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Robinsons Freitag bleibt verboten...

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Am Ende des vergangenen Jahres waren manche Eltern in England ein wenig enttäuscht. Sie hatten ihre Kinder zu einer Weihnachtspantomime führen wollen, die seit Generationen bei den Kindern beliebt gewesen war, zu einer Bühnenbearbeitung der bekannten Geschichte von Robinson Crusoe und seinem Freund „Freitag“. Ich werde diese Geschichte hier nicht des langen und breiten erzählen. Meiner Generation war sie vertraut, seit meinem zehnten Geburtstag hatte ich übrigens reichlich Zeit, ihre Einzelheiten zu vergessen. Sie handelt von einem Schiffbruch, den Robinson Crusoe erleidet. Er kommt auf eine einsame, unbewohnte Insel. Er sucht nach Menschen. Wie man auf Grund der Erfahrung von Jahrtausenden und aus dem täglichen Leben jedes einzelnen genau weiß, ist der Mensch edel, hilfreich und gut. Wie soll man ihn aber finden, wenn man aus einem Schiffbruch nichts gerettet hat und nicht einmal eine Lampe besitzt, jene Lampe, mit der Diogenes einst den wahren Menschen gesucht hat? Nach einigem Suchen traf Robinson dann einen Wilden, der ungefähr wie ein Mensch aussah, obwohl seine Hautfarbe ungewöhnlich dunkel war. Dies geschah an einem Freitag. Nach einem verbreiteten Aberglauben ist Freitag ein Unglückstag, im Gegen-

satz zur christlichen Lehre, nach welcher die Menschheit an einem Freitag erlöst wurde. Robinson konnte mit seinem Wilden kein Wort reden. Nur soviel war ihm offenbar, daß an jenem Freitag der Erlöser auch für derlei wilde Menschen gestorben war, daß also sein Freitagsmensch heilsfähig sein müsse, obwohl er vom Heiland vermutlich noch nie etwas gehört hatte. So gab Robinson seinem Wilden den Namen „Freitag“. Dann gingen Robinson und „Freitag“ gemeinsam auf die Suche nach Menschen. Sie fanden deren viele. Wild waren auch diese, aber Robinson brachte ihnen die Kunst des Hausbaues und Gartenbaues bei. Bald wurde aus dem unbewohnten, wilden Land eine schöne, gepflegte Stadt.

*

Nun durfte man, wie eingangs erwähnt, zu Weihnachten des vergangenen Jahres den alten „Freitag“ im königlichen Theater von Windsor nicht mehr sehen. Nicht, weil die heutige Jugend den Freitag beneidet, wie ich ihn seinerzeit beneidet habe, sondern weil angeblich diese Geschichte die heutige Jugend zu dem Gedanken verführen könnte, daß Menschen mit „Freitags“ Hautfarbe keine vollberechtigten Staatsbürger seien. Dichtung wurde also verboten. Und ich habe alsogleich

befürchtet, daß nun bald auch du Wahrheit verboten werden würde. Nun sind wir leider fast schon soweit. Seit kurzem ist der Krieg ir Nigerien zu Ende. Ich weiß von Ni-gerien nicht viel. Zwei- oder dreimal führte mein Weg mich über Lagos, und jedesmal hatte ich dort einen Aufenthalt von drei oder vier Tagen bis mein nächstes Schiff einlief. Ich wohnte in einem Hotel, das genauso in griechischem Besitz war wie allt übrigen für Europäer reservierten Gasthöfe des damals noch kolonialen Afrika. Es war die trockene Jahreszeit, daher konnte man am Abend unter offenem Himmel Filme im Freiluftkino genießen. Was mir zunächst auffiel, war die Tatsache, daß Eingeborene in Lagos ohne weiteres ins Kino gehen durften, während weiter südlich, im Französischen Equatorial-Afrika, die Verwaltung nur Europäer im Kino zuließ oder solche Afrikaner, die europäisch assimiliert aussahen, die also am Abend eine Jacke und eine Krawatte trugen, lange Hosen und — selbst am Tage — Schuhe. Haussas muselmanischer Religion aus Nigerien habe ich allerdings häufig und überall in Westafrika angetroffen. Sie sind wandernde Kaufleute, die überall hinkommen, um ihre Kunstgegenstände aus Ebenholz und Elfenbein anzubieten. Ich vernahm, daß es in

