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Im Schimmer der Glut

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Umbertide, das in sich zerstreute umbrische Dorf nahe dem Elefantenleib des Monte Tezio und den Fluß entlang und den Flanken der langhin gezogenen Hügel und den Feldern darauf: das Bauernhaus am Ende des Kammes einer jener Hügel und vor wegloser Macchia hatte ich mir für eine Weile zur Wohnung bestimmt. Umbrien, so hatte ich gedacht, das geschichtsvergessene Land, das Land von sprachlosem Ernst unter dem römischen Sonnenbogen, mir nun Land im Dezember, da in Häusern daheim Barbarazweige gebündelt auf Märkten liegen und Tannenreisig, stockt der Luftzug über dem Platz, gequält zu duften beginnt — vielleicht, so hatte ich gedacht, wird mir hier nichts verstellt sein, mir Weihnachten nicht von Allerseelen an im Wege liegen, werden Nachrichten mir nicht die mögliche Botschaft verdünnen und zerstückeln.

Des Alters abgestreifte Jahre, denke ich, und ich denke, daß Erinnerung Fallaub ist, und in dem und dem Blatt der Farbton sich halten und sanftmütiger Schimmer, der Tod noch in Kulissen und ohne Auftritt -

In diesem Dezember schien Weihnachten sich mir zu entziehen, der Wind den Trasimener-see her roch nicht nach Schnee, nicht nach frisch ausgeackerter Erde, einzig darin, daß blattlos manche Bäume standen, zeigte sich die kargere Zeit —

Erst als eine Wolke, ähnlich einem Keil, die Sonne nahe ihrem Tiefstand spaltete, verrann feuchtere Kühle über den Feldern, rieb sich und knisterte die Macchia, schlug der verdorrte Ast im Feigenbaum gegen den Stamm —

Und so hatte ich den Mann nicht kommen hören, als er schon die Pergola durchschritt; ob es erlaubt sei, sagte er, und zugleich betrat er die Küche, legte ein Bündel ab, entnahm seiner Umhüllung, nein, Kleidern glich dieser Wickel aus Grau und Grün keineswegs, entnahm nun daraus ein ölbrot und erbat ein wenig vom Wein. Es komme die Kälte, sagte der Mann, die Kälte sei das Übel, und den Satz wiederholte er wie litaneiend, und dazu machte er Feuer an im Kamin, der in diesen Dörfern beiderseits der Glutstelle zwei Bänke hat, den Alten des Hauses zum wärmenden Aufenthalt-

Natürlich war ich unschlüssig, wie ich mit dem plötzlichen Besucher umgehen sollte. In die Flammen hinein schwieg er, trank nur langsam, was ich ihm einschenkte. Erst als das letzte Flämmchen in die Glut sich verkroch, sagte er, ob es erlaubt sei, und versuchte sich und seine Umhüllung auf der einen Bank im Kamin unterzubringen. Es sei gewiß das Fieber, sagte er, die Kälte sei das Fieber, er wünsche nämlich zu sterben, genau zu Weihnachten habe er sich vorgesetzt zu sterben, denn immer Geburt, alle Jahre wieder Geburt, der alle Jahre das Kreuz, alle Jahre wieder Kreuzigung folgt, der Anfang und das Ende, Sie müssen wissen, Herr, daß ich hier Kind war, Kind in diesem Hause, und daß dort, am unteren Ende des Tisches, vierzehn Personen sind da einmal gesessen, ja, dort hat einer meine Eltern erschlagen -

Noch in Kinderschuhen, bin ich alt geworden. Und er sagte, ob es erlaubt sei, die Wärme aus der Glut herauf liege wohltätig über dem Fieber, der Kälte — Ich war am Tisch sitzengeblieben, ich hatte die Glut verfallen sehen und den Wind aufkommen hören von der Macchia her gegen das Haus. Untiefen des Bewußtseins, schollengleich darauf Stük-ke von Träumen, Mäuse im Holz, übernächtige Feuchte, als ich mich aufzuwachen verkrampfte, sah ich die Bank im Kamin leer.

Das sei der Conte gewesen, sagte der Gemüsehändler, er heiße hier in der Gegend so, weil er seinen Unterstand habe im Schloß droben, in der Ruine. Ob er mich auch belästigt habe? Unversehens stehe er manchmal vor der Tür, ein Ärgernis den Feriengästen, und jedes Mal erzähle er diese Mordsgeschichte. Heute morgen sei er übrigens in der Bar gestürzt und sogleich, weil bewußtlos, ins Hospital gebracht worden. Dort wird er es besser haben als in der Ruine, sagte der Händler, ist doch gleich Weihnachten.

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