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Fast zwei Jahrzehnte lang betreute Erwin Gimmelsberger die Literaturtage. Seit vier ihren ist. Britą Steinwendtner lerz und Kopf der Veranstaltung, ie inzwischen im deutschsprachi- en Raum einen hervorragenden ‘latz einnimmt. Durch die Jahre lieb die Grundidee Gimmelsber- ers die gleiche: die Autoren in ei- er Landschaft zu versammeln, ie mitunter wie aus dem Mär- henbuch scheint, sie nicht nur zu iner Lesung einzuladen und sie nieder heim zu schicken, sondern n Gespräch mit ihnen zu bleien, Gelegenheit zu geben zu Be- anntschaften oder gar Freund- nhaften. Außer den öffentlichen .esungen hat sich der Brauch ein- ebürgert, daß die Rauriser einen iutor ihrer Wahl zu einer „Stör- Lesung“ zu sich einladen, ohne ledien, nur Familienangehörige nd Nachbarn als Zuhörer.

Was Steinwendtner am Herzen :egt, ist Übereinstimmung. Das leißt: keine Beliebigkeit im Pro- ramm, weltanschauliche und sti- istische Anknüpfungspunkte un- sr den Autoren. Das zeigt sich uch darin, daß einer den anderen or seiner Lesung einleitet. Als

weitere Neuheit bemüht sich Steinwendtner darum, jedes Jahr einen kaum bekannten Auslands-

autor vorzustellen. So ist Rauris nicht nur seit langem ein Sprungbrett für junge Talente, die erstmals in der Öffentlichkeit lesen, sondern auch für Autoren, die aus politischen oder anderen Gründen weder Sitz noch Stimme in der literarischen Öffentlichkeit hatten.

Seit Beginn der Literaturtage gibt es den begehrten Rauriser Literaturpreis (80.000 Schilling) für die beste deutschsprachige Prosaerstveröffentlichung. Er wurde dem in Berlin lebenden Thomas Lehr für seinen bisher völlig unbeachteten Roman „Zweiwasser oder die Bibliothek der Gnade“ zugesprochen. Es ist eine Satire auf den Literaturbetrieb. Lehr

weiß, wovon er spricht, denn er hat ein Jahrzehnt seines Lebens um Anerkennung seiner Arbeit gekämpft. Mit „Zweiwasser“ hat er sich seinen Frust von der Seele geschrieben. Mythos ist in diesem Buch mit Gegenwart verzahnt. Troja ist der literarische Kriegsschauplatz. (Der Treppenwitz der Weltgeschichte ist, daß genau das, was er zehn Jahre lang bekämpft

hat, ihn jetzt mit Glanz und Gloria eingeholt hat. Wogegen wird er jetzt schreiben?)

Den Förderungspreis (40.000 Schilling), der für einen jungen Autor vergeben wird, erhielt der Salzburger Wilfried Steiner für „Wintersonne". Die Jury hätte gut daran getan, diesen Preis heuer nicht zu vergeben. Der Text ist schlicht schlecht geschrieben.

Robert Schindel, Wien, als Harlekin der Schreibkunst angekündigt, hielt Wort. Er las aus seinem Erzählband „Die Nacht der Harlekine", einem aus dem Wiener Milieu, „halb lustig, halb traurig" und aus dem Roman „Gebürtig". Anderntags gab es zwischen ihm, Schülern eines Gymnasiums in Hallein und Germanistikstudenten aus Salzburg ein Gespräch, aus dem das Interesse der jungen Leute an seinem persönlichen Schicksal (als Angehöriger des Volkes, das er als „Leidensgemeinschaft" bezeichnet) im Dritten Reich hervorging.

Die Sternstunde war dem unbekannten Autor Kasem Trebe-shina zu danken. Er hat 18 Jahre seines Lebens in KZs und Gefängnissen verbracht. In Rauns war es das erste Mal, daß er ein Buch von sich in den Händen hielt und in Öffentlichkeit und Freiheit lesen durfte. Er las Gedichte und Prosa in seiner Sprache und vrarde übersetzt. Die Zuhörer feierten ihn wie lange keinen Autor mehr.

Günter Herburger aus Isny im Allgäu las einen Marathon-Monolog mit einer phantastischen Fülle von Assoziationen. Ein volles

Haus fand auch ein Dreiergespräch Günter Herburger, Brita Steinwendtner, Peter Turrini, in dem Privates und Handwerkliches eine runde Mischung ergaben. Steinwendtner fragte nobel aber gründlich. Die Autoren antworteten so ehrlich sie konnten.

PROVOKANTES VON TURRINI

Für seine Autorenlesung hatte Turrini den Text „Grillparzer im Pomoladen" ausgewählt. Etliche „Rauriser" verließen den Saal, weil sie nicht verstehen konnten, daß Pornographie als Literatur zur Kunst erhoben wird. Am Abend gab’s wie immer Theater: Turrinis „Maria und Josef" mit Julia Gschnitzer, Fritz Muhar und Peter Turrini. Es war Theater, wie man es in Wien oder Berlin nicht besser hätte sehen können, was besonders der eindringlichen Handschrift des Regisseurs Klaus Gmeiner zu danken ist. Das übervolle Haus tobte vor Begeisterung.

Das Schlußwort hatte der derzeitige Rauriser Marktschreiber Walter Müller. Er las „Rauriser Impressionen" und aus dem Buch „Ich schau dir in die Seiten, Kleines". Es war ein würdiger Abschluß. Müller schreibt eine transparente Sprache, die mehrbödig ist. Er versteht die Kunst der Wiederholung wie kein anderer. Er versteht, die Menschen lachen zu lassen. Er versteht, die Realität abzufangen und mit wenigen Worten in eine neue Dimension zu versetzen. Die Sympathien des Publikums waren ihm sicher.

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