Brief an einen Verstorbenen

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Am Samstag wird Kurt Waldheim begraben - Schlussakt unter eine unendliche Geschichte. Heinz Nußbaumer, Freund und Weggefährte, über die Tage seit dem Tod des Alt-Bundespräsidenten.

Lieber Kurt!

"Die Toten sind immer die Stärkeren", hat mir eine Frau kurz nach Deinem Tod geschrieben. Ein Satz, der mich nachdenklich stimmt: Hat Dein Sterben und Dein Appell um Versöhnung endlich das erreicht, was Du so lange erhofft, erbeten und wohl auch erbetet hast?

Nimm diese Zeilen bitte als einen ersten, persönlichen Zwischenbericht.

Ich meine: Wärest Du noch unter uns, Du würdest eine Veränderung spüren, die über Betroffenheit und "Friedhöflichkeiten" (© Rudolf Kirchschläger) hinausgeht:

Vor Deinem Haustor habe ich heute Blumen und Kerzen gesehen. In der Hofburg stauen sich Menschen vor Deinem Kondolenzbuch - viele wollen Dir nicht nur letzte Grüße schicken, sondern niederschreiben, was sie mit Dir verbinden - und verbindet. Auch der Bundespräsident, der Kardinal und andere (allen voran der grandios polternde Helmut Zilk) haben mehr getan, als Du jemals erwarten konntest.

Du selbst hast es ja schon lange gespürt: Die alten Gräben sind zugewachsen - vor allem bei den "einfachen Menschen". Sie durchschauen Manipulation, Heuchelei und Demagogie schneller, als ihre Produzenten ahnen. Sie wissen längst, was man Dir angetan hat - und warum. Im Übrigen ist ihnen das Thema zunehmend auf die Nerven gegangen.

Politik, Medien und Zeitgeschichte tun sich da schon schwerer. Als Du zu atmen aufgehört hast, sind einige aus diesen Zünften ordentlich ins Schnaufen gekommen. Schade, dass Du so vieles nicht mehr lesen und hören kannst - Du würdest staunen!

Was haben sie Dich 1986 alles genannt, als Du auf Wahlkampftour nicht spontan sagen konntest, wo Du an einem Tag X zwischen 1938 und 1945 als Soldat gewesen warst. US-Medien nannten Dich bald "Nazi-Schlächter" - und ihre Kollegen in Österreich wussten um Deine "braune Vergangenheit". Jetzt, von Deinem Tod überrascht, können sich manche von ihnen nicht mehr erinnern, was sie Dir damals alles zugetraut hatten: Kriegsverbrechen? Aber nein. Nazi? Wirklich nicht. Lügner? Wohl kaum. Höchstens "ein Symbol unaufgearbeiteter Vergangenheit" hätten sie Dich genannt - und das sei doch keine Majestätsbeleidigung.

Am besten hat mir der jüngste Zuruf aus der Zeitgeschichte gefallen: Ein ganz Prominenter dieser Zunft bringt es auf den Punkt: "Waldheim hat nicht verstanden, dass es nicht um ihn und seine frisierte Biographie ging, sondern um die Frage, wie eine Gesellschaft mit den Gräueln und Ursachen des Holocausts umgeht. […] Er hat die ganze Waldheim-Debatte nicht verstanden, weil er die Auseinandersetzung immer als persönliches Match begriffen hat." Jetzt ist es also heraußen: Es ist überhaupt nicht um Dich gegangen, als sie Dich zum Verbrecher, zum Gesinnungstäter erklärten. Als sie gegen die Tore der Hofburg anrannten. Als sie Dich isoliert und Dein Lebenswerk zerstört haben. Schade, dass wir das nie durchschaut haben!

Und die persönlichen, entehrenden Angriffe gegen Dich - über Monate und Jahre hinweg? Kein Problem, sagt der große Historikers: Die "hätte er (also Du) wegwischen können, wenn er gewollt hätte!" Ehrlich gesagt, das ist mir neu: Dass Du Deine Rehabilitierung gar nicht wirklich gewollt hast …

Da war der lange TV-Abend nach Deinem Sterben: Welche Verbissenheit, welche Verdrängung! Nichts ist offenbar mühsamer, als aus den Schützengräben zu klettern. "Kein Selbstzweifel trübte das Requiem der Gnadenlosen", hat die Kleine Zeitung prompt den Jammer derer kommentiert, die da noch einmal über Dich urteilen durften, "so musste man den Rufmord nie einbekennen".

