6755596-1967_44_07.jpg
Digital In Arbeit

Der Kampf der Ibos

Werbung
Werbung
Werbung

partnern, den wirklichen und den erfundenen.

Krystyna Zgorzelska, die in „Wiez“ die einzige scharfe Kritik durch die Zesur bringen konnte, vermutet hinter all dem einen Minderwertigkeitskomplex. „Wir Polen sind arm, und es gibt wenige Autos bei uns, die Deutschen sind reich und fahren Mercedes — aber sie sind Schufte“, das sei Brychts Denkart, schreibt sie; und sein Haß sei „noch ein Unrecht, das uns die Deutschen antaten, noch eine Folge des Krieges“.

Kronzeuge des Vorurteils

Was immer Brychts Motive sein mögen, er erreichte jedenfalls, woran ihm vor allem lag: er wurde zum Kronzeugen des Vorurteils. Kein Geringerer als Polens Innenminister Moczar erwies ihm die Ehre auf der Plenarsitzung der Veteranenorganisation „Zbowid“. Die Reportage Brychts habe, besonders unter der polnischen Jugend, breites Echo gefunden, sagte Moczar nach einem Bericht des Verbandorgahs „Za Wol-nosc i Lud“ —, vor allem deshalb, weil Brycht „zum Kernpunkt, zur tiefen Strömung vorgestoßen ist, in der die Revisionisten der Bundesrepublik die junge deutsche Generation lenken. Diese Strömung sahen nicht oder beeilten sich nicht zu sehen — aus verschiedenen Gründen natürlich — viele unserer Journalisten ...“ Noch im Nachwort seines Buches, wo er — nachträglich — zugibt, es gebe auch „andere“ Deutsche in Westdeutschland („dort in München hörte ich von diesen Leuten nicht“), versucht Brycht den ministeriellen Verdacht durch eine handfeste Denunziation zu unterstützen: „Einige Landsleute werfen mir vor, daß ich zu einseitige Urteile bei einem so kurzen Aufenthalt in der Bundesrepublik fällte... Ich kenne solche, die seit Jahren in der Bundesrepublik sitzen und uns mit süßen Märchen füttern ...“

Ein billiges Alibi

Brychts Ungeheuerlichkeiten stießen — auch das ist ein Symptom — in Polen auf Widerstand in allen Kreisen. Wenig davon drang an die Öffentlichkeit, weil Brychts Protektoren, denen er nach dem Munde redete, mächtig genug sind. Immerhin weigerten sich die staatlichen Verlage, das fatale Werk des Staatspreisträgers zu drucken und verwiesen ihn an die „Pax“. Die polnischen Deutschlandexperten, gewiß keine Freunde der Bonner Politik, setzten sich zur Wehr. Einer von ihnen, Wilhelm Szewczyk, kritisierte in „Poglade“ die „politisch gefährlichen Verallgemeinerungen“ Brychts und stellte fest: „Wir haben uns viel Mühe gegeben, um begründete Ressentiments loszuwerden. Schon findet sich nur noch an der Peripherie unserer Publizistik das Schwarzweißschema in der Einschätzung deutscher Phänomene, auch solcher in der Bundesrepublik ...“

„Wir sind überzeugt, daß die Mehrheit der Deutschen in der Bundesrepublik sich darüber klar ist, daß die Grenzen Polens an Oder und Neiße — Grenzen, die von der DDR feierlich anerkannt sind — endgültig sind und keiner Revision unterliegen“, schrieb das Parteiorgan „Try-buna Ludu“ am 4. Oktober. Brycht behauptet das Gegenteil. Vor zwanzig Jahren schon, im Januar 1947, als die Wunden noch nicht vernarbt waren, sagte Gomulka: „Fremd sind uns niedrige Haß- und Rachegefühle gegenüber den Deutschen wegen der Verbrechen, die sie am polnischen Volk und anderen Völkern begingen.“ Brycht jedoch predigt den Haß. Er zielt nicht nur auf die „Bonner Politik“, sondern pauschal auf „die Deutschen“. Das Gefährliche ist nicht so sehr der altmodische Chauvinismus, mit dem er spielt, sondern die Möglichkeit, daß sein Appell an das Ressentiment als billiges Alibi einer verfehlten Politik dienen kann — in Bonn und in Warschau. Deshalb war von diesem Bubenstück zu berichten.

