichen Aehnlichkeit auf. Der Kritiker wird es ablehnen, dem unbeholfenen Schwulst und dem Garteri- laubenlyrismus jenes biederen Untertans, von dem Nadler mit unübertrefflicher Treffsicherheit meinte, zöge man von den Deutschen der; achtziger Jahre Nietzsche und Wagner ab, darni bleibe Karl May - er wird Sich weigern, denk ’ vergebens iri höhere Regionen schielenden Low Brough' die anmutige, in Pathos und'in .Ironie gleich maßvolle, den Leser1- massen Unbehinderte Zugänglichkeit vortäuschende, zum vollen Verständnis aber sehr große Voraussetzungen. bedingende Prosa des Oesterreichers aus Schwabendorf , bei Brody auch nur gegeniiber- zustelfen. Eine einzige ästhetisch wertbare und an den zwei ungleichen Gleichgearteten nicht genug zu schätzende Eigenschaft verknüpft sie miteinander: die'Gabe des dahin gleitenden Erzählens. Spannung und Entspannung entquellen derlei Begnadung;: sie machen das Geheimnis eines. Erfolges aus, der dem für Eliten bestimmten Roth den Weg ins breite und darum platte Publikum eröffnete und. der dem primitiven-May immer wieder heimliche :öder auch of-fbnp

Lesęr jn äpspruchsstolzen, nicht leicht ansprechbaren

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Nun aber wollen wir unsere alleinige Aufmerksamkeit Roth widmen. Zur Schande für uns, die wir bereits Karl Kraus an deutsche Verleger überlassen haben, und diesen, im konkreten Fall Dr. Witsch — dem dafür mancherlei beutelfüllende Dėsirėes verziehen seien —, zur Ehre, ist die vorzügliche Gesamtausgabe, die alles Erreichbare einbegreift, in Köln erschienen. An ihr sind zunächst Druck, Satz und Papier zu rühmen, samt der Sorgfalt, mit der sogar falsche Schreibweisen der Originaldrucke übernommen würden. Ob freilich offenkundige Irr- tiimer Roths, wie etwa die Bezeichnung Jellačič’ als Slowene, ob die verworren-verwickelte Chronologie des in dieser Hinsicht, anders als ein Balzac oder Marcel Proust, sehr liederlichen Autors, zum Beispiel in der „1002. Nacht“ und in der Familiengeschichte der Trottas („Radetzkymarsch“ und „Kapuzinergruft“), ob die Widersprüche in der. Biographie der in mehreren Romanen auftretenden Kaptüräk, Mendel, Singer, Jadlowker nicht in Anmerkungen zu .erörtern gewesen wären? Dazu hätte allerdings ein fach- und sachkundiger Herausgeber eingreifen müssen. Für.ihn bietet die geschwätzige und. an den meisten Problemen, die das Schaffen Roths därbietet, vorbeigeistreichelnde Vorrede Hermann' Kestens keinen Ersatz. Diese Einleitung hiriterläßt einen beinahe so üblen Geschmack wie das der Gallimathias ihres Geschmocks tut. Davon einige Proben: ... „grotesker Völkerverein unter den lothringischen Nach-

kommen der hochgekommenen Schweizer Familie Habsburg“. — „Da gab es Tschechen und Deutsche, Magyaren und Italiener, Slowaken und Kroaten (jawollja, doch hören ma mal weita), Dalmatiner und Huzulen, Montenegriner und Wenden, Ukrainer und Ruthenen.“ (Wat de nich sachst. Das ist so, wie wenn man von der deutschen Literatur berichtet: da gab es Goethen, Schillern und Kleist, Heine, Börn,e, Feuchtwanger und Hermann Kesten, Georg Brandes und Ullstein, Andrė 'Maurois und Emile Hertzog.) Peinlich und beinahe frevelhaft dann die Sätze, in denen wir — die wir über die letzten, tragischen Jahre des sich im Jammer der Emigration verzehrenden Dichters, des leidenden und verzweifelt suchenden Menschen aus berufenstem Zeugenmund, des P. Muckermann, ganz anderes wissen — als vermeinten Hymnus lesen: „In der Zeit seines gespielten Alters — er ist jung gestorben, mit 45 Jahren — trug er die Maske der Demut. Er trug die Maske des österreichischen Leutnants, des Legitimisten, des Freundes der Habsburger, des Katholiken (er war Jude und nie getauft), des Spötters und des Leidenden, des Propheten und des Romantikers, des Neuerers und des Erben, des Weisen und des Leidenschaftlichen, ja manchmal sogar nur die Maske des Trinkers." Ach, das meiste an diesen Masken war echt: was an ihnen falsch war, darüber haben wir schon einiges gesagt; doch selbst mit dem soll man keinen grinsenden Scherz treiben.

Schlimmer Eigenbau des Einleiters ist das Werturteil, wonach Roth „mit Hofmannsthal und Kafka und Musil zu den Klassikern der österreichischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ gehöre. Und einer, von dem allerdings Roth in einer kritisch schwachen Minute erklärte, daß er ihn „keineswegs schätze“? Nicht genannt soll er werden! Also Karl Kraus. Nehmen wir rasch Abschied von einem Vorwort, das besser dem zweiten des Katers Murr gliche und somit unterdrückt worden wäre. Es erweist dem liebenswerten, bewunderungswürdigen großen Erzähler des alten Oesterreich einen wahren Bärendienst, indem es ihn zum bloßen verhinderten Feschak, zum Asphaltliteraten und zu einer Art von literarischem Leon Taxil herabdrückt, der den gutgläubigen, guten und gläubigen Schmalzköpfen Patriotismus, Katholizismus und sonstige einem freien Geiste nicht ziemende Verstiegenheiten (Meschuggasen) vorgaukelt.

Die Lektüre der zeittrotzenden Hauptwerke Joseph Roths schwemmt sofort den widrigen Nachgeschmack des Vorgeschmocks hinweg. Der „Radetzkymarsch“ und die „Kapuzinergruft“, rührende, ergreifende, weil ergriffene und begreifende Zeugnisse von der Habsburgermonarchie und für sie, die nicht genug bekannte, des skabrösen Stoffes ungeachtet, den beiden vorgenannten Meistetschöpfungen ebenbürtige, „1002. Nacht“ einerseits und diesen Oesterreichromanen gegenüber die jüdischen Erzählungen „Hiob“ und „Die Flucht ohne Ende“, funkeln voran. Es leuchten noch hervor: die „Legende vom heiligen Trinker" und die mächtige Vision vom „Antichrist". Wer mit derlei Gepäck in die literarische Unsterblichkeit eingeht, der darf an deren Schwelle allerlei weniger Kostbares zurücklassen, zumal auch darin — Mißratenes, wie die „Hundert Tage“ (Napoleons I.) ausgenommen — stets dichterische und wortkünstlerische, menschliche Werte geborgen sind, wie in der Berliner Sintflut „Rechts und Links“, in „Taraban“ und in der „Beichte eines Mörders“. Sehr zu Dank sind wir dem Herausgeber verpflichtet, daß er uns den glänzenden Essayisten und den Virtuosen des Feuilletons in einer überzeugenden Auswahl der leicht aufspürbaren Probestücke Roths aus diesem Genre vorstellte.

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