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Eine Welt ohne UNO wäre für Kleine ein Alptraum

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Die Abkehr vom Internationalismus als Gesinnung und vom Multilateralismus als Methode sind die wahren Gründe für die aktuelle Krise der Vereinten Nationen.

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Die Abkehr vom Internationalismus als Gesinnung und vom Multilateralismus als Methode sind die wahren Gründe für die aktuelle Krise der Vereinten Nationen.

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Vierzig Jahre nach ihrer Gründung befinden sich die Vereinten Nationen, trotz aller salbungsvollen Reden, die von Freund und Feind zur ihrem Jubiläum gehalten wurden, in ihrer tiefsten und gefährlichsten Krise. Aber nicht nur den Vereinten Nationen und den um sie herum errichteten Spezialorganisationen bläst ein kalter Wind ins Gesicht:

Der Gedanke der internationalen Organisation, der gleichberechtigten Zusammenarbeit großer und kleiner Staaten im Rah-

men global und regional ausgerichteter multilateraler Einrichtungen selbst sieht sich dem Ansturm alter und neuer Gegenkräfte, längst vergessen geglaubter Dämonen wie dem des Chauvinismus oder erst jüngst erstandener Irrlehren wie dem Machtkult des Neo-Konservatismus, ausgesetzt.

Der langsamen Auszehrung, die vom moralischen und politischen bis schließlich zum finanziellen Verfall reichen kann, scheinen heute nicht nur die global ausgerichteten Organisationen des UN-Systems zu verfallen.

Nicht nur afrikanische und arabische Regionalorganisationen, von der Arabischen Liga zur OAU; “selbst wiche Organisationen wie OECD, GATT und Europarat scheinen heute im Windschatten der Weltpolitik und der Weltwirtschaft zu leben und leiden unter der sichtlichen Unlust der Mächtigen, ihre wirklichen Probleme im Rahmen dieser Organisationen zu besprechen oder gar zu lösen.

Viele der Gründe für diese Abkehr nicht nur vom Internationalismus als Gesinnung, sondern vom Multilateralismus als Methode, werden am deutlichsten im Rahmen der Vereinten Nationen sichtbar. Ihre Krise ist daher auch die größere Krise des gesamten internationalen Systems, wie es in den Jahren nach 1945 — aufgebaut auf einigen wichtigen Leitgedanken — entstanden ist.

Vordergründigste Ursache der Krise der Vereinten Nationen ist zweifellos die „Eroberung“ der Organisation durch eine neue, vor allem aus Staaten der Dritten Welt zusammengesetzten „Mehrheit“ ebenso wie deren Entschlossenheit, von dieser scheinbaren neuen Macht Gebrauch zu machen.

Wurde daher vielen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen deutlich der Stempel dieser neuen Mehrheit aufgedrückt, haben sie echte Machtverschiebungen weder im wirtschaftlichen noch politischen Bereich bewirken können: Verbindlich sind nach den Satzungen der Vereinten Nationen nur die Beschlüsse des Sicherheitsrates, in dem die fünf Ständigen Mitglieder ihr Vetorecht nach wie vor eifersüchtig hüten.

Wenig verständlich scheint daher die oft zur Schau getragene Irritation auch großer Staaten gegenüber den Mahnungen und Aufrufen der Generalversammlung, deren Ziel nicht nur die Interessen westlicher Staaten sein können: Jährlich wachsende Mehrheiten verurteilen heute auch die Besetzung Afghanistans durch die UdSSR und fordern den Abzug Vietnams aus Kampot-scha.

So erfreulich es wäre, würde Angst vor moralischer Zensur Großmächte in solchem Maß be-

wegen, liegt die Abkehr von Methode und Inhalt der Vereinten Nationen doch tiefer begründet: Vor allem in der immer erkennbaren Unlust großer Staaten, sich auch nur dem kollektiven politischen Urteil oder gar den Beschlüssen einer aus kleinen Staaten zusammengesetzten Mehrheit zu unterwerfen. Dies gilt auch dann, wenn die kleineren Staaten solche des eigenen „Lagers“ sind...

Daher werden heute Grundsätze der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen westlichen Industriestaaten nicht mehr in der doch immerhin aus vierundzwanzig Mitgliedern bestehenden OECD, sondern auf einem „Gipfel“ beraten, zu dem nur noch sie-

ben Staaten zugelassen sind.

Daher fallen die wichtigsten Beschlüsse zur Währungs- und Finanzpolitik der Welt nicht mehr im IMF (Weltwährungsfonds), sondern in der Gruppe der Fünf (zu der Kanada und Italien jetzt gelegentlich zugelassen werden dürften), werden wichtige Weichenstellungen der Welthandelspolitik nicht mehr im GATT multilateral zwischen allen vertragsschließenden Parteien erarbeitet, sondern oft im trilateralen Verbund EG-Japan-USA.

Der schwerwiegendste Verstoß der Vereinten Nationen besteht , aber darin, einer Form der Meinungsbildung verbunden zu sein, die heute vielen der Großen unserer Zeit lästig ist und ihre neue Vorliebe nach exklusiven Formen der Beschlußfassung nicht rechtzeitig erkannt zu haben.

Ihr Festhalten an diesen Prinzipien ist den Vereinten Nationen teuer zu stehen gekommen: zuerst dadurch, daß viele ihrer politischen Organe infolge des hinhaltenden Widerstandes großer

Mächte zur Sterilität verurteilt werden. Wer erinnert sich nicht an das Drama der immer unproduktiver werdenden Verhandlungen über eine „NIWO“ (Neue Internationale Wirtschaftsordnung) oder den Beginn einer Runde globaler Verhandlungen?

Gleichzeitig wurden die Fälle immer seltener, in denen den Vereinten Nationen echtes Krisenmanagement übertragen wurde: im Nahen Osten, im Südlichen Afrika und anderswo ist Krisenmanager heute entweder die westliche Großmacht, seltener eine Gruppe kleinerer westlicher Mächte — wie eine Zeitlang in den Verhandlungen zur Gewährung der Unabhängigkeit an Namibia.

Schließlich ist heute die Krise der Vereinten Nationen in ihre dritte und gefährlichste Phase getreten: die Finanzkrise, durch die letzte Lebenskräfte einer Organisation, die trotz mancher Legende finanziell nie verhätschelt wurde, ausgeblasen werden sollen.

Tatsächlich nimmt sich nämlich heute ein UN-Jahresbudget von 800 Millionen US-Dollar auch neben den Kosten nur eines einzigen modernen Waffensystems eher bescheiden aus. Ein einziges atomares U-Boot der Trident-Klasse kostet schon das Doppelte, ein Bl-Bomber allein 400 Millionen US-Dollar.

In manchen Fällen, wie dem der UNESCO, geht die Finanzkrise

dem schließlichen Todesstoß voraus: dem Austritt nicht nur durch ihre Finanzkraft, sondern auch durch ihr politisches Gewicht wichtiger Mitgliedsstaaten. In anderen Fällen kann sie lediglich letzte Warnung sein, nicht länger dem Irrtum zu erliegen, das Urteil einer Mehrheit kleinerer Staaten für wichtiger und politischer zu halten als die Interessen einiger großer Staaten.

Ohne Zweifel erscheinen die Vereinten Nationen heute in ihrer Existenz bedroht, könnten sie aber zumindest in eine politische Bedeutungslosigkeit hinabsinken, wie sie in seinen letzten Jahren für den Genfer Völkerbund kennzeichnend war. Eine UNO ohne USA oder UdSSR würde in der heutigen Weltpolitik rasch marginalisiert.

„Die armen Staaten der 3. Welt werden der Apokalypse entgegentaumeln“

Gewiß scheint eine Welt ohne die Vereinten Nationen für eine Großmacht nur wenig Erschrek-kendes zu haben. Ihre globale Präsenz ersetzt leicht die vielen Funktionen der Tribüne der Vereinten Nationen, mit ihren gewaltigen Ressourcen lassen sich leicht Dienste substituieren, die kleinere Staaten nur mit Hilfe der Vereinten Nationen erlangen können: vom täglichen Wetterdienst bis zur Seuchenbekämpfung, von der Setzung neuen Völkerrechts bis zum ständigen politischen Dialog.

Für viele kleine Staaten wäre allerdings eine Welt ohne die Vereinten Nationen ein Alptraum: Noch rascher als jetzt würden viele afrikanischen Staaten, heute Empfänger von Katastrophenhilfe, vor allem aber auch des entwicklungspolitischen Beistandes der Vereinten Nationen, der Apokalypse entgegentaumeln, noch rascher als jetzt würde so mancher lokale Konflikt—beraubt des Korrektivs einer klärenden Debatte vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen — ausbrechen.

Millionen Menschen - heute allen voran die Opfer der Apartheid - würden ohne das Drängen und Mahnen der Vereinten Nationen auf Einhalten wenigstens elementarer Normen der Menschenrechte und Grundfreiheiten Hoffnung und Aussichten auf ein besseres Leben verlieren. Die Liste ließe sich fortsetzen, besonders was die Aktion vieler Spezialorganisationen betrifft.

Große und kleine Staaten würden aber etwas verlieren, was heute zu den bewährtesten Instrumenten der Weltpolitik gehört: die legitimierende Kraft von Beschlüssen der Vereinten Nationen, die im kleineren Kreis ausgehandelte Ergebnisse erst tragfähig und akzeptabel machen, vor allem aber die Möglichkeit, durch Verpflanzung der Präsenz der Vereinten Nationen in heikle Krisenregionen — von den Blauhelmen am Golan bis zu den Vermittlern in Afghanistan und am Golf— die Ausbreitung von Krieg und Krise zu verhindern.

Es ließe sich daher argumentieren, daß es solche Dienste wohl wert wären, gelegentlich den nicht allzu schmerzlichen Stachel der Kritik der Kleinen zu ertragen.

Der Autor, Abgeordneter zum Nationalrat und Außenpolitischer Sprecher der SPÖ, war jahrelang Österreichs Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York.

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