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Gebet

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Auferstandener, ich möchte mit Dir reden. Beten nennt man das, ich weiß. Aber laß mich ohne jede Form mit Dir sein dürfen, laß uns im Garten von Gethsemane einfach auf und ab gehen. Als Kind schein hab ich Maria Magdalena immer so beneidet, weil sie eine der ersten war, die Dich nach Deiner Auferstehung sehen durfte. Sie hat Dich zuerst für einen Gärtner gehalten und Dich dann mit „Rabbi" angesprochen. Um diesen Moment des Erkennens, der zwischen dem Gärtner und dem „Meister" lag, um den hab ich Maria aus Magdala am meisten beneidet. Das muß die Sekunde ihres Osterjubels gewesen sein, sie muß Dich ganz und vollkommen verstanden haben, sie mußte Dich nicht mehr berühren.

Es ist schwer geworden, zu beten. Es liegt an der Sprache. Sie reicht so wenig weit, wir beherrschen sie nicht mehr, sie beherrscht uns und wir trauen ihr nicht mehr. Die Sprache unserer Kindheit erscheint uns eben als Kindersprache und wir wissen nie ganz genau, wogegen wir sie eingetauscht haben. Besonders beim Beten. Man fühlt sich so ins Bloße gestellt, jedes vorgefertigte Wort zerrinnt doch in der Sekunde, in der man Atem holt zum Gebet. Es gibt viele Hilfen, große Vorbilder und nette Leitfäden. Die kann man sich und Dir vorlesen. Sicher hörst Du zu. Und wartest.

Mit welchem Kleinkram belastet wandere ich neben Dir her, Du bist im Gleichschritt - und sei's auch nur im erträumten - so schwer zu ertragen. Das Unfaßbare Deiner Auferstehung wird durch nichts faßbarer, schon gar nicht durch Deine Nähe, zu der ich mich gedrängt habe, als könnte ich durch ein Handausstrecken nach Dir alles wieder gutmachen. Noli me tangere. Ich kann Dich ja gar nicht berühren.

Cjeh nicht schneller! Ich kann doch nicht mit Dir Schritt halten, das Licht Deines verklärten Leibes brennt alles nieder, was ich auf dem Herzen und auf der Seele hatte, Windhauch alles, ich weiß. Du bist so sieghaft in Deinem Triumph, so unendlich fern. In Deiner elenden, todbringenden Einsamkeit am ölberg warst Du mir näher.

Merkst Du nicht, wie ich nach Worten grabe, zu viele finde und eins nach dem anderen wegwerfe? Ich stolpere hinter Dir her, bin geblendet bis ins tiefste Herz hinein. Du aber bleibst, bleibst neben mir, während ich weitertaumle. Ich habe die Sprache verloren, die Sprache, die uns immer verbunden hat, in der Du zu mir wie ein Bruder geredet hast. Ich werde also schreien oder nur ausatmen oder lachen oder etwas in den Staub des Weges schreiben, nur nimm diese Angst von mir, Dich nicht mehr zu erreichen!

Ich halte still, Auferstandener, ich lasse mich ganz fallen, ich gebe mich her, ich gebe mich auf, ich habe nicht ein einziges Wort mehr. Du hast es. Welche Anmaßung, jemanden anreden zu wollen, der von den Toten zurückgekehrt ist. Es hätte der Wortsuche nicht bedurft, das Schweigen ist mir so abhanden gekommen unter dem Wörterschwall der vielen Ta.ge ohne Dich. In meine Wortlosigkeit legst Du Deine Hand. An ihr werde ich auferstehen.

Du berührst mich. Ich glaube, ich habe verstanden. Das Wort habe nicht ich, sondern Du hast es. Es war im Anfang und ist Fleisch geworden, war bei den Toten und ist auferstanden, damit wir ohne Worte sein können Als Antwort auf Dich finden wir die Sprache wieder.

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