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Thomas Mann in Rom

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Die folgende Schilderung der Papstaudienz Thomas Manns entnehmen wir dem Erinnerungsbuch „Vergangenes und Gegenwärtiges“ von Monika Mann (Kindler-Verlag, München). Wie uns Erika Mann, die älteste Tochter und Nachlaßwalterin des Dichters, mitteilt, fand der Rombesuch nicht im letzten Lebensjahr Thomas Manns statt (wie der Verfasser der Rezension „Was die Töchter erzählen“ in der „Furche“ vom 18. August vermutete), sondern bereits früher. Die Redaktion der „Furche“

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Die folgende Schilderung der Papstaudienz Thomas Manns entnehmen wir dem Erinnerungsbuch „Vergangenes und Gegenwärtiges“ von Monika Mann (Kindler-Verlag, München). Wie uns Erika Mann, die älteste Tochter und Nachlaßwalterin des Dichters, mitteilt, fand der Rombesuch nicht im letzten Lebensjahr Thomas Manns statt (wie der Verfasser der Rezension „Was die Töchter erzählen“ in der „Furche“ vom 18. August vermutete), sondern bereits früher. Die Redaktion der „Furche“

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Rom ist eine schöne Stadt. Zwar schrecken mich die Karawanen ab, die das Schöne dort mit Feldstechern fressen und die Sonne verdunkeln. Ich bin selbst mit dem Fiaker durch Casablanca oder durch Verona gefahren und habe nach zwei Stunden schon gemeint, die verschleierten Damen in den Basars, die rehschlanken, dunklen Kinder mit den flehend ausgestreckten Händen, das Reich des Sultans mit seinen Zaubergärten, die weißen Moscheen im Himmelsazur, die Maultiere auf dem schimmernden Fels über dem hellblauen Meer gehörten nun mir; oder das anmutig feierliche Städtchen von Romeo und Giulietta kenne ich nun. Und weiß ich doch nur zu gut, daß wir mit dem Schönen allmählich vertraut werden, es gewinnen müssen, daß es sich nicht vergewaltigen läßt. Ich weiß, daß ich in Venedigs orientalischem Glanz, in seinen mulmigen Düften, seinem gespenstisch-innigen Gassen-und Stimmengewirr lange leben müßte, um es zu verstehen. Und Rom? Ja, hundert Jahre reichten wohl aus, um seine Fülle zu begreifen. Ich stürzte mich nicht darauf, sondern ließ es langsam auf mich einwirken — etwa wie hohe Bergluft oder alten Wein. In meinem Aebtissinengemach hörte man den Lärm nur von fern. Vor meinen Fenstern hingen die Glyzinien wie schwer parfümierte Trauben, und das ehemalige „convento“ blickte auf Flachdächer, wo üppige Mädchen singend die Wäsche zum Trocknen hingen. Die Motoren und Glocken, die kühne, ja brutale Stimme Roms klang hier wie eine Vision. Hier schrieb ich meine „verwegenen Stückchen“, wie mein Vater sie nannte, ordnete meine kleinen Gedanken auf dem großen Tisch, der für mich viel zu massiv und ehrwürdig war. Aber das Massive und Ehrwürdige in Rom ist gleichsam wie ein großes heiliges Tier, das sich von uns Menschlein streicheln läßt. Die mächtigen uralten Dinge, Paläste, Säulen, Tempel, Brunnen, Gärten und Ruinen, sind trotz ihrer Jahrtausendschwere leicht und voll Gegenwart, voll buntem, warmem Tumult des Lebens, das seit seinem Anbeginn bis heute ein ununterbrochener Tag zu sein scheint. So ist es auch in der Ordnung, daß hier das Alte Schulter an Schulter mit dem Neuen steht, daß „stream-lined“ Autos vor dem Pantheon stehen, „streamlined ladies“ und lateinisch redende Mönche auf dm Pincio Spazierengehen.

Meine Eltern kamen nach Rom. Mein Vater hatte es seit genau fünfzig Jahren nicht gesehen und schwelgte in Jugenderinnerungen. Dort stand noch dieselbe Kneipe, wo er mit seinem Bruder Heinrich lange Unterhaltungen mit dem Wirt pflegte, dort war die Spanische Treppe, wo sie Goethes italienische Reise zitierten und Karikaturen malten, und hier war das Theater, wo Wagner ausgepfiffen und „Viva Verdi!“ geschrien wurde, da war die Villa Adria und Ostia Antica — jene landschaftlichen Stadtfragmente mit ihren reinen Formen und Mosaikvisionen, in denen Menschenwerk Natur geworden ist.....Roma!“ —

mein Vater exklamierte es mit jenem klassischitalienischen offenen O, und bei dem Klang war er sich seines ganzen Wertes bewußt: stolze Tradition und kindlicher Ewigkeitssinn schwangen hier mit. Er wußte manche solche Klänge hinzulegen, ohne der Sprache kundig zu sein, und es genügte vollauf, es war durchaus wesentlich für die Atmosphäre dieser Stadt, die er verehrend liebte. Es war wohl mehr eine künstlerische als eine menschliche Liebe, es war wohl eine innere Fusion von Kunst und Religion, ein Sichbeugen vor den ewigen Werten. Als wir auf dem Aventino, jenem vornehmsten und feierlichsten der sieben Hügel, spazierten und auf die vatikanische Stadt im Frühlingsglanz blickten, scherzte der eingefleischte nordische Protestant: Wenn ich hier leben würde, würde ich wahrscheinlich katholisch werden. Und so gescherzt war es auch wieder nicht! In diesen Worten kam jenes „Universelle“, jenes „AU-Umarmende“ zum Ausdruck, das sein Alter gleichsam verklärte, und er wollte wohl damit sagen, daß — rein symbolisch betrachtet, frei von allem Mißlich-Wirklichen — hier eine einzige und hohe Festung stand, inmitten einer zerrinnenden Welt.

Dies hat ihn wohl bewogen, beim Papst um Audienz zu ersuchen. Sie war ihm gewährt, und er war bis zu seinem Ende erfüllt davon. Werde ich's vergessen, wie er in der „Lobby“ meiner Pension saß und erzählte? Im schwarzen Kleid — das winzige, aber rote Abzeichen der Ehrenlegion im Knopfloch — wirkte er wie einer, der eben eine hohe Prüfung abgelegt, oder wie ein Mitwirkender eines eben verrauschten hohen Schauspiels. Er erzählte wie ein Knabe, der einen schönen Traum erlebt, oder vielmehr, dem ein schöner Traum in Erfüllung gegangen war. Der wirklich von einem Goldsaal zum anderen wandeln durfte — ganz wie er es geträumt — und endlich zwischen großen Herren einen Platz angewiesen bekam (es ging jetzt ungefähr zu wie im Wartesaal eines großen Arztes), um sogleich aufgerufen und von einer Schweizergarde und einem Kardinal durch das letzte endgültige Portal vor das Angesicht des Heiligen Vaters geführt zu werden. „Er kam mir entgegen, nicht ich sollte auf ihn zutreten, und er stand während der Unterhaltung. Er hält immer stehend Audienz. Es kam mir vollkommen natürlich vor, beim Abschied vor ihm ins Knie zu gehen und den Fischerring zu küssen. Ich beugte mich vor den Jahrtausenden.“ Er sah in Papst Pius XII. — der übrigens im gleichen Alter mit ihm stand, von zarter, anfälliger Gesundheit war wie er und dessen Geist und Wille auch immer wieder über physische Gebrechen siegte —, er sah in ihm einen symbolischen Bruder, einen, der gleichzeitig — nur auf geistlicher Ebene — mit ihm den Geist vertrat.

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