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Zaubertal, Duft aus ferner Zeit

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Als Linz noch zwei, drei Buchstaben ständig vergeudete, einen Punkt zudem hinter jedem, nämlich a. d. D., sich von einem gleichnamigen Flecken am Rhein zu unterscheiden und also darauf bestand, seinen Namen dem Strom verbunden zu wissen und Linz an der Donau zu sein, da waren das Zaubertal und das Wirtshaus dort Ziel des Osterspazier-

ganges mit Eltern und Tanten und Onkeln und Ostereiern zwischen Primeln und frühjährigem Gras und wie zögerndem Bachlauf unter tief hängenden Weiden hin.

Die Mühe für Beine und Lunge

war gering, zumal der Vater von Körperbewegung um ihrer selbst willen ebenso nichts hielt wie von frischer Luft und kaltem Wasser; der Mensch bedürfe der Wärme, jener des Nestes zuerst, der des Wirtshauses nachmals, und das Wasser betreffend, sagte der Vater, sei es als Bach oder Fall über Felsen herab eine Zierde der Natur, erhitzt sicher der Reinlichkeit dienlich, für den Genuß jedoch völlig ungeeignet, weil von Genuß erst gar keine Rede sein könne, Überschläge man die Millionen Bakterien, die man mit einem einzigen Schluck aufnehme.

Ich habe nie gefragt, warum dieses Stück Karrenweg von der Donau ab und landein zwischen Granit und Sträuchern und Mischwald Zaubertal heiße. Mir genügte, mich freute das Wort. Damit, daß ich wußte, jetzt gehen wir

in das Zaubertal hinein, war in mir etwas umgestimmt, zuversichtlicher geworden. Das Wort ist stärker gewesen als es die überprüfbare Wahrnehmung gewesen wäre, hätte man sie überprüft. Und das hielt so die paar Jahre vor, da es Briefschaften gab an Christkind und Osterhase, die Zeit, in der das erzählende Wort, das Legendenwort noch von keiner Erfahrung gestellt wird, den Glauben kein Zweifel bedrängt.

Und irgendwann einmal endet es, weder Stunde noch Grund dafür sind auszumachen. Erinnerung kapselt sich ab, verliert sich in Vergessen, kommt wieder herauf. Aber dann hat das Alter einen anderen März, zeigt das wachsende Licht ihm anders das noch leere Land.

Der Mann geht und geht, mit dem Stock macht er Geräusch-

punkte, sie geben seiner Ruhe das Regelmaß. Wenn ein alter Mann geht, sagte der alte Mann, in so einem Märztag über hell aufgetanes Land geht, es sei ihm, als könne er mit diesem Gehen noch ein weiteres Mal entgehen, mit jedem Schritt, den er tue, fühle er der Lichtlosigkeit ein weiteres Mal noch entgangen zu sein, Lichtlosigkeit nämlich lege sich so dicht auf, daß das Herz im Tunnel schlage.

Es ist nicht vorauszusetzen daß, und nicht vorauszusagen wann Kindheitsbilder ein, zwei Generationen später in uns eintreten, der Kalender mit heiligmäßigen und anderen geschichtlichen Daten ist da eher ein unsicherer Helfer, aber die Erde, unterm Mond vom Nachtfrost umspannt, plötzlich im Pfauenschrei und vom Föhn aufgeschlagen — ja, sagst du, dich nach langlangen Jahren wieder erinnernd, es war ein Duft aus Dunst und Schatten und herbeigewehter Wärme, und du sagst, daß du dich zu erinnern vermeinst, ein Karrenweg entlang einem Wasser unter Weiden hin habe Zaubertal geheißen und es sei Ostersonntag gewesen und man habe erziehungsstrenge Tanten mit Sträußen von Primeln versöhnen müssen.

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