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Wende im Nigeriakrieg?

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Ein maßgebender Vertreter der Sezessionisten im Nigeriakrieg, C. I. Doke, erklärte vor kurzem in Paris, daß bisher in dieser blutigen Auseinandersetzung zwei Millionen Menschen durch Hunger und Waffen umgekommen seien. Falls der Krieg nicht beendigt werde, würden bis Ende dieses Jahres drei Millionen Menschen im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen gestorben sein. Viele mit afrikanischen Begebenheiten unzulänglich vertraute Menschen fragen sich, warum dem fünfundfünfzig Millionen Bewohner zählenden Nigeria ein militärischer Sieg über die Sezessionisten versagt geblieben ist, die nur mehr über ein Achtzigstel des Flächeninhaltes und schätzungsweise jetzt nur mehr ein Zehntel der Bevölkerungszahl des Landes verfügen.

Ojukwu ist ein gefährlicher Gegner, der jeden sich bietenden Vorteil mit größter Entschlossenheit ausnützt. So bietet ihm zum Beispiel gerade die Enge seines Herrschaftsbereiches — heute nur etwa 150 km lang und an einigen Stellen nur mehr 35 km breit — besondere Vorteile durch die kurzen Nachschubslinien für seine ausgiebigen Waffen- und Munifionsldeferungen meist französischer Herkunft, und die Möglichkeit, in einer einzigen Nacht seine Kampfverbände von einem Frontabschnitt in den anderen zu werfen, was für die seinen kleinen Herrschaftsbereich umzingelnden Bundestruppen unvergleichlich schwieriger ist Auch weiß Ojukwu, daß die Bundesregierung für die Kriegsführung großteils auf ihre Beteiligung an den Einkünften aus den Ölexporten aus dem ergiebigen Erdölgebiet im westlichen Teil des Nigerdeltas angewiesen ist, und er kann dort mit relativ geringen Einsätzen seiner dem nigerianischen Bundesheer weit unterlegenen Luftwaffe unverhältnismäßig große Schäden anrichten, die den Ertrag der Erdölexporte und damit die für die Kriegsführung nötigen Geldmittel stark herabsetzen.

Nachwirkungen des Papstfluges

Es ist verständlich, daß viele afrikanische Kreise in der Erkenntnis, daß der mörderische Krieg in Nigeria keinem der afrikanischen Beteiligten Vorteile bringt, mit aller Kraft auf die Beilegung der Auseinandersetzung hinarbeiten. Dabei werden analoge Bemühungen außerafrikanischer Instanzen mit Skepsis betrachtet, mit der vielleicht einzigen Ausnahme der Friedensbemühungen des Papstes, dessen kürzlicher Besuch in Afrika sich vor allem „hinter den Kulissen” weiterhin segensreich auswirkt.

Auch setzt sich in zunehmendem Maß die Erkenntnis durch, daß erfolgversprechende Bemühungen um den Frieden in Nigeria eine objektivere und unparteiischere Prüfung der aus den Kampfzonen kommenden, oft widerspruchsvollen Informationen erfordern. Daher begab sich kürzlich eine internationale Kommission von neun kanadischen, polnischen, englischen und schwedischen Generalen und Obersten mit Vertretern der UNO und der Organisation für Afrikanische Einheit aüf. eine sechswöchige Untersuchungsreise in die verschiedensten Teile, von Nigeria. Sie befragte Tausende von Offizieren, Soldaten, Kriegsgefangenen und Zivilisten und begab sich auch nach Umuahia, Enugu und Onitsha. Die Entschlossenheit, den Kampf weiterzuführen, zeigte unter anderem die Befragung von Kriegsgefangenen der Sezessionisten, unter denen sich dreizehn- bis fünfzehnjährige Jungen befanden, die nach zweitägiger militärischer Ausbildung in Zivilkleidern an die Front gesandt worden waren.

„Es ist Zeit…”

In diesen Tagen setzen viele Freunde Nigerias große Hoffnungen auf eine entscheidende Wende im Nigeriakrieg. Ein enger Mitarbeiter Ojukwus, das frühere nigerianische Staatsoberhaupt Dr. Azikiwe, ist in letzter Zeit zu einer kritischen und neutralen Haltung im Bürgerkrieg übergegangen. Er stand früher völlig auf seiten der Sezessionisten und gilt als der Mann, dessen Einfluß die Anerkennung „Biafras” durch vier schwarzafrikanische Staaten seinerzeit zustandegebracht hat. Er ist selbst ein Ibo und genießt in ganz Nigeria hohes Ansehen. Seine Kritik trifft beide Seiten, und die Sezessionisten an einer besonders empfindlichen Stelle. „Mögen alle Ibos auf beiden Seiten der Kampfzone”, erklärte er in diesen Tagen, „wissen, daß die Angaben über eine beabsichtigte Ausrottung der sezes- sionistischen Ibos und ihrer Führer meinen unparteiischen Untersuchungen zufolge nicht der Wahrheit entsprechen. Mögen sie wissen, daß die Welt von ihrem Heroismus und ihrem großen Opfermut beeindruckt ist. Zweifellos starben viele Ibos im ehrlichen Glauben, daß der Gegner ihre Ausrottung beabsichtigt. Ströme von Blut sind infolge dieser irreführenden Propaganda geflossen. Es ist Zeit, daß dem Morden edn Ende gesetzt werde.”

Der jüngste Bericht aus dem Bereich der Sezessionisten besagt, daß man sich dort des großen Einflußes Dr. Azikiwes vor allem auf das einfache Volk bewußt ist und man daher seine Versicherung, daß man gegen ..Biafra” keinen Ausrottungsfeldzug in Gang gesetzt habe, als schweren Rückschlag für die Sezessionisten betrachtet. Und soeben erfährt man aus Owerri, daß dort die Führer der Sezessionisten ein eindrucksvolles Begräbnis mit afrikanischen Verwünschungsriten veranstaltet haben, bei dem eine Dr. Azikiwe darstellende Puppe in Gegenwart vieler hunderte einfacher Ibos feierlich verwünscht und zu Grabe getragen wurde.

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