Ich weiß, wie Du immer wieder gesagt hast, niemals der SA ("Reitercorps") beigetreten zu sein. Vergeblich. Jetzt, wo Du nicht mehr da bist, kommt es ganz leise: "Es kam vor, dass ganze Organisationen ins NS-System übernommen wurden. […] Auch die Reitgruppe, bei der er war, wurde wahrscheinlich übernommen", schreibt Gerhard Botz (profil). Was hätten wir uns erspart, hätte Botz schon 1987 das Gutachten des Generalanwalts Karl Marschall gelesen.

Ich weiß auch, wie lange Du versucht hast, Dein missglücktes Wort von der "Pflichterfüllung" ins Lot zu bringen. Chancenlos. Bis ich dieses Wort auch in Reden Deiner Vorgänger gefunden habe - und beim deutschen Altkanzler Helmut Schmidt.

Und ich weiß, wie sehr Du mit Deinen Fehlern ins Gericht gegangen bist - bis zu Deinem "letzten Wort". Deine Kritiker aber ficht kaum ein Zweifel an. Nur Peter Michael Lingens ("Ich war Teil dieser Affäre") sagt, was Sache ist: "Man hat einen Unschuldigen aus Dummheit und Ignoranz zum Nazi und Kriegsverbrecher gemacht." Und er fügt hinzu: Für das, was Du in der NS-Diktatur warst und getan hast - "dafür konnte man im KZ landen".

Lieber Kurt, ich frage mich, ob das alles für Dich noch von Interesse ist. Vermutlich nicht. Du hast uns ja schon in den letzten Lebensjahren mit Deiner Beharrlichkeit imponiert, auf Deine Kritiker zuzugehen. Noch fehlt mir Deine Abgeklärtheit. Also ärgert, nein kränkt mich, was ich da an "Nachrufen" lese - auch bei unseren deutschen Freunden.

Solltest Du dort, wo Du jetzt bist, einen Leseraum haben - schau nicht hinein. Es sind ohnedies dieselben Täter, die Du lange kennst; die Dich schon damals, als Du die österreichischen Geiseln aus Bagdad heimgebracht hast, mit dem Titel "Waldheim entehrt Europa" begrüßt haben. Und die nicht einmal dann ein schlechtes Gewissen bekamen, als auch der Deutsche Willy Brandt, der Brite Ted Heath, der Japaner Nakasone, der Däne Jörgensen, der Amerikaner Jesse Jackson hinter Dir nachreisten.

Ein letztes Mal dürfen sie Dich jetzt zum "Volksheld der Reaktionäre" verzerren. Zu einem, dem in sechs Hofburg-Jahren kein "angemessenes Wort" zur NS-Vergangenheit gelungen sei - bis Franz Vranitzky 1991 die rechten Worte gefunden habe. Dich muss ich nicht daran erinnern: Schon am 10. März 1988 (gut drei Jahre vor der Kanzler-Rede) hast Du als Erster im Fernsehen gesagt: "… dass viele der ärgsten Schergen des Nationalsozialismus Österreicher waren. Es gab Österreicher, die Opfer, und andere, die Täter waren. Erwecken wir nicht den Eindruck, als hätten wir damit nichts zu tun." Und Du hast Dich als Staatsoberhaupt "für die von Österreichern begangenen Verbrechen des Nationalsozialismus" entschuldigt. Wie viel Vergessen verträgt der Journalismus eigentlich?

Und da ist noch einmal die alte Legende, Du hättest Deine Wahl zum Bundespräsidenten dem österreichischen "Antisemitismus", "Trotz" und "Chauvinismus" zu verdanken gehabt.

"Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur", hätte der alte Bruno Kreisky gesagt, der Dich gerne (Du weißt, ich bin da ein Zeuge) als gemeinsamen Kandidaten gesehen hätte. Nicht nur aus persönlicher Nähe, sondern weil er - lange vor der "Causa" - gewusst hat, dass Du gegen jeden möglichen SP-Kandidaten gewonnen hättest. Ganz ohne "Antisemitismus", "Trotz" und "Chauvinismus". Der Alte hat sich nicht durchgesetzt - und alles war anders.

Ach ja, noch etwas: Auch Amerika hat - verspätet und kleinlaut - zu Deinem Tod kondoliert.

"Die Toten sind immer die Stärkeren", hat mir die Frau zu Deinem Tod geschrieben. Ein Satz voller Rätsel. Ich hoffe, er stimmt.

Dein Heinz

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