Nigerien wird nach wie vor vom Bürgerkrieg erschüttert. Biafra hatte vor mehreren Wochen Benin besetzt, die Hauptstadt der Mittel-wetsftregion. Daß sich diese Aktion nicht nur in einer Hinsicht

als Bumerang erweisen mußte, stand von Anfang an fest. Bis zur Besetzung Benins hatten über die Mittelwestregion illegale Waren Biafra erreicht, da die Kontrolle der Verkehrswege über den Niger nie eine wirksame war. Durch die Neutralität der Mittelwestregion war General Gowon zu Beginn des Krieges gezwungen, seine Offensive gegen Biafra vom Norden her zu führen und den kürzeren Weg über die Mittelwestregion unbenutzt zu lassen. Als Benin von Biafra eingenommen wurde, war es der Zentralregierung eine willkommene Gelegenheit, diesen illegalen Versorgungsweg von Biafra abzuschneiden. Eine Eroberung von Benin wurde aber zu einer absoluten Notwendigkeit, denn die Truppen Biafras rückten über Benin Lagos und Ibadan gefährlich nahe. Vorderste Frontlinie der Truppen Biafras war die Stadt Ore, welche auf halbem Wege nach Lagos an der gut ausgebauten Hauptstraße liegt.

Haß- und Rachegefühle

Obwohl nur ein Fünftel von drei Millionen Bewohnern des Mittelwestens Ibos waren, nahmen Ibos vor dem ersten Putsch im Jänner 1966 eine große Zahl von wichtigen Regierungsposten ein. Die Zahl der Parteimitglieder der NCNC (National Convention of Nigerian Citizens, die herrschende Partei der Ostregion) war 1965 im Abnehmen begriffen, obwohl durch verschiedene Mittel von selten der NCNC versucht wurde, die lokale rivalisierende Otu-Edo-Partei auszuradieren.

Der Raum um Agbor Richtung Asaba und Onitsha war das Siedlungsgebiet der sogenannten West-Ibo. Genau diesen Weg benützten die Truppen Biafras, um in Benin einzumarschieren. In einer Überschätzung ihrer militärischen Stärke und durch eine Unterschätzung der feindlichen Gefühle der übrigen Bevölkerung des Mittelwestens ließ sich Oberstleutnant Ojukwu dazu verleiten, bis Ore vorzudringen. Mit einer den Ibos wohlgesinnten Bevölkerung im Rücken wäre die Attacke möglicherweise besser gelungen. Tatsache ist jedoch, daß die Ibos im Mittelwesten ebenso unbeliebt wie zum Beispiel in der Nordregion waren.

Als die Truppen der Zentralregierung Benin zurückeroberten, ergriffen nicht nur Hausa aus dem Norden die Chance für eine Revanche. Die Bevölkerung Benins ließ ihren lang gehegten Rachegefühlen freien Lauf und leistete den Henkern Zutreiberdienste. Mord, Raub

und Brandschatzung wurden nicht allein von den Truppen der Zentralregierung verübt. Gegen die ausdrückliche Anweisung General Gowons, jedes überflüssige Blutvergießen zu vermeiden, nützten viele

— ob Hausa oder Bini — die Wirren der Kriegsereignisse für ihre Zwecke aus.

Der Krieg verschlingt...

