6666052-1960_34_11.jpg
Digital In Arbeit

Theologie der Poesie

Werbung
Werbung
Werbung

Die stille, feine Dame, die seit Jahren in Obersdorf im bayrischen Allgäu ein Dichterwerk von achtunggebietendem Rang vollendet, Deutschlands größte lebende Dichterin, Gertrud von Le Fort, liebt es nicht, daß ihre persönliche Welt und Umwelt über jene Grenzen hinaus, die sie selbst in wenigen Aufsätzen und Erinnerungen gezogen hat, ans Licht gezerrt werden. Es war eine Ausnahme, als sie vor eineinhalb Jahren den Berichterstatter der „Furche“ in ihrer Wahlheimat empfing und ihm für die Weihnachtsfestausgabe aufschlußreiche Einzelheiten aus ihrem Leben mitteilte.

So überrascht es nicht, daß auch der Verfasser der bisher umfangreichsten und vollständigsten Zusammenschau ihrer Werke, der Wiener Jesuitenpater Alfred Focke, das Persönliche der Dichterin auf ein paar Sätze (S. 210) beschränkte. Um so umfassender ist die theologisch-ästhetische Würdigung des Gesamtwerks. Sie geht weit über die bisherigen monographischen Abhandlungen Theodorich Kampmanns (1948), Maria Eschbachs (1948), Hajo Jappes (1950) und Nicolas Heinens (1951 und 1955) hinaus und berücksichtigt die bedeutendsten geistesgeschichtlichen Untersuchungen zur Gegenwartsliteratur Holthusens, Urs von Balthasars, Przywaras u. a. Es ist schade, daß Fockes Arbeit schon vor vier Jahren (zum 80. Geburtstag der Dichterin) abgeschlossen war und dann mit dem Druck bis heute warten mußte. Die drei seither veröffentlichten Bücher Le Forts, ganz und gar nicht „Alterswerke“, die beiden Novellen „Der Turm der Beständigkeit“ und „Die letzte Begegnung“ sowie der knappe, aber überaus inhaltsreiche Aufsatz „Die Frau und die Technik“, sind im Text und in dem (bisher vollständigsten, auch sämtliche „vorhymnischen“ Gedichte und Novellen 1902 bis 1917 enthaltenden) Literaturverzeichnis wohl kurz angeführt, aber nicht eigentlich wehr verarbeitet — sie hätten zu einzelnen Thesen Nockes noch gewichtige Stützen geliefert.

Zwei Eigenheiten springen an Fockes Arbeit in die Augen. Der Verfasser ist wohl durch zwei bedeutende Werke über Rilke und Trakl als Literarhistoriker und Ästhet legitimiert; trotzdem überwiegt die theologische Exegese weit über der literarischen Analyse. Das ist in diesem Falle insoferne kein Nachteil, als das Werk der Dichterin (und Theologiestudentin!) bei aller poetischen Urkraft doch viele und bedeutende theologische,.nicht nur religiöse Gedanken enthält („alle ihre Werke sind gleichsam nur Ausstrahlungen der .Hymnen' und ihres lebendigen Geistes“). An den Namen Gertrud von Le Forts bzw. ihres Hauptwerkes, „Der Kranz der Engel“, knüpft sich ferner die Erinnerung an einen nun schon zehn Jahre zurückliegenden Literaturstreit, der mehr noch als die ähnlichen Vorfälle um Enrica v. Handel-Mazzetti und Paula Grogger theologisches Übergewicht hatte. P. Focke, schon damals einer der Anwälte (nicht Staatsanwälte) des „inkriminierten Tatbestandes“, stützt auch jetzt nicht nur das besondere Kapitel, sondern durchgehend die gesamte Argumentation des Buches an den heikelsten Punkten durch Stellen aus kirchlich approbierten Büchern. Das ergibt im ganzen ein bedeutendes geistiges Gewicht, im einzelnen aber auch unverkennbar ein gewisses Übergewicht an Zitaten und „Anmerkungen“ (allein 1000 im „Index“), die den Gedankenfluß laufend zerreißen und das Werk für den theologischen Laien stellenweise nur mit gespanntester Aufmerksamkeit lesbar machen.

Die zweite Überraschung ist die eigenartige Aufgliederung der Werke Le Forts in vier Kreise: die „Hymnen an die Kirche“ (zu denen sehr hübsch der Roman „Der Papst aus dem Ghetto“ gezogen wird!), „Das Abendland“, „Die ewige Frau“ (virgo-mater-sponsa) und „Das Schweißtuch der Veronika“ (in das nicht sehr überzeugend die Erzählungen „Am Tor des Himmels“, „Die letzte Begegnung“ und „Die Abberufung der Jungfrau von Barby“ einbezogen werden). Zwei weitere Kapitel, „Prologos“ und „Stimme des Dichters“, bringen bei dem Versuch, Gertrud von Le Fort in den gesamtgeistigen, religiösen und literarischen Strom der Zeit einzuordnen, eine Reihe bisher unbekannter Zusammenhänge, wenn man sich auch dabei vielleicht das Werk Werfeis („Paulus unter den Juden“ ist eine erschütternd laute „Frage nach Christus und dem Kreuz“!) und unserer österreichischen Dichterinnen stärker herangezogen denken könnte. Nicht überzeugend scheint mir auch P. Fockes Behauptung vom lyrisehen Grundcharakter der Prosa Gertrud von I.e Forts zu sein; sie ist glasklar und schmucklos und schon deshalb nicht lyrisch. Mir erscheinen eher umgekehrt die Kirche- und Deutschland-Hymnen als rhythmische Edelprosa, schon wegen der tiefen und schweren Dogmatik ihrer Gedanken.

Das eindrucksvollste, auch mit größter Wärme und Überzeugungskraft vorgetragene Kapitel ist das Schlußkapitel über den Doppelroman „Das Schweißtuch der Veronika“, in dem Focke mit vollem Recht eine Art Kompendium aller Le Fortsähen Thematik erblickt: „Die Macht in der Ohnmacht; man kann vieles tun, wenn man nichts mehr tun kann; das Leben im Tod; die Liebe stark wie der Tod; die Frage nach dem Kreuz Christi: das durchbohrte Herz der Liebe, das sich freiwillig in die Passion begibt, um Erlösung von Sünde und Tod und Verdammnis zu verdienen.“

P. Fockes Buch ist die bisher bedeutendste Darstellung des Gesamtwerkes Gertrud von Le Forts, literarisch fundiert, theologisch hieb- und stichfest, dabei ( aber freizügig und weltoffen, besonders dort, wo der Verfasser das Wesen und die Aufgaben der Poesie scharf gegen die der (Moral-) Theologie abgrenzt. Hier fallen Worte, die nur der Priester sagen durfte, die Laien aber, in Sonderheit die Künstler, werden dem Autor dafür Dank wissen.

Denn in Gertrud von Le Forts Werk und Persönlichkeit, wie es ihr jüngster Chronist würdig und mit großer Geste dargestellt hat: der modernsten und aufregendsten „Frage nach Christus und dem Kreuz“, die unsere gesamte Gegenwartsdichtung kennt, vereinigen sich noch einmal — vielleicht vorläufig zum letztenmal — in großartigster Weise Gegensätze, die jahrhundertelang das abendländische Schicksal bestimmten: die Freiheit und die Bindung des Menschen, Welt und Kirche, die sieghafte Macht und siegreiche Ohnmacht der Kirche („das Schwert in der Hand und das Schwert im Herzen“) und nicht zuletzt: Poesie und Theologie, die letzteren in einer Idealsynthese, deren Tradition bis Dante zurückreicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung