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Heimatgeschichten

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Wenn vom Pöstlingberg die Rede ist und vom Pfenningberg und wie lange man nach Steyregg braucht und durch den Haselgraben und daß die Maximiliantürme von Erzherzog Maximilian erbaut worden sind und wie aus Flachs Leintücher werden in Rohrbach, dann haben wir Heimatkunde. Babylon und Cäsar und die Entdeckung Amerikas kommen später, dann aber zweimal, einmal im Untengymnasium, das zweite Mal im Obergymnasium mit etwas mehr Schlachten dazwischen und ihren geistigen Hintergründen.

Natürlich kommen in der Heimatkunde auch Kelten vor, der Funde halber, die im Museum zu sehen und für den Unterrichitsgebrauch vorgeschrieben sind, aber sonst ist alles näher als in Geschichte, wie denn auch die Wege kürzer sind, Heimatkunde kann man überall zu Fuß oder mit der Tramway erreichen.

Die Heimat kennenzulernen, sind von der Unterrichtsverwaltung Wandertage unter Aufsicht einer Lehrperson vorgesehen. Die Wanderung führt durch Wälder und über Wiesen iri ein Wirtshaus mit Kracherl; die schlechte Lernerfolge haben, trinken heimlich Most. Man sieht, Heimat ist eher ein Berg- und Wiesenbegriff, das Vaterland hingegen, das erst im Gymnasium durchgenommen wird, eher einer mit Marsöhmusik. Beide muß man lieben. Für den Fall, daß die Heimatliebe siöh nicht äußert, ist anzunehmen, daß sie noch schlummert, weshalb der Lehrplan Maßnahmen empfiehlt, sie wachzurufen; halbwache Heimatliebe wird gefördert. Sehr geeignet dafür ist ein Spruch von Eichendorff, aus dem deutlich wird, wie es dem Wanderer weit von der Heimat ergeht. Und das kann einem, von Linz aus gesehen, beispielsweise schon in Wien passieren.

Wer in die Oper geht, weiß, daß Heimat dort ist, wo seine Wiege stand. Trotzdem haben manche in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten, etwa in Orten, wo Schnellzüge nur kurz halten, Schwangere demnach oft zurückbleiben müssen. Eine Tramway allein macht dann noch keine Heimat.

Oberösterreich wird eingeteilt in das Mühlviertel (das Obere und das Untere), in das Innviertel, das Traunviertel und das Hausruckviertel. Der Mühlviertler (der Obere wie der Untere) ist gern nach Linz gekommen, meistens der landwirtschaftlichen Produktenbörse wegen oder weil ein lahmendes Pferd in den Sohlachthof hat müssen. Die Linzer nennen den Mühlviertler einen Surm, mit Most gesäugt, wie er ist und bedächtig und rundköp-fig. Über das Innviertel wußte ich zu sagen, daß von dort der Großvater her ist und daß der Vater des Großvaters Seilermeister in Ried war und oft den Großvater gehaut hat mit dem Seil, das der Großvater selbst gedreht hatte, und ich konnte erzählen, daß im Lineer Museum eine Truhe steht, in der lauter Totschläger sind aus Kopfing, das ein Dorf im Innviertel ist. Beim Traunviertel habe ich gefehlt und auch meine Familie hat keine Verbindung damit.

Mein Vater ist aus Linz, sein Vater war es, und meine Mutter ist aus Linz und deren Mutter war es, und ich bin aus Linz. Die Mutter meines Vaters ist im Gitterbett gestorben und den Vater meines Vaters haben sie am St.-Nikolaustag tot aus dem Warenhaus gebracht und der Bruder meines Vaters hat sich erhängt. Er hat sehr gut Klavier gespielt. Und meinen Vater hat meine Mutter einmal mit dem Rasiermesser überm Puls erwischt und einmal hat er in den Hallstätter See gehen wollen. Auch mein Vater hat gut Klavier gespielt, aber er hat es mit meiner Mutter getan, und da war die Tristan-Ouvertüre nur in der Verlobungszeit, dann waren es meistens Walzer und Märsche. Und einmal haben sie ihn heimgetragen, den Schädel hatte er von einem Gewehrkolben beinahe zertrümmert, derlei passiert gern, wie man weiß, wenn sie auf der Straße den Weg in die bessere Zukunft suchen.

Obwohl Heimat sehr nahe ist und beiderseits einer Tramway oder in vier Vierteln, ist der Blick in der Heimat fast immer in die Weite gerichtet, wenn dafür geeignete Gebirge vorhanden sind. Ich habe den Heimatbliok aber nicht zuerst in Oberösterreich bemerkt, sondern auf einer farbigen Postkarte abgebildet gesehen, das Mädchen, im Dirndl (für Bergtouren unpraktisch, weil man darin leicht schwitzt), sah zum Langkofel hin und auf dem unteren Rand des Photos stand geschrieben Heimat Südtirol oder Verlorene Heimat Südtirol, und das hat auch mich traurig gemacht, weil der Vater erklärt hatte, daß da drunten die Katzimacher sind und daß das eine Schweinerei gewesen ist und Verrat, wo doch die Isonzoschlachten und daß ein Schnitzel immer größer wird, je mehr man es klopft. Es hatte nicht lange gedauert, bis ich auch so ähnlich hätte blicken können, allein das war in Ischl und daher ohne Langkofel, die Katrin ist ja kaum halb so hoch, und drunten waren keine Katzknacher, sondern Sommerfrischler gleich uns, und der Heimatblick war Teü des Gipfelglücks, und weil drunten Fanny war, die gestern wieder um die Milch war, als ich ihr hätte etwas Bestimmtes sagen wollen.

Er wurde am Ladogasee erschossen. Erschossen wurde er, man darf nicht sagen, er sei gefallen. Gefallen, das ist für die Nachrichten und den Namen auf dem Grabstein oder auf dem Denkmal im Dorf. Markus wurde am Ladogasee erschossen.

Das war der, mit dem du geklettert bist?

Ja.

Und — warum bist du eigentlich geklettert?

Wahrscheinlich hat es sich leichter pubertiert, wenn man klettert. Und einen Trenkerhut auf hat. Und eine Pfeife. Und drunten ein Mädchen. Ich habe immer darauf geachtet, daß drunten ein Mädchen ist, wenn ich hinaufgehe. Man klettert angenehmer, wenn man weiß, daß man hinunterfallen und tot sein kann und das Mädchen weinen muß, denn sicher ist sie den Abend zuvor aus Trotz um die Milch gegangen.

Depp.

Das hat sie auch gesagt. Aber dann hat einmal eine gesagt: ich habe Angst.

Und?

Das hat mich demoralisiert. Ich bin in der Scharte sitzen geblieben, und Markus ist allein hinauf.

Und da war es aus zwischen euch?

loh weiß es nicht. In der Scharte hat er mioh dann noch umarmt und hat gesagt, ich mag doch so gern, und dann hat er ausgespuckt und gesagt: Scheißzeug, diese Weiber. Und das Nächste war dann der Brief seiner Schwester, wo das dringestan-den ist vom Ladogasee.

Meine Mutter sagt immer, daß sie dort und dort nicht einmal möchte begraben sein. Sie sagt es von Orten, die Bahnknotenpunkte sind oder keine Gebtage haben. Und es waren im Lauf der Zeit viele Orte, an denen meine Mutter nicht einmal hätte begraben sein mögen, woraus man einigermaßen hatte schließen können, wo sie hatte leben wollen. Ich hingegen möchte dort und dort nicht leben, und es sind in dieser Zeit immer mehr Orte, an denen ich nicht leben möchte, und bald werden es alle Orte dahin gebracht haben, daß man an ihnen nicht leben mag und dann wird Heimatliche unter Erde gehen. Und da der Österreicher seine Heimat liebt, hält Österreich jetzt schon die Spitze in der Selbstmordstatistik.

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