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... ehe es Frucht trägt

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DIE REISE NACH AMALFI. Hörspiel von Gertrud Fußenegge r. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 86 Seiten. Preis 6.80 DM. - DER TABAKGARTEN. Sechs Geschichten und ein Motto von Gertrud Fußenegger. Deutsche Verlagsan-italt, Stuttgart. 106 Seiten. Preis 4.80 DM.

Die Reise nach Amalfi verläuft nicht ganz programmgemäß. Zwei junge Leute, die in Deutschland studierende irische Kochschülerin Cathrin, eine dunkle, sanfte Grüblerin, und ihr Freund Richard, ein cleverer junger Mann des wütend schaffenden deutschen Wunderwestens, wollen im Auto drei Wochen lang ins „irdische Paradies“ Amalfi fahren, nicht ganz zum Vergnügen, sondern um einander zu „testen“ (Heirat nicht ausgeschlossen!). Eine Begegnung mit Richards einstigem Feldwebel beschwört Erinnerungen an den Karfreitag 1944 in dem Apennindorf Christodolo, das Richard als Leutnant und Führer eines deutschen Sprengkommandos durch eine gewagte Befehlsverweigerung vor dem sicheren Untergang gerettet hat — so glaubt er wenigstens. Er hat es, wie er Cathrin auf der von ihr angeregten geänderten Fahrtroute nach Christodolo verleben erzählt, nicht umsonst getan: Vom Abt des Klosters im Dorf hat Richard damals als Lohn für seine Tat die Preisgabe des „Karfreitagwunders“ erpreßt, eines harmlosen, im Volk tief verwurzelten barocken Lichterspiels, das seit 300 Jahren den Kruzifixus in der Kirche bluten macht... Dies verübelt ihm der unheimliche Bruder Gregorio, ein einstiger Partisan gegen den Faschismus, mehr als der Abbas selber; er hat nach dem Abrücken der deutschen Truppe die Brücke mit der ungeheuren Sprengladung in die Luft gejagt und damit Dorf und Kloster und alle seine Bewohner vernichtet. So stehen jetzt, fast 20 Jahre später und wieder am Karfreitag, Richard und Cathrin fassungslos vor der grausigen Mondlandschaft, in der nur mehr der erblindete Abt als Eremit haust. Durch seine verzeihenden, tröstenden Worte bricht in Richard und Cathrin ein ungeheures Verstehen, ein neues Leben auf. „Wir kehrten heim“, schließt Cathrin, „und aßen das harte Brot des grauen Alltags. Und der Wein, den wir tranken, war der bittere Wein der schmerzlichen Erfahrung. Wir hielten aneinander fest, weil uns die Liebe allein wappnen kann gegen die Finsternis, die Liebe nur als ein Teil jener anderen Liebe, die für uns geduldet hat und immer noch duldet — den langen Karfreitag —, bis ans Ende der Welt.“

Dr. phil. Gertrud Fußenegger, in Pilsen als Tochter eines Vorarlberger Vaters und einer sudetendeutschen Mutter geboren, im Vorjahr 50 Jahre alt, heute als Gattin des Bildhauers Alois Dorn und Mutter von fünf Kindern in Hall in Tirol lebend, knüpft mit dem Hörspiel „Die Reise nach Amalfi“ formal an ihre einzige Tragödie (1949 „Falkenberg“) an, während ihr reiches literarisches Schaffen zwischen 1937 und 1963 sonst nur aus Prosa, sechs großen Romanen (1937 „Geschlecht im Advent“, 1948 „Die Brüder von Lasawa“, 1951 „Das Haus der dunklen Krüge“, 1953 „In deine Hand gegeben“, 1957 „Das verschüttete Antlitz“ und 1960 „Zeit der Raben — Zeit der Taube“), sieben Erzählungsbänden (1937 „Mohrenlegende“, 1939 „Eines Menschen Sohn“, 1939 „Der Brautraub“, 1940 „Die Leute auf Falbeson“,

1950 „ ... wie gleichst du dem Wasser“,

1951 „Die Legende von den drei Frauen“ und 1961 „Der Tabakgarten“) und einem Essay (1943 „Böhmische Verzauberungen“) besteht — geschichtliche und gesellschaftskritische Erzählungen, deren durchleuchtende Gegenwartsbedeutung an das Werk Gertrud von Le Forts erinnert. „Die Reise nach' Amalfi“ verrät eine erstaunliche Beherrschung der Hörspieldramaturgie: die strenge Form, die klassische Einheit von Raum und Zeit in der Rückblende hören sich wie eine ernste, volltönende Ballade an. Die Sprache ist rein und zuchtvoll; auf ihrem Grund schwingt slawische Melodik mit — und die uralte Frage: Wird der Mensch durch den Krieg besser oder schlechter?

Blättert man den neuen Erzählungsband der Dichterin aus Krieg und Nachkrieg, „Der Tabakgarten“, durch, so mag die Antwort etwa so lauten: die Guten werden besser, die Bösen böser. Der Optimismus der Dichterin drängt die Böser an den Rand; auch der seltsame Kauz, „Onkel Roderich“, sagt uns nicht viel, er mutet eher wie ein Fremdkörper in diesem Büchlein an. Ungebrochen aber leuchten die Strahlen der Bewährung in den anderen Figuren auf, in dem „General“, der die Fähnchen nicht mehr aufs Schlachtfeld, sondern in die Hamsterzorie der guten Menschen steckt; in der Tante aus Böhmen, die mit ihrer Schwester in rührender Weltfremdheit ein ganzes, reiches Prager Erbe vertut, gerade aus der folgenden Armut aber Tapferkeit und Nächstenliebe schöpft; in jener Frau Krismer, deren Lebensmüdigkeit in der leiblichen Not des militärischen Zusammenbruchs einer starken Lebensbejahung weicht; in Frau Helene Kellerhals, geb. Plaschke, einer tapferen, wunderbaren Werfeischen Barbara, und schließlich in dem schmerzlichen Verzicht des „Fräulein Mechtild“ auf den Mann, dessen totgeglaubte Ehefrau aus langer Trennung auftaucht — alles Menschen von'Fleisch und Blut, im Feuer von Not und Tod veredelt und gehärtet, in der Brust aber Glaube, Liebe und Hoffnung tragend, oder wie es am Schluß dieser herzhaften, ernsten und leise lächelnden Geschichten heißt: „Menschenherz, dachte ich, Menschenherz: so tapfer und so schnell verzagt, so hungrig nach Freude, so bereit zur Hoffnung, so tief gebeugt, wenn das Leid es berührt. Himmlischer Tau muß es netzen, irdischer Dung muß es nähren, ehe es Frucht trägt, wenn es Frucht trägt. Und es trägt Frucht — immer wieder.“

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