Benin in ein Kriegsgebiet zu verwandeln, war für Oberstleutnant Ojukwu, den Staatschef Biafras, ein militärischer, wirtschaftlicher und politischer Fehlschlag. In wirtschaftlicher Hinsicht schlägt dieser Fehler

auch auf die Zentralregierung zurück. Die Mittelwestregion ist eine der wichtigsten Holz- und Gummiproduzenten. (90 Prozent des nigerianischen Gummis kommen aus dem Mittelwesten.) Die Arbeit in den Fabriken kam zum Stillstand. Zum Beispiel mußte die größte Holzfabrik Nigeriens in Sapele nach der Evakuierung der Techniker ihre Tore schließen. Auch die Urproduktion im südlichen Mittelwesten hatte ein Ende — sie beträgt 40 Prozent der nigerianischen Produktion. Außerdem verliert Nigerien seit einem halben Jahr das Exporteinkommen aus der Ostregion, das zwei Fünftel des gesamten Exporteinkommens ausmachte. Wann diese Industrien ihre Produktion wieder aufnehmen, bleibt ungewiß.

Der Krieg verschlingt Millionen. Seit dem Beginn der Kriegshandlungen wurden 50 Millionen Pfund Sterling für Waffenkäufe aus-

gegeben. Wieweit die russischen Flugzeuge von militärischem Wert sind, sei dahingestellt. Sie besitzen eher psychologischen Wert, denn die nötigen Techniker und Piloten fehlen. Erst vor wenigen Jahren hatte die deutsche Luftwaffe mit der Ausbildung nigerianischer Piloten begonnen.

Biafras Hauptstadt ist verwaist

Die Besetzung Enugus, der Hauptstadt Biafras, war zu Beginn des Krieges nicht das Ziel der Zentralregierung. Um in das Herz des Ibo-landes einzudringen und es. Wirksam zu kontrollieren, sind die Truppen der Zentralregierung zu schwach. Letztlich fiel es den Truppen General Gowons bereits schwer, die Universitätsstadt Nsukka unter Kontrolle zu behalten. Die Eroberung von Enugu stellt eine unnütze Belastung dar. General Gowons einmarschierende Truppen fanden eine leere Stadt vor. Verständlicherweise floh der größte Teil der Bevölkerung von Enugu. Keiner der 70.000 Einwohner von Enugu und schon gar nicht die vielen Flüchtlinge aus dem Norden wollten Opfer einer weiteren Haßorgie werden.

Hier liegt der Kernpunkt des Problems, nämlich die Angst vor den Mitbürgern aus dem Norden. Kein Ibo kann sich heute außerhalb von Biafra in irgendeinem Winkel des Landes sicher fühlen. Das Pogrom von Kano steckt allen in den Knochen. Vom Standpunkt des Ibos aus betrachtet, ist der Aufruf von Sir Francis Ibiam verständlich. Sein Appell, nicht aufzugeben, bis zum

Letzten Widerstand zu leisten, Ist für jeden Ibo eine Notwendigkeit geworden. Gibt er auf, kann er ermordet werden, kämpft er, bleibt ihm wenigstens eine kleine Hoffnung auf Sieg. Aus der Sicht der Zentralregierung und aus gesamtafrika-nischer Sicht aber ist und bleibt Biafra ein illegaler Staat. Fast sieben Jahre lang genoß Biafra zusammen mit allen Regionen Nigeriens den wirtschaftlichen Aufschwung, zu welchem es allerdings einen beachtlichen Beitrag geleistet hat. Eine Einheit muß aus realpolitischen Gründen bewahrt werden. Menschliche Gefühle wie augenblicklich berechtigte Angst und Bitterkeit, machen jedoch trotz allem die Haltung Biafras verständlich.

Enugu ist leer. Die Regierung Ojukwu zog sich in die Regenwälder südlich von Enugu zurück. Militärische Erfolge von Seiten der Zentralregierung sind in diesem Raum kaum zu erwarten. Wie lange die Lage, die trotz der militärischen Erfolge General Gowons unverändert blieb, weiterhin ohne Entscheidung sein wird, ist ungewiß. Eine Ende des Bürgerkrieges ist nicht abzusehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung