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Südländisches zur Unzeit

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Venedig im Nebel frühen Winters ist ertapptes Venedig, ertappt über einer Gegenwart, deren Farben ausgelaufen sind, barer Leblosigkeit den Übergang zu machen.

Tod in Venedig, literarische Attitüde, Ghasel und Novelle, Stra- winsky-Condukt, doch die Wirklichkeit ist nicht ästhetisierbar, entschwunden der Zug, die Prozession, Ansehen und Geschichte, aus Geräusch von Füßen, Ruderschlägen setzt sich Nachhall ab, Verlassenheit. Die Piazza hin .vier Menschen und ein Hund. Tagsüber jedoch müssen da mehr Hunde gewesen sein, so viel ist überall von Hunden. Aber im Teatro la Fendce musiziert man am Nebelnachmittag durchaus nicht so, daß es sich lohnte, das von den Hunden zu entfernen. Und Kot in Venedig hat immer Saison. Von San Giorgio die Nebelglocke, Richtzeichen inmitten all der Gesichts- losigkeit, je Sekunde ein Schlag, du aber denkst, es werde dir die Frist vorgezählt, der Hahn tropft, möchtest du sagen, dreh den Hahn zu, solches Tropfen läßt nichts anderes in den Sinn als daß es tropft, es drängt dir ein Mitzählen auf, irgendwann beginnst du mit eins, aber du verlierst immer wieder ebenso irgendwann die Zahl, über die hinaus es weitergehen soll…

In Venedig und Nebel geht nichts weiter, auch die Zeit nicht, sie fällt bloß ab, fällt ab von San Giorgio auf immer dieselbe Stelle, jede Sekunde sohlägt Zeit in Unbegrenztes, Offenes, erst voll Nebel wird aus Nacht Finsternis.

Zweifellos, in diesem Nebel, diesem frühen Wintemebel ist Venedig ehrlich, ohne Zuvensichtsimport. Die Venezianer wollen ja Venedig sterben lassen, nur internationale Solidarität versucht, sie daran zu hindern, beispielhafter Fall für Verwechslung von musealer Ambition und historischem Sinn. Man soll eine Stadt verenden lassen, die nur mehr einen Fischmarkt und am Samstag eine Lista di spagna zu beleben imstande ist. Die Stellung der Barbaren in Marghera scheint uneinnehmbar. Die griechische Quadriga, die nach zweieinhalb Jahrtausenden endlich der Verfall einholt, duldet und bezeugt es.

Sie fragen mich, verehrter Freund, welcher Art Laune verantwortlich sei dafür, daß ich in diesen Tagen späteren Winters es vorzog, das Saisonrenommėe winterlicher Landschaft und ihrer sportlichem Nutzbarkeit dranzugeben für ein paar Tage südlich des Brenners, genauer, wie ich Ihnen anzeigte, zugunsten eines der Kürze wegen offensichtlich beiläufigen Aufenthaltes am Gardasee, in Verona, alles in allem einer Localität’, die zu solchem Moment kaum mit. einleuchtenden Vorzügen einzunehmen vermöge. Nun, einfach dem Jahr entgegenzureisen, in seine Vorbereitungen für unseren Frühling zu geraten, wofür wir nördlicheren Bewohner eine urzeitenher überkommene Neigung haben — solch blanken Beweggrund kann ich diesmal ausschließen, hat doch etwa Verona verglichen mit Salzburg nur eine geringe Vorgabe jahreszeitlicher Entwicklung, der heimische Föhn schafft da mancherlei Verkehrungen: allein ich gebe zu, der erste blühende Mandelbaum, die gelb aufbrechenden Ginsterhecken, sie führten ein heiteres Einverständnis herbei, man wußte bloß nicht, Einverständnis womit. So wenigstens war meine erste Regung, die in ihrer inhaltlichen Ungenauigkeit aber nur kurz anhielt, bis ich nämlich unweit jenes Mandelbaumes Landarbeiter schwarze Oliven in hartmaschige grüne Netze fassen sah. Und also, verehrter Freund, vermag ich Ihre Frage zu beantworten: sehr vergrößert gesagt, es war eine Reise zum Ölbaum, einen Ölbaum sehen, die schwarzen Früchte in das Netz schlagen sehen, das war es, was mir die Unruhe eingab und Ihnen als Laune erscheint, die Sehnsucht — das Wort setze ich bewußt — nach dem Ölbaum, seinem widerstrebenden Wuchs, der zudem in einem Dauer anschauen läßt. Und schwarze Früchte schlagen ins Netz, und daneben in kurz hartes Gras. Es war viele Jahre hin, bis ich zum ersten Male einen Ölbaum gesehen hatte, doch da war fürs erste diese sophokleische Strophe: Hier grünt — nämlich auf Kolonos — ein Gewächs, unverwelklich, schimmernd im Laube: der Ölbaum. Den fällt keiner, ob jung er oder im Alter herankommt, mit verwüstender Hand. Denn ewig sieht schützend das Auge des Zeus auf ihn nieder und schimmernden Blickes Athene. Es war Jahre nach dem Entzücken über diesen Zeilen, daß ich an der Sorren- tiner Küste, in Vico Equense einen Terrassenwetg entlang unter ölbäumen ging, Abend für Abend und Tag für Tag, die staubsilbemen Blätter zitterten mittags in zustoßendem Novemberwind und fleckigem Licht, welches das Meer heraufwarf. Und seitdem war es immer wieder, daß ich verfügbare Zeit und Mobilität auf den Ölbaum hin ordnete, plante, als vergewissere einzig er mich — ja wessen? Man pflegt Pflanzen und Bäume abergläubisch, literarisch, brauchtümlich zu behelligen, so die Linde als Rast- und Jausenstation, die Tanne zwecks Praktdzierung christlicher Heimmetaphysik: jaja, verehrter Freund, ich höre bereits Ihre Ergänzung und zugleich Replik, Legenden vom Ölbaum betreffend, indes, Sie conzedieren gültig die Ungenauigkeit, mir ist der Ölbaum das Ziel einer Flucht aus der Zeit in die Zeiten, in einen Zusammenhang, da Religion noch nicht in Konfessionen zerfallen war. Der Ölbaum, alle- malen heilig einer Frömmigkeit reichst differenzierter Inhalte eines Betenden — verehrter Freund, ich darf Ihrer Zustimmung sicher sein?

Zeichnungen: Susanne Thaler

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