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Rauriser Literaturtage 1975

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Ein bißchen jubiläumslüstern zählt mans an den Fingern der Rechten ab: zum fünftenmal waren sie heuer, die Rauriser Literaturtage,gemütlicher, entspannter als das eine oder andere Jahr vorher, als manchem der Mund tönte, wovon der Kopf leer war. Nun ein paar Nachzuckungen der Garde, die sich „avant“ nennen läßt, leicht gealtert in Attitüden, reich an Alkohol und ausholenden Gesten, da und dort macht einer hinter einem oder schon vor einem die Tür zu, ansonsten aber ist alles auf Konsens und Freizeit eingestimmt. Engagement, betreffend irgendwas, scheint keine Stunde zu haben. Beat Brechbühl liefert sein lyrisches Allende-Soll ab, doch weder von Hildesheimer noch von Wellershof kann der studentische Arbeitskreis der Universität Salzburg etwas ideologisch Praktikables ins Heft sich schreiben. Übrigens Hildesheimer: er ist der Mann, dem begegnet zu sejn man als Begegnung im Gedächtnis behält, ungerührt vom gezinkten Vokabular jeglicher Sekundärliteratur, gerät es ihm wie beiläufig, Neugier anstatt bloß mit metierbezogener Auskunft, mit gelebter Welterfahrung zu bedenken, zudem in Formulierungen von hohem Unterhaltungswert. Ähnliches braucht man bei den Jüngsten nicht gewärtig zu sein, obwohl einige, etwa Werner Schweiger, nicht salzlos fabulieren.

Sofern die gelesenen Proben ausreichen, ein vorläufiges Urteil zu begründen, ist man geneigt, jener Jury zuzustimmen, welche ein Arbeitsstipendium Peter Coreth zuerkannte, in dem unsere kosumverfallene Gegenwart neuerdings einen Ankläger und Analytiker hat. Vierundzwanzig Stunden vor dem Beginn in Rauris stiftete die Landesregierung über

Anregung der Jury, die den Träger des Literaturpreises zu ermitteln hatte, ein zusätzliches Arbeitsstipendium, das indessen fallweise vergeben werden soll, nämlich dann, wenn das Votum für den einen Autor eine Benachteiligung eines gleichbemerkenswerten anderen implicierte. Und so griff denn die Öffentliche Hand zugunsten Walter Kappachers in die öffentliche Tasche, einen Autor redlich gearbeiteter Prosa zu ermutigen. Nun, alles recht erfreulich, durchaus Wechsel, welche die nächsten Jahre einlösen könnten. Einen neuen Innerhofer gab es jedoch nicht zu entdecken, aber der vor zwei Jahren hier entdeckte wurde nunmehr mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet — den wählenden Juroren war ohnedies keine andere Wahl geblieben: dem Roman „Schöne Tage“ ist einfach keine Erstveröffentlichung eines anderen jungen Autors an Kraft und Gehalt ebenbürtig.

Um an den Anfang zurückzukehren: Tage in Rauris, die eine runde Summe machten; und Zufriedenheit derer, die sie lenkten. Es gibt da auch einen Ring, das Verdienst soll am Finger schon sichtbar sein. Der Finger gehört Erwin Gim-melsberger, dem Erfinder und Regisseur der Rauriser Szene, vielleicht kriegt er einmal zum Ring den Spitznamen Generalsekretär, möge der Föhnhimmel ihn davor bewahren, mit dem Titel den Namen zu verlieren.

Und nocheinmal zurück zum Anfang: nach schicklich ausgeteiltem Beifall darf vielleicht der Chronist einen Wunschzettel ins Fenster legen: Literatur nicht allein in Rauris, sondern auch für die Rauriser zu veranstalten, deutlicher: in Bauernhöfen das Gastrecht zu achten, bei der Auswahl dessen, was man liest, auch daran zu denken, daß der Herrgottswinkel keine Einbildung der Folklore ist, äußersten Falles also in Bauernstuben wenigstens nicht vermuten zu lassen, daß man keine Kinderstube gehabt hat; sich höflich an den Apperzeptions-möglicheiten des ländlichen Publikums zu orientieren; Intellektuelle nicht mit intelligent zu verwechseln; Literatur zu bevorzugen, die unterhält, ohne Unterhaltungsliteratur zu sein; den Raurisern immer wieder zu danken dafür, daß sie auf ein Stück Güterweg verzichten, damit Literatur einen Weg versuchen kann.

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