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Biafras Ende

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Das Ende von Biafra ist Anlaß für eine europäische Gewissenserforschung, wenn auch eine Gewissenserforschung ohne Konsequenzen, denn zu den Errungenschaften, die Europa der Welt beschert hat, zählt auch des weißen Mannes ebenso praktisches wie verlogenes System der Arbeitsteilung zwischen der Hand, die zu- und der Hand, die reuig an die Brust schlägt, wobei die rechte sehr wohl weiß, was die linke tut, rechts und links hier ganz ohne ideologischen Bezug. Zu den faszinierendsten Erfindungen europäischen Geistes zählt dieses schizoide, in manchen Epochen schizophren kulminierende, immer auf eminent praktische Interessen ausgerichtete System, zu tun und gleichzeitig zu bereuen, was man tut. Der schwarze Mann hat einiges vom weißen Mann gelernt, Faustregeln für das Management, Spielregeln für das internationale, das heißt weiße Parkett, das Erheben nationaler Ansprüche, den Umgang mit Vorwänden, etwas Technologie, insgesamt mehr Taktik als Strategie. Er hält die Technik für den Machtzauber des weißen Mannes. Was die Macht des weißen Mannes ebenso sehr ausmacht, nämlich dessen Techniken, totale Skrupellosigkeit des Handelns mit totaler Selbstrechtfertigung in den höheren Sphären zu verbinden, beginnt er erst zu durchschauen. Darin ist er uns einstweilen rettungslos unterlegen.

Die Biafra-Toten, deren Zahl niemand genau kennt, starben für europäische Interessen. Sollte das schwarze Afrika eines Tages seine eigene Geschichte schreiben, wird Ojukwu darin keine besonders heldische Rolle spielen, es sei denn, er wird zum nationalen Heros hochstilisiert, falls die Integration der Ibos in den nigerianischen Staat doch noch scheitert. Aber das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Denn in all den Jahren, in denen die Ibos in Biafra verhungerten oder im Kampf fielen, leibte eine sehr viel größere Zahl von Ibos unangefochten weiterhin in Nigeria. Die Auseinandersetzung zwischen Ibo-Staat und Rumpf-Nigeria war auch keine überlieferte, plötzlich eskalierte Stammesfehde wie die kongolesische Tragödie. Allerdings stellten die Ibos einen großen Teil der nigerianischen Offiziere, Akademiker, Verwaltungsbeamten und Kaufleute. Nach der Befreiung vom englischen Kolonialregime beherrschten christliche Ibos aus dem Süden gemeinsam mit mohammedanischen Politikern aus dem Norden das ethnologisch uneinheitliche Land mit den von der Kolonialmacht völlig willkürlich beziehungsweise ausschließlich auf Grund ihrer eigenen Interessen gezogenen Grenzen.

Vor genau vier Jahren ließ der Ibo Ironsi zwei mohammedanische Nebenbuhler ermorden und riß die Macht an sich. Es kam daraufhin zu Ibo-Verfolgungen im mohammedanischen Norden und zu einem zweiten Putsch, zur Ermordung von Ironsi und zur Machtergreifung von Gowon in der Hauptstadt Lagos.

Ironsis Mitarbeiter Ojukwu, Offizier, Sohn aus schwerreichem Haus, machte die Sache der Ibos zu seiner eigenen Sache. Er rief ein unabhängiges Biafra aus, und er hat dieses Biafra immer mehr oder weniger als sein Eigentum betrachtet. Er hielt seine Biafraner eisern bei der Stange und zwang sie auch dann noch zum Widerstand, als jeder Widerstand vollkommen sinnlos geworden war. Aber Ojukwu hat auch erkannt, daß Kriege heute nicht nur mit Bomben und Maschinengewehren geführt werden. Er übertrug einer Schweizer Agentur die Aufgabe, für sein Land fachmännisch Public Relations zu machen und dem biafranischen Unabhängigkeitskampf ein positives Image zu verschaffen. Die Schweizer Werbeleute vertraten nicht nur Ojukwus und Biafras, sondern in erster Linie europäische Interessen, ölinteressen, aber auch die Eifersüchteleien zwischen de Gaulle und England haben zum Leiden und Sterben beigetragen. In Biafra kämpften Schwarze mit Waffen, die ihnen Weiße lieferten, für weiße Interessen.

Die Ausgangsbasis des Konfliktes schufen Stammesrivalitäten und politischer Ehrgeiz einzelner, vor allem Ojukwus Wille zur Macht. Sie haben auch zum Ausbruch des Konfliktes geführt Daß er sich jahrelang hinziehen konnte, verdankt der schwarze Mann ausschließlich dem weißen Mann.

Frankreich unterstützte Biafra, Portugal ermöglichte die Luftbrücke. Bei der Unterstützung der Bundestruppen wirkten England, die Sowjetunion und Ägypten mit. Die übrigen politischen Kräfte verhielten sich entsprechend ihrer Interessenlage. Da Rußland Gowon unterstützte, stellte sich China hinter Ojukwu. Einige wenige afrikanische Staaten anerkannten Biafra, und nur solche, die nicht fürchten mußten, Minderheiten auf ihrem eigenen Gebiet könnten dazu angeregt werden, nach der Selbständigkeit zu greifen. Die meisten hielten sich aus innen- wie aus außenpolitischer Vorsicht zurück. Das öl, das kurz vor dem Ausbruch des Konfliktes in Biafra entdeckt wurde, entspringt zwar biafrani-schem Boden, nicht aber Ibo-Boden, denn auch die biafranische Bevölkerung war ethnologisch uneinheitlich zusammengesetzt. Beim Kampf um dieses öl standen europäische Interessen gegen europäische Interessen. Doch kann man den jahrelangen Konflikt zwischen Biafra und Rumpfnigeria auch als einen Erfolg übergeordneter, gesamteuropäischer, besser: weißer Politik sehen, denn auch in Biafra hat der weiße Mann wieder einmal nach der Maxime „divide et impera“ geteilt und geherrscht.

Nigeria ist wiedervereinigt, und Nigeria ist nun ein lohnendes Feld für weitere geheimdienstliche und wirtschaftspolitische Machtkämpfe, bei denen Weiße versuchen werden, Weiße bei Schwarzen auszustechen. Sie brauchen nicht zu befürchten, daß Nigeria, verschuldet und ausgeblutet, so bald in die Lage gerät, an eine unabhängige, schwarze, afrikanische Politik zu denken.

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