Nigerien außer ihnen auch vorwiegend christliche Jarubas gab. Die Ibos blieben mir unbekannt. Biafra habe ich nicht einmal flüchtig gesehen. Keineswegs fühlte ich besondere Sympathien oder besondere Aversionen gegen das eine oder andere nigerianische Volk. Es gibt eine Einheit Nigeriens deshalb, weil die britische Verwaltung es einst für praktischer hielt, das große Land von Lagos aus zu verwalten. Nichts entsprach weniger der Wirklichkeit als die Farben auf der Landkarte des kolonialen Afrika. Der Schwarze Kontinent war in Wahrheit international. Die großen Warenhäuser jeder größeren Stadt gehörten indischen Firmen oder Firmen aus Hongkong und Singapur. Französische Verwaltungen setzten in Afrika asiatische Beamte ein, Indochine-sen, seither zum Teil als Vietnamesen tragisch berühmt geworden. Europäer, deren Geburtsland keine Kolonie besaß, siedelten frei und machten Geschäfte in kleinem, manchmal auch in großem Stil. Die Gründe der britischen Regierung, eine Einheit Nigeriens zu wünschen, dürften auch heute triftig sein. Andere europäische Regierungen mögen andere, gleichfalls triftige Gründe haben, ein selbständiges Biafra vorzuziehen. Kamerun, Gabun, die Elfenbeinküste, drei rein afrikanische Republiken, haben Biafra anerkannt, und diese Anerkennung kann also keineswegs eine Politik „Weiß gegen Schwarz“, „Imperialismus gegen Unabhängigkeit“ bedeuten. Die Wahrheit ist, daß es in Afrika eben noch lange keine endgültige Staatenordnung gibt. Die

Wahrheit ist, daß Afrika auf dem besten Wege war, eine gemischte Zivilisation hervorzubringen, wie übrigens auch Europa und Asien in früheren Zeiten, wie schließlich auch Amerika. Die Wahrheit ist, daß für Staatsbildungen wirtschaftliche und geographische Tatsachen ausschlaggebend sind, in Afrika nicht anders als in anderen Kontinenten, und daß daher die Politik sich durch emotionelle Faktoren, seien sie „rassisch“ bedingt wie für die Ibos und Biafra, seien sie allgemein philan-tropischer Art wie für die gesamte „schwarze Rasse“, nur verschlimmern kann. Die Wahrheit ist, daß einzelne Afrikaner an Begabung einzelne Europäer übertreffen mögen, daß aber der afrikanische Durchschnitt den europäischen Durchschnitt noch lange nicht erreicht hat. Letztlich ist es wahr, daß politische Fragen, wie die staatliche Organisation eines Kontinents, politisch zu lösen sind und daß unpolitische Stimmen, Emotionen, Gefühls-amsbrüche dabei nur schaden können. Daß Politik dann am meisten moralisch ist, wenn sie jedes Gefühlsmoment womöglich auf ein Minimum beschränkt, die moralische Pose ablegt, die Vernunft und die praktische Erwägung zu Wort kommen läßt und Sorge für das Gemeinwohl aller Beteiligten trägt. Dichtung über dunkle Rassen, obwohl offenbar wohlgemeinte Dichtung des wahrheitsliebenden Daniel Defoe. wurde am Ende des Jahres 1969 in Windsor verboten. Laßt uns hoffen, daß die Wahrheit im neuen Jahrzehnt nicht verboten werde!

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