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Sprung in die Ewigkeit

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Die Toten spricht man mit Du an. Als du noch lebtest und ich noch ein ziemlich junger Journalist, Kultur- und Theaterkritiker war, sagten wir zu einander Sie: Ich hatte dich ja persönlich sehr spät in Gesellschaft von ödön von Horväth kennengelernt, sozusagen im „letzten Moment“. Ich bewunderte dich als einen Mann absolut — absolut! — freien, ungeniert unabhängigen Geistes. Heute bist du Legende in dem Sinne, in dem du selbst es in der Einleitung zu deiner einzigartigen „Kulturgeschichte der Neuzeit“ definiert hast: „Sobald ein Mensch gestorben ist, ist er der sinnlichen Anschauung für allemal entrückt... Er wird legendär.“ Und legendär ist heute die Stelle vor deinem Wohnhaus in der Gentzgasse 7, im achtzehnten Wiener Gemeindebezirk, auf der am 16. März 1938, nach deinem Todessprung aus dem Fenster, dein mächtiger Körper zerschmettert liegen blieb, wenige Tage nach Hitlers Einzug in Österreich. Legendär und für deine tiefe Humanität zeugend dein im Sturz ausgestoßener Ruf: „Hallo! Ach-t tung!“, um die Passanten auf der“ Straße zu warnen.

Als das geschah, befand ich mich — obwohl NichtJude, aber durch jahrelange antinationalsozialistische Kulturpolemiken gefährdet - mit den Meinen und mit einem jugoslawischen Paß versehen, bereits außerhalb der Grenzen Österreichs. Wir hatten Wien am Abend des 13. März verlassen. Von deinem grausig-tragischen Tod hatten wir durch einen Bericht im, .Prager Tagblatt“ erfahren. Darin hieß es, zwei Nazibuben hätten an deiner Wohnungstür geläutet, um dich zum Stra-ßenwaschen abzuholen. Da hättest du den Tod vorgezogen.

Franz Theodor Csokor, der dich zusammen mit Walther Schneider, deinem Freund und — wie man ihn nannte — „Eckermann“ sowie der Schriftstellerin Dorothea Zeemann an deinem letzten Lebensabend besuchte, spricht in seinem Buch „Auf fremden Straßen“ von drei Nazibuben. Erste-rer erzählt, wie er mit dir die Möglichkeit erwog, dir einen Sitz in einem ausländischen Diplomatenwagen über die Grenze bis Preßburg zu sichern. Du aber zeigtest mit müder Geste auf die Bücherstände, gestaffelt bis zur Decke, von Csokor als „ein Gehäuse des Erasmus“ bezeichnet, und sagtest: „Und das -?“ Es schien dir plötzlich sinnlos geworden wie deine Manuskripte.

Dorothea Zeemann wiederum erwähnt in einem kürzlich erschienenen Artikel nur einen einzigen jungen SA-Mann, der sich einen der damals üblichen Willkürakte leistete. Andere wollen wissen, der SA-Mann habe sich nur in der Wohnungstür geirrt, sein Ziel sei ein im selben Haus wohnendes, ihm befreundetes Mädchen gewesen. Egal.

In einem von mir gemeinsam mit Alexander Sacher-Masoch im Winter 1938/39 in Belgrad verfaßten Stück unter dem Titel „Das unsichtbare Volk“ - gemeint ist das Volk der Exilierten - wollten wir gleichsam ein Gedenkblatt für dich einlegen und ließen eine der handelnden Personen sagen: „Er sah das uniformierte Grauen vor sich und fühlte auf einmal, daß es keine Menschen mehr gab. Da starb er lieber.“ Das Stück wurde übrigens später in der Schweiz uraufgeführt und im Rundfunk gesendet.

Aus dem erwähnten Artikel der Dorothea Zeemann entnehme ich, daß du mit dem Gedanken an Selbstmord schon Tage zuvor gekämpft hast — mit deinem Gewissen. Denn du warst zwar ein sogenannter „Nichtarier“, aber ein gottgläubiger Christ. Csokor erinnerte dich denn auch an jenem Abend an deine Schrift über das

Jesusproblem. Du aber meintest, den Selbstmord auf dein Gewissen nehmen zu dürfen, damit kein anderer an deinem Tod schuldig werde. Ein Gedanke von höchstem Ethos, ein Gedanke, wie er nur einem so scharf distinguie-renden Geist wie es deiner war, kommen konnte. Ein Gedanke von unendlicher Dramatik.

Wer aber waren sie, der oder die Nazibuben, die deinen Tod auslösten? Ihre Namen und ihr späteres Schicksal sind, soviel ich weiß, der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden. Sie sind als namenlose Gestalten des Unheils, das über die Menschheit kam, der Nachwelt überliefert.

Mit deinem Tod ist ein Stück Wien ausgeklungen, das heute ebenso Legende ist wie deine Person. Nicht aber das, was du geschrieben und gesagt hast. Es lebt stimulierend weiter. Für dich waren alle wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisse nur Stoff, um daraus Geist zu destillieren, Geist, der Fachgrenzen sprengt und das Leben einschließt. Daher die Vielfalt deiner Tätigkeit. Als Philosoph im Sinne eines Liebhabers der Weisheit, als Essayist, sogar als Kabarettist und Schauspieler. Ich war zugegen, als du einmal am Gasthaustisch eine der treffendsten Definitionen des Schauspielers improvisiertest: „Auf der Bühne kann sich der Schauspieler nicht verstellen. Man merkt, wer er ist. Verstellen kann sich der Schauspieler nur im Leben.“ / Uber das aber, was ein Dichter ist, hast du in deinem 1912 erschienenen, Peter Altenberg gewidmeten Buch „Ecce Pceta“ die gültigen Sätze geschrieben: „Er fragt, wo es sonst niemand tut... Seine Mission ist: Unruhe und Mißtrauen zu verbreiten... Der Dichter ist das Salz der Zeit.“ Mit diesen Sätzen stelltest du dir selbst eine Forderung. Und so besehen warst du auch An Dichter.

Dich aber, Egon Friedell — und ich spreche hier zum ersten Mal deinen irdischen Namen aus -, bitte ich, mir zu verzeihen, daß ich so zudringlich war, über dich wertend zu sprechen. Ich kann mir gar nicht ausdenken, was du mir darauf antworten würdest. Etwas ganz und gar Uberraschendes, Unerwartetes. Wie immer auch — ich würde es gerne und widerspruchslos einstecken.

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