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Ein Streitgespräch mit dem Tod
Mein Ausbruch und Aufbruch will nicht Moder als Humus für neue Aussaat aufwühlen, eher die Grube schaufeln, die alles begraben soll: Wenn es um dich so steht, wie du mir schreibst, meine Liebste, erschrek-kend nüchtern, gefaßt, gelassen, fast unerklärlich heiter. Du, damals auch in den Fängen des Hasses, hast nie ein Wort darüber geäußert, nie einen Gedanken an Vergeltung aufkommen lassen. Vor mir der schöne Druck des von Anstel besonders geschätzten Buches: Der Ackermann aus Böhmen.
Johannes von Saaz, dem vor fünfhundert Jahren der Tod die junge, schöne, heiß geliebte Frau geraubt: Du hast dich mit dem Unerbittlichen eingelassen, ein Streitgespräch gewagt mit dem nackten Gerippe, der nackten, sieghaften Wahrheit dieser Welt. Du fragst: Was sind wir? - Du läßt den bleichen, ernsten Tod antworten: Du fragst, was wir seien. Wir sind nichts und doch etwas. Darum nichts, weil wir, oder ich, weder Leben noch Wesen noch Gestalt besitzen, kein Geist, nicht sichtbar und greifbar sind. Deshalb etwas, weil wir, oder ich, des Lebens Ende sind, des Nichtseins Anfang, eine Grenze zwischen beiden. Wir, oder ich, bringen alle Leute zu Fall; die Großen, die Hünen, müssen vor uns fallen; alle Wesen, die Leben haben, müssen durch uns verwandelt werden. Mit gutem Grund zeiht man uns der Schuld. Doch weißt du nicht, so wisse es nun: Des Anfangs Geschwister ist das Ende. Was alle Menschen leiden müssen, dem sollst du nicht widersprechen. Die Menschen leben auf der Erde nur in der Fremde. Vom Sein zum Nichtsein müssen sie kommen. Und auf daß wir dir recht geraten, darum kommen wir vor Gott, dem Ewigen, Großen, Starken.
TT a, dem Unsichtbaren.Undurch-I schaubaren, über alles Erhab-mß nen, der entscheidend eingreift, als einzig Gerechter euch beiden unrecht gibt; dir Ackermann in deinem Leid, dir Tod in deinem Triumph:
, Jener beklagt, was nicht sein war; dieser Ijerühmt sich einer Gewalt, die er nie aus sich selbst hat. Jedoch euer
Streit ist nicht ganz ohne Sinn gewesen. Ihr habt beide gut gefochten: Jenen zwingt sein Leid zur Klage, diesen der Angriff des Klägers, die Wahrheit zu sagen. Darum, Kläger, habe Ehre! Du Tod aber, habe den Sieg! Jeder Mensch ist dem Tod sein Leben, den Leib der Erde, die Seele Uns zu geben verpflichtet."
Daß der Ackermann mit gottergebenem Gebet aufgibt anzuklagen, kann ich ein halbes Jahrtausend später, nicht nachvollziehen; ich, der Glauben an Religionen und Ideologien verloren. Ananke, unheildrohender Zwang, Verhängnis, scheint mir dem Welträtsel näher zu kommen. Dämonisch ein Gott, der uns Freiheit gönnt, uns zu versuchen.
Er mag eine Ermüdungserscheinung, Folge auswegloser Grübelei sein: Er kommt herein, heran, kommt zögernd näher, er fällt mir ein, fällt ein mit Schritt um Schritt im Rhythmus meiner Fragen, meiner Klagen. Er ist aus sich selber nichts, er ist mein dunkles Ich und Gegenübe'r. - Mein Stillehalten, Verstummen, Bedenken beschwören den Bann, ich verfange mich im Schlafbaum. Dann kommt er näher, in Scharlachrot und Schnee-•weiß.
Nein, nicht der Volkskaiser Joseph, der in Gala-Uniform aus der Kutsche steigt, um die Furche von Slawiko-witz zu pflügen; es ist auch nicht der Ackermann aus Böhmen im altertümlichen Kittel wie auf dem Holzschnitt: Er kommt in fremder Lappentracht, in einer mir fremden, wie blutgesprenkelten tschechischen Nationaltracht; er kommt langsam aus dem Hintergrund, von draußen. Augenschlitze über hohen Backenknochen, unter schwarzen Stirnfransen. Er kehrt mich beim Näherkommen um, ihm zu, der Gaukler, der tänzerisch Schritt um Schritt setzt, lautlos in Fellstiefeln.
Höre ich seine Stimme, merke ich, daß ich sie ihm gebe, dem Versucher, zum Dialog mit mir; daß ich es bin, der sich selbst antwortet. Ich kann, ich will nicht vergessen. Es geht nicht um mich, ich überlebte, und das soll Sinn haben: Denn den Toten blieb keine Stimme; ihr Schweigen ist nicht Versöhnung, Frieden durch Vergessen. Unversöhn-lich friedlos tobt die Mißgeburt Mensch weiter, bereitet eifrig und penibel den Untergang alles Lebens vor. Du meinst, das sei nur gerecht? Du kannst mir nichts sagen, was ich nicht schon gedacht habe. Eben weil ich mich nicht auf das nach dem Tod verlasse, bleibt den Toten nur unser Gedenken, ein Totenlicht in einer ungeheuren Nacht.
Ich will nicht, daß du die vergißt. Ich will dich an das Leben erinnern. Jetzt jammerst du, klagst, beschuldigst laut und lang. Du vergißt, Kranker, Krüppel, Mißhandelter: Dir war auch eine und viel längere Zeit gegönnt, in der dein Leben Lust gewesen. Und Aufbegehren.
Auszug aus dem demnächst erscheinenden Roman „Vor dem Fenster die Nacht" von Ernst Vasovec. Styria Verlag.Graz/Wien/Köln 1991. Ca. 710 Seiten, öS 490.-.
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