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Hoffnung und Leidenskraft

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Zum 70. Geburtstag von Friedrich Heer am 10. April 1986 sollte ein Buch der Freunde erscheinen. Die von Norbert Leser herausgegebene „Heer-Schau“ (Böhlau Verlag, Wien) wurde zum Rückblick und Bekenntnis.

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Zum 70. Geburtstag von Friedrich Heer am 10. April 1986 sollte ein Buch der Freunde erscheinen. Die von Norbert Leser herausgegebene „Heer-Schau“ (Böhlau Verlag, Wien) wurde zum Rückblick und Bekenntnis.

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„Der Kampf um die österreichische Identität“ gehört zu den Büchern, die Du Dir am schwersten abgerungen hast. „Mein Lebenswerk galt der deutschen, der europäischen Geistesgeschichte“, bekennst Du darin. „Die österreichische Geschichte habe ich bisher gemieden.“ Mehr noch: „österreichische Vergangenheit: Sie bereitet mir so viel Schmerz...“ Der Österreicher, der Dir (und Millionen anderen Menschen) physisch, psychisch, intellektuell Schmerz über alles Maß bereitet hat, war Adolf Hitler. „Den jüdischen, christlichen und nichtchristlichen

Opfern des österreichischen Katholiken Adolf Hitler“ hast Du Dein Buch „Gottes erste Liebe“ gewidmet.

In diesem Buch erinnerst Du Dich auch der. Erfahrungen,, die , Du als Mitarbeiter und Redakteur der FURCHE zwischen 1946 und 1961 mit Leserbrief Schreibern gemacht hast, deren „rabiater Anti-judaismus und Antisemitismus“ Dich bis auf den Grund Deiner Existenz schmerzvoll zerriß, weil er „die Verengung eines an sich bereits verengten Katholizismus zu einer fetischistischen politischen Religion“ verriet, die „ungebrochen tief eingewurzelt in der Bevölkerung lebt.“ Wir haben über dieses Phänomen des öfteren noch in Deinen letzten Lebensjahren gesprochen.

Diese Leserbriefschreiber sind noch immer nicht ausgestorben, nicht bekehrt, nicht einmal nachdenklich geworden, das am allerwenigsten. Deinen Satz „Unser Europa ist nicht ohne unsere Juden zu verstehen“ deuten sie heute noch auf ihre Weise um wie zu der Zeit, als Du ihn 1977 niederschriebst. Mit ihren Biedermeier-Sesseln und der koketten Spiel-, uhr auf der Kommode täuschten sie Dich nicht: „Das Biedermeier ist nicht harmlos“, hast Du immer gewußt.

Behaglichkeit, Scheinfrieden in den vier Wänden des vorgeblich trauten Heims, die allzu oft Haß, Gier, Verrat, Bosheit umzäunen, waren Dir Ekel, verachtenswert. Apokalypse und Ostern, der Vulkan Europa, die lebendigen Feuer der Gottheit haben Dich in- und auswendig verzehrt, ja: aufgefressen, aufgesogen, den Leib zerstört, damit man des Geistprinzips in diesem klarer gewahr werden konnte. Und doch hast Du früher als andere das letztlich mechanistische Leib-Seele-Bild vom Menschen überwunden, das Unheil des manichäischen Gut-Böse-Klischees bloßgestellt, die Einheit des Menschen, die Einheit der Schöpfung als Quellgrund christlicher Hoffnung freigelegt.

Ein Sinnenmensch bist Du gewesen. Deine Freunde wissen Dir gerade das auch wohl zu danken. Grillparzers „Lebenskultur als eine Politik der Mitmenschlichkeit, der Mitfreude“ des Menschen, der darüber nicht zu vergessen braucht, „daß der Mensch

voll Harm, voll Leid, voll Selbstgefährdung ist“, hast Du gepriesen — literarisch und exemplarisch in Deinem eigenen Leben.

Der Wein hat Dich glücklich gemacht, wenn wir ihn in Deinem Stammbeisel auf der Wieden oder in Oberlaa, auf den Höhen des Kahlenberges, im Melker Keller, oder, auf Mödling niedersinnend, über die Zungen lockten. „Wie schön! Wie schön!“ riefst Du, wenn wir, den Blick aus dem Au-tofenster in der letzten Kehre der Höhenstraße auf Wien gerichtet, dem Haus Leopold Ungars uns näherten, wo der Gastgeber zusammen mit Fritz“ Hochwälder, Richard Barta und anderen Freunden das Glas auf Dich erhob. Beim FURCHE-Stadtheuri-gen im Sommer 1983 führte Grüner Veltliner Dich und Friedhelm Frischenschlager zu einer Euch beide bewegenden Begegnung zusammen. Hat dessen Bewegtheit überlebt?

Ein Hauch von Zeitlosigkeit

Längst hatte die mitleidlose Krankheit ihre Zeichen Dir aufgeprägt. Aber wir haben Dich so lange schon so krank, und doch so unverwüstlich, gekannt, daß eigentlich niemand mehr rätseln wollte, wie oft wir einander wohl noch begegnen würden. Ein Hauch von Zeitlosigkeit umfing Dich in irdischen Jahren schon. Wenn Du Deine Freunde mit dem entwaffnenden Zuruf „Krebs ist nicht ansteckend!“ zu umarmen pflegtest, war das dieselbe Botschaft, die Du in „Gottes erste Liebe“ zu der Beschwörung verdichtet hattest: „Eine Chance für das Christentum, wirklich ge-schichtsmäßig, schöpferisch wirksam zu werden, besteht darin, sich in der Lebensfreude, Lebensfrömmigkeit, Erosmacht, Gegenwartsseligkeit, Leidenskraft und Zukunftshoffnung des alten Israel einzuwurzeln.“

Gegenwartsseligkeit, Zu-

kunftshoffnung: Wir haben sie mit Dir genießen dürfen, auch noch in Deinen letzten Lebensjahren und -monaten, als manche den Schritt über Deine Schwelle nicht mehr wagten. Wie hast Du Dich über alle gefreut, von denen Du wußtest, daß sie Dich um Deinet-und nicht um ihretwillen nicht lassen wollten.

Die Schwachen, die Kompromißler, die Halbherzigen und die Kleinmütigen hast Du mit Deinem heiligen Zorn zerblitzt. Genauer gesagt: ihre Haltung, nicht ihre menschliche Schwäche. Ich wollte, ich hätte mir von unseren Gesprächen in den letzten Jahren Notizen gemacht, um sie wiedergeben zu können. Aber von einem Satz weiß ich noch heute, wo Du ihn, es war etwa zwei Jahre vor Deinem Tod, plötzlich aussprachst: auf einer Autofahrt in Richtung Kahlenberg, auf dem Gürtel zwischen Sankt Ulrich und Alserstraße. „Ich habe nie“, sagtest Du und wiederholtest es, „ich habe nie jemandem wehtun wollen.“

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