6775725-1969_21_09.jpg
Digital In Arbeit

Wohin steuert Nigeria?

Werbung
Werbung
Werbung

Katholiken in beiden Lagern des erbarmungslosen Bürgerkrieges in Nigeria blickten nach Rom, als sich dort der Papst und sechs nigerianische und biafranische Erzbischöfe und Bischöfe zu gemeinsamem Gebet für den Frieden in Nigeria zusammenfanden. Der blutige Krieg in diesem volkreichsten und höchstentwickelten Land Schwarzafrikas gilt als noch schrecklicher als der Viet-namkrieg.

Die einander widersprechenden Berichte von Beobachtern aus beiden Lagern sind nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Unsere Gewährsmänner waren bemüht, unter anderem auch zahlreiche Meldungen über Bombardierungen von Zivilisten miteinander zu vergleichen. In diesem wie in anderen Bereichen stießen sie auf viele Widersprüche, die sie veranlaßten von einem „Nachrichtenchaos“ in diesem Krieg zu sprechen. Unter anderem verweisen sie auch auf direkte Widersprüche zwischen den Darstellungen des Journalisten W. S. Churchill und jenen des britischen Premaerminiisters Wilson. Der nigerianische Staatschef General Gotüon hat diesen Journalisten aufgefordert, seine Berichterstattung durch genauere Ortsangaben und stichhaltige Beweise au belegen. Er ließ auch den Text der Anweisungen an seine Luftwaffe bekanntgeben, die ihr unter Strafandrohung verbieten, nich'tmiliitärische Objekte zu bombardieren. Seine Haltung ist verständlich, denn Angriffe auf Zivilisten bringen der nigerianischen Zentralregierung keinen Nutzen und steigern nur den Widerstandswillen der Gegenseite ins Ungemessene. Sogar die Aussagen offizieller neutraler Beobachter stehen miteinander in Widerspruch. Im Gegensatz zu kürzlichen Behauptungen einiger Generäle aus Schweden, England, Polen usw. sie hätten auf dem Marktplatz vonUmuahia keinen einzigen Trichter von Flugzeugbomben gesehen, steht der Bericht von Lenart Falk, eines früheren Leiters der schwedischen Rotkreuzgruppe in der sich selbständig machen wollenden Ostproviinz, indem er das Gegenteil behauptet. In jüngster Zeit haben sich anscheinend die Aussichten der Zentralregierung auf einen militärischen Sieg verschlechtert. Die Waffenlieferungen an die Ostproviinz haben weiter zugenommen, und überdies wollen einige Gewährsmänner Mißstimmig -keiten zwischen den im Süden und Norden umzingelten Separatisten operierenden Divisionsbefehlshaber der Regierungstruppen wahrgenommen haben, und sie verweisen in diesem Zusammenhang unter anderem auf diesbezügliche Anspielungen in dem in der ehemaligen Nord-provinz erscheinenden Blatt „New Nigerian“.

Der seit kurzem begonnene Vormarsch' der Truppen der Sezessio-nisten in südlicher Richtung auf Port Harcourt bereitet nach Berichten von Gewährsmännern den internationalen ölkonzernen große Sorgen, die dort nach dem Einmarsch der Truppen der Zentralregierung die durch frühere Kampfhandlungen zerstörten Förderuegs- und Rafflneriean-lagen mit großen Kosten wieder aufgebaut haben und bei einem weiteren Vordringen der Sezession'sten eine Unterbrechung ihrer ölexporte aus diesem sehr ertragreichen Erdölgebiet befürchten. Nur französische Erdölkonzerne wären von einem solchen Vordringen nicht betroffen, da sie sich dort angeblich nicht sehr um ölkonzessionen bemüht haben. Bekanntlich hat ja auch de Gaulle die Sezessionisten in ihrem Kampf gegen die Zentralregieiiung nach Kräften unterstützt. Das als Staatsgebilde seit einem halben Jahrhundert bestehende Nigeria, das auch von Nichtafri-kanern als das „mustergültigste Land Schwarzafrikas“ bezeichnet wurde, besteht aus etwa 250 Stämmen mit einer Unzahl verschiedener Sprachen. (Einer der provinziellen nigerianischen Fernsehsender sendet zum Beispiel täglich, in acht verschiedenen Sprachen: in Tiv, Igala, Fulanni, Nupe, Yoruba, Igbirra, Idoma und Kanuri!). Der Hauptgrund, aus dem sich die Zentralregierung der Sezession des östlichen Landesteiles widersetzt, ist die Erkenntnis der Gefahr, daß eine Anerkennung seiner Selbständigkeit den Zerfall des gesamten Staats-gebildes einleiten würde. Denn andere Gebiete würden nach Ansicht der Zentralregierung früher oder später dem Beispiel der Sezessionisten folgen, und jeder der neuen selbständig gewordenen Staaten wäre dann in der Lage, sich nach außerafrikanischen „Beschützern“ und Waffendieferanten nach Belieben umzusehen. Und sogar „Biafra“ wäre dann letzten Endes von Zerfall bedroht, da ja auch dort etwa 40 Prozent der Bevölkerung anderen ethnischen Gruppen angehören als den tonangebenden Ibo. Die meisten anderen schwarzafri-kanischen Staaten befürchten ebenfalls das Beispiel einer solchen fortschreitenden „Balkanisierung“ auf eventuell vorhandene ähnliche Strömungen in ihren eigenen Ländern, so daß bisher nur vier dieser vielen Länder die Sezession der nigerianischen Ostprovinz unter dem Namen „Biafra“ anerkannt haben. Dies geht auch aus dem Briefwechsel des Verfassers dieses Artikels mit einigen maßgebenden afrikanischen Staatsmännern klar hervor.

Unvoreingenommene, unparteiische Beobachter äußern unumwunden die Ansicht, daß Schwaraafrika seine Probleme zumeist selbst meistern könnte, wenn nicht allzuviele außerafrikanische Kräfte mit dem Ziel zusätzlicher Einflußgewinnung in Afrika an der Fortdauer innerafrikanischer Zwistigkeiten interessiert wären. Nichtafrikanische Persönlichkeiten, die mit Schwarzafrikanern von Format in Verbindung stehen, sind überzeugt, daß die meisten Menschen in anderen Kontinenten nur selten an den eigentlichen Wesensinhalt afrikanischer Entwicklungstendenzen ganz herankommen. Im Laufe seiner vieltausendjährigen Geschichte habe Schwarzafrika großartige kulturelle Blütezeiten erlebt, über die die Welt sehr wenig erfahren habe. Die konstruktiven Kräfte Schwarzafrikas seien stark genug, ihre eigenen Probleme zu meistern, wenn außerafrikanische Kräfte endlich aufhören würden, zu ihrem eigenen wirklichen oder vermeintlichen Nutzen in das afrikanische Geschehen einzugreifen. Nur wahre und echte Religiosität und echte geistige und kulturelle Werte aus anderen Kontinenten seien verantwortungsbewußten Afrikanern nach wie vor willkommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung