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Der Abbe von Valognes

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Valognes ist keine Tagreise von Paris; aber Paris liegt fern wie ein außerweltliches Phantom hinter den Buschzeilen des normannischen Weidelands. Das Städtchen ist uralt. Den Römern war es einst bedeutend genug, ihm an okzidental modernem Schliff einiges angedeihen zu lassen. So wird es halbwegs verständlich, daß ich zu meiner Zeit in dem abgeschiedenen Provinzstädtchen nichts Drangvolleres im Sinne hatte, als den Grundrissen jener antiken Badeanstalt nachzuforschen, welche von wenigen spärlichen Quellen der Überlieferung noch bewässert wurde. Ich kam freilich nicht weit. Als Fremdling war es mir wohl auch verstattet, auf Weidegründen und Vorgärten der Einheimischen nach fraglichen Ruinen zu wühlen. Eines Tages wieder vertraute ich mich einem Hausbesitzer an. Der alte Mann schien sich meiner Harmlosigkeit zu erbarmen und gab mir einen guten Rat. Ich sollte den Professor aufsuchen, den alten Abbe S.,. in der Rue San Malo; das sei ein gescheiter Mann, der ‘selber auch viel Zeit vertan und sogar Bücher geschrieben habe für solcherlei Wissenschaft.

Die Rue San Malo war ein Gehege von Winkel werk, Stiegen und Stegen. Alsbald aber fand ich mich vor dem gesuchten Haus. Es war unansehnlich wie alles wahrhaft Bedeutende: wie die Muschel, die die Perle bergen mag. „Sonnez!“ — Ich zog an einem Drahtende. Damit aber beginnt das Merkwürdige meiner Geschichte. Es klingelte nicht, sondern eine Handvoll Staub und Mörtel ergoß sich über den Barhäuptigen, der mit dem eitlen Drahtende unschlüssig dastand. Sonnez! — Ja, man durfte nichts wörtlich nehmen. Äußerlichkeit ist Trug, wenn du die Weisheit suchst. — Hinter’ der Tür schlurften ländliche Pantoffel. Eine dünne Stimme fragte nach meinem Begehr. Ich entschuldigte mich tausendmal, in dem Gefühl, etwas furchtbar Ehimmes gemacht zu haben Ich bat, den Herrn Professor für eine Minute stören zu dürfen. Darauf wurde ich eingelassen. Ich begrüßte eine weißhaarige Matrone, die mich aus unzähligen Fältchen des mageren Gesichts anlächelte und mir den Staub von den Schultern klopfte.

Die Alte streifte die Pantinen ab und stieg die Treppe hinauf, die zu des Herrn , Gemächern führen mochte. Derweilen bot sich mir durch eine offene Tür ein Anblick von entrückender Zeitferne; eine rauchschwarze Küche, die ein hintergründiges Flackern erleuchtete, mit Truhen und Kasten; Messingschimmer im Ungewissen. Von den Deckenbalken hingen rundliche Schemen. Ein Geruch nach Schinken und Wurstzeug beseligte die Atmosphäre. — O trauliches Bild und klassische Erinnerung! So mochten weiland Philemon und ßaucis ihre Zeitlichkeit überlebt haben.

Da kam sie auch zurück, Baucis, und wies mit stummem Neigen den Weg über die Treppe. Einen Gedanken lang verweilte ich droben vor der angelehnten Tür. Würde ich hier Philemon finden, Professor der Sorbonne? — „Entrez!“ — Ein angenehmer Baß. Ich trat ein. Weiß Gott, wie mir geschah. Ich stand wohl da wie vor dem Glockenzug und wußte mich mühsam zu fassen. Ich machte auch den Mund zu und war höflich, als der Greis mir mit Liebenswürdigkeit aus einem Chaos von Büchern, Papieren und ungewöhnlichen Dingen die Hand entgegenstreckte. Aber darauf folgte die fatalere Bewährungsprobe. — „Asseyez vous, Monsieur!“ — Nehmen Sie Platz! Nichts wörtlich nehmen, schoß es mir durch den Kopf. Wohin denn, Freunde, wollt Ihr euch setzen; auf einen Stoß von Journalen, die einem verrenkten Stuhl schon aufgelastet sind? Er würde der neuen Bürde zum Opfer fallen. Oder habt Ihr die Stirn, euch mit dem füglich Ungenannten auf einen Goldschnittfolianten niederaulassen, der die zweite Sitzgelegenheit einnimmt? — Es wäre euch nicht besser ergangen als mir. Ich stand da, wie jener Tor… Doch dann raffte ich mit Leibeskräften den Folianten auf, setzte ihn auf einen Berg von seinesgleichen uhd mich selber auf den freigewordenen Stuhl. Er hatte ein zerbrochene Bein; es war mir nur rechtzeitig aufgefallen.

— Der Professor lächelte mild. Ich bekam das Gefühl, imponiert zu haben. Mit knapper Not hatte ich nun o viele meiner Gedanken wieder beisammen, um meine Bitte zu erklären und verständlich vorzutragen. Die geschichtliche Frage war dem Abbe durchaus nicht ungelegen. Er ging mit einem Interesse darauf ein, als hätte er sich eben selbst mit der gleichen Sache beschäftigt. Dann erbat er sich ein Weilchen Geduld und griff mit überraschender Sicherheit aus einem Haufen von Büchern auf dem Fußboden ein bestimmtes heraus. Inzwischen war es mir gegönnt, das Auge an den sonderbaren Anblick meines Gegenübers und die verwirrenden Eindrücke seiner Umgebung zu gewöhnen. Ein breiter Schreibtisch schnitt die füllige schwarze Soutane ab; just, wo um die Mitte des Leibes die gradlinige Reihe der Knöpfe sich auszuwölben begann. Auf dem Ansatz der gelblichen Beffchen balancierte unmittelbar wie eine Kugel der kahle Kopf; leise wiegend, indessen die Hände flink in dem aufgeschlagenen Buche blätterten. Die hellen Augen, mit lebhaften Fältchen wie von Federspielen umkränzt, standen in seltsamem Gegensatz zu der behäbigen Gestalt. Dieses ungewöhnliche Menschenbild beseelte eine Wüstenei von scheinbar hoffnungsloser Liederlichkeit. Das eigentliche Kuriosum dieses Zustandes aber war der Schreibtisch. Ein Ringwall von Wust der Jahrzehnte bedeckte die Platte und schien, von den Ellenbogen des Schreibenden zuweilen befördert, sich allmählich über die Ränder abzuschütten. Es häufte sich vor vergilbten Broschüren, ehrwürdigen Dickleibern mit zerfranstem Schnitt; ein Bilderrahmen lugte unter Briefschaften hervor; altväterliche Enveloppes, verblaßte Schriften, Marken aus aller Welt. — Die Post von gestern steckte in Voltaires; „Temple du goüt" … Als mich der Alte zu sich heranwinkte, um mir eine aufschlußgebende Stelle in seinem Buche besonders vor Augen zu führen, vergaß ich gänzlich, ihm zuzuhören. Über seine Schultern hin ergötzte mich ein Stilleben, welches meine volle Aufmerksamkeit fesselte. Ein umgestoßenes Tintenfaß hatte den Untergrund gemalt. Zigarrenstummel, Nußschalen, Münzen lagen beschaulich umher. Dieses Ad libitum auf dem Schreibtisch aber setzte sich im großen rings bis an die Wände fort. Es hingen dort Bücherregale mit gebrochenen Läden, Autoren waren gestürzt, deren Namen andererorts unvergänglich schienen. Vor Dante Alighieris Büste trauerte ein Regenschirm. Es herrschte eine Art tragische Verwirrung unter den Dingen, die sich durch Staub und Spinnweben zu verbergen suchte. Kamin und Spiegel, die Wahrzeichen transrhenanischer Wohnlichkeit, hatten sich vollends dem Trübsinn überlassen; der Spiegel war erblindet und neben der Feuerstelle des Kamins gähnte im Boden ein Loch, durch welches man ins Erdgeschoß sehen konnte. Vor Jahr und Tag mochte es einmal durchgekohlt sein, während der Alte über den ‘ Büchern hockte. — Er sah und hörte nichts.

Er wußte nicht, daß es unter dem Papier von Mäusen raschelte. — Er ahnte nicht, daß ich über dies und alles andere mir Gedanken machte. Unentwegt glitt sein Finger den Zeilen nach. Halblaut murmelnd las er vor sich hin. Und sooft er einen Satz gefunden hatte, den ich wissen sollte, drehte er sein breites Gesicht herum. Seine Augen zwinkerten mir voll Eifer zu — Voyez- vous, voyez-vous!

Aber ich wollte nicht allein von den Seltsamkeiten erzählen, die ich bei dem Alten erlebt habe. Es sei noch gesagt, daß ich von dem Tage an bei ihm ein- und ausging und sein Schüler war. Was er mich lehrte, stand zum wenigsten in seinen Büchern geschrieben. Es war seine bezwingende Güte und Hilfsbereitschaft, die mich anzog; daß er keine Mühe scheute, sich mitzuteilen; daß er seine Sprache sprach, wie sie im Glanz von Versailles nicht schöner hätte gesprochen werden können. Stunden habe ich so vor ihm gesessen; auf einem Stoß Zeitungen oder einem der wackeligen Empirestühle. Seine Kuriositäten behelligten mich nicht mehr. Staub und Spinnweben, die an allem hafteten, was ihn umgab, waren Patina, die man schonen mußte. Eines aber vor allem habe ich erkannt an dem Abbe von Valognes: wer inmitten von solcher Formlosigkeit und äußerer Verwahrlosung ein liebenswürdiges Lächeln bewahrt hat und mit seinen Gedanken so glücklich zu hausen versteht, der muß im Grunde ein weiser Mann und über Äußerlichkeiten wahrhaftig erhaben ein.

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