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Das schlechte UNO-Gewissen

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Hätte die UNO nach ihrer Satzung dem Blutvergießen und Hungertod in Biafra Einhalt gebieten können? Wenn ja, warum hat sie es nicht getan?

Nach ihrer Satzung wurde die UNO geschaffen, um den „Glauben an... die Gleichberechtigung... von großen und kleinen Nationen erneut zu bekräftigen“ (Einleitung, 2. Abs.); „Toleranz zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben“ (5. Abs.); „sicherzustellen, daß Waffengewalt nicht in Anwendung komme, es sei denn im Interesse des Gemeinwohles“ (7. Abs.); „den Weltfrieden . . . aufrechtzuerhalten“ ... „Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken“ (Art. 1/1); „Freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln, gegründet auf der Achtung des Grundsatzes der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechtes der Völker“ (Art. 1/2, Sperrung von uns; beachte „nations, peoples“, nicht „states“.) Wir könnten weiter aus der Satzung zitieren, aber diese Beispiele genügen wohl.

Kolonialgrenzen sakrosankt?

Nationen und Völker! Nirgends steht in der Satzung, daß die von den Kolonialmächten recht willkürlich geschaffenen Grenzen sakrosankt sind; daß die so durch Zufall geschaffene Zusammenballung oft grundverschiedener „Nationen“ mit Waffengewalt geschützt werden muß, um nur den Machtbereich der neuen Herrscher nicht zu schmälern. Nun sind die christlichen Ibos eine „Nation“ von 14 Millionen, die von den mu-hammedanischen Haussas unvergleichlich verschiedener sind (Ge-

ständnis Gowons: „There is no basis for unity“ — es gibt keine Grundlage für Einheit) als etwa die Belgier von den Holländern, die sich vor fünf, oder die Norweger von den Schweden, die sich vor zwei Generationen kampflos voneinander trennten; unvergleichlich verschiedener als die Österreicher von den Deutschen!

Man übersetze nur fremdes Schicksal in die' eigene Sprache, um es richtig zu verstehen. Wenn Österreich sich 1938 gewehrt hätte, hätte diese UNO, wenn sie bestanden hätte — vielleicht anders als der sterbende Völkerbund — einer Eroberung Österreichs mit denselben Methoden wie sie in Biafra, Katanga, Sumatra, Amboina angewendet wurden, mit demselben Gleichmut zugesehen. Stalin und Mussolini hätten Hitler mit Flugzeugen und Piloten unterstützt, schwedische Flugzeuge, welche verhungernde Kinder in den Alpen versorgen wollten, wären abgeschossen worden, Schuschnigg und die Heimwehren wären „Rebellen“ genannt worden, welche die Einheit des deutschen Volkes zerstören wollen, und nach dem endlichen Siege der Übermacht hätte die Welt aufgeatmet, daß die Rebellion niedergeschlagen und Mitteleuropa endlich befriedet worden sei.

Die Ibos waren eine Nation

doppelt so zahlreich wie die Schweizer, in Sprache, Bildung, Lebensgewohnheiten, Lebenszielen, auch Religion — dank dem Einflüsse der willig aufgenommen, aber jetzt verfolgten und vertriebenen Missionen — von den Nationen des Nordens verschiedener als Italiener von Schweden. Warum sollten sie nicht —wie

sagt die Satzung? — das Recht auf „Gleichberechtigung und Selbstbestimmung“ haben und darin von der UNO geschützt werden? Das wäre eine „Balkanisierung Afrikas“? Welche Heuchelei, wenn Länder wie Gabon mit einer halben oder Mauritius mit einer dreiviertel Million, von anderen Zwergmitgliedern gar nicht zu reden, das Recht haben, das 14 Millionen verweigert wurde! Wenn die schönen, aber papierenen Grundsätze der UNO befolgt würden, hätten zwei Staaten von 46 und 14 Millionen friedlich nebeneinander bestehen und einander gegenseitig befruchten können. Nigerien hätte mehr als 30 Millarden Schilling und Millionen toter und verwundeter Bürger besser anlegen können als in Tod, Kinderhunger und Verwüstung eines Nachbarlandes, statt von ihm reichlichen Vorteil durch materiellen und geistigen Austausch zu ziehen. Der Schaden wurde nicht nur Biafra, nicht nur Nigerien, nicht nur Afrika, sondern der Weltwirtschaft zugefügt. Um solches zu verhindern, dazu wurde die UNO geschaffen!

Und warum das alles? Warum haben England und Rußland, Gründerstaaten der UNO, die Waffen dazu geliefert, hat Ägypten seine Piloten den ihrigen zum Massenmord, der für es auch ein Religionskrieg war, beigesellt? Weil es in Biafra öl und Minen gibt, die Nigerien haben wollte! öl, oder Gold, oder Kupfer im Boden sind stärker als alle Artikel in der Satzung der UNO. öl ist das Haschisch der Regierungen. Die Sucht tötet Recht und Menschlichkeit. Zu viele Mitglieder der UNO sind süchtig, als daß diese ihre Aufgabe erfüllen könnte.

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