Die schwächelnde Union

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Die rechtliche Position der EU im Gefüge der globalen Staatengemeinschaft löst immer wieder einen komplizierten politischen und juristischen Parallelslalom aus - auch innerhalb der UNO.

Krisen in Nahost, Umstürze in Nordafrika, Terroristenbekämpfung in Asien und Europa etc. Wie soll sich Europa verhalten? Wie soll Europa handeln? Den politischen und rechtlichen Rahmen von Sanktionen und Interventionen bestimmen die Vereinten Nationen - doch genau dort, in der UNO in New York, hat Europa keine eigene Stimme.

Es ist nicht nur die Nachrichtenlage in Nordafrika, die sich als unübersichtlich erweist. Das gilt auch für die politischen Verflechtungen sowie für das völkerrechtliche Regelwerk. Alles hat miteinander zu tun: Die von der Europäischen Union (EU) gegen Libyen verhängten Sanktionen, das Einfrieren von Geldern vermeintlicher Terroristen und das Rederecht der Hohen Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU in den VN. Das alles hängt unmittelbar mit der Stellung der EU zu den Vereinten Nationen zusammen: Die EU als Internationale Organisation ist nicht Mitglied in der Organisation der Vereinten Nationen - und das löst einen komplizierten politischen und juristischen Parallelslalom aus, diesseits und jenseits des Atlantiks.

Embargokompetenz der VN und der EU

Die UNO wurde 1945 gegründet. Einige Jahre später 1951 bzw. 1957 entstanden die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft. Die Satzung der Vereinten Nationen war daher für die Gründer der Europäischen Gemeinschaften ein "Altvertrag“, den sie zu beachten hatten.

Die Mitglieder der UNO - gemäß Artikel 4 der Satzung der Vereinten Nationen können das nur Staaten sein - haben gemäß Artikel 25 der Satzung die Resolutionen des Sicherheitsrates zu befolgen, was für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aber im Bereich von wirtschaftlichen Sanktionen nicht mehr möglich ist: Mit der Zuständigkeit für den Außenhandel haben sie nämlich auch die Embargokompetenz an die Union übertragen. Die EU kann aber von den Vereinten Nationen formal nicht in Pflicht genommen werden, Embargoresolutionen des Sicherheitsrates der UNO umzusetzen, da sie ja nicht Mitglied der Organisation ist. Das ergibt eine komplexe Situation.

Die juristische Eselsbrücke zur Lösung dieses Problems ist die Annahme, dass die Mitgliedstaaten in der EU deren Beschlüsse so zu fassen haben, dass damit die bindenden Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen umgesetzt werden. Konkret heißt das, dass der Rat, bevor sein Embargobeschluss gemäß Artikel 215 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ergeht, zuvor einen Beschluss im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik GASP der EU zu erlassen hat.

Genauso geschah es heuer im Falle der Sanktionen gegen Libyen. Zunächst erging im Februar die Resolution 1970 des Sicherheitsrates der UNO, der wenige Tage danach in der EU der Beschluss 2011/137/GASP des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen folgte, der wiederum durch die Embargo-Verordnung 204/2011/EU des Rates näher ausgeführt wurde.

Durch diese beiden Rechtsakte des Rates der EU wurde der Inhalt der Resolution des Sicherheitsrates der VN in der EU verbindlich umgesetzt, und zwar das Waffenembargo, das Ausfuhrverbot für Ausrüstungen, die zur internen Repression verwendet werden können, die Einreisebeschränkungen für Personen, die an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren etc.

Terrorverdächtige siegen

Für das Einfrieren von Geldern, die terrorismusverdächtigen Personen zugeordnet werden, wählte man eine ähnliche Vorgangsweise, nämlich das sogenannte "Listing“, indem terrorverdächtige Personen in eine Liste im Anhang von Resolutionen des UNO Sicherheitsrates aufgenommen werden.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete vor zehn Jahren in diesem Zusammenhang zwei einschlägige Resolutionen, nämlich die Resolutionen 1333 (2000) und 1373 (2001). Zu deren Umsetzung folgten die entsprechenden Rechtsakte des Rates der Europäischen Union.

Da jedoch die Resolutionen des Sicherheitsrates den von ihnen namentlich aufgelisteten Terrorismusverdächtigen zunächst keinen Rechtsschutz gewährten, fochten einige von ihnen die Umsetzungs-Verordnungen des Rates der EU an: Sie reichten vor dem Gerichtshof Nichtigkeitsklagen ein, denen der EuGH auch stattgab. So entstand eine geradezu skurrile Situation: Da die EU zur Umsetzung der Terrorismus-Resolutionen des Sicherheitsrates ja verpflichtet war, hatte sich die Menschen- und Grundrechtsverletzung nicht in ihrem, sondern im Rahmen der Vereinten Nationen ereignet. Damit hatte aber der Gerichtshof der Europäischen Union mit seinen Nichtigkeitsurteilen der UNO indirekt vorgeworfen, keinen Rechtsschutz gewährt und damit nicht rechtsstaatlich gehandelt zu haben. Daraufhin wurde in New York eilends nachgebessert und im Schoß des Sicherheitsrates ein eigenes, allerdings bloß administratives, Kontrollorgan eingesetzt.

Der - nach Embargo und individuellen Sanktionen gegen Terrorverdächtige - dritte in diesem Zusammenhang zu erwähnende Problembereich in den Beziehungen zwischen den VN und der EU ist die Wahrnehmung der Außenvertretung der EU in den Organen der VN. Bereits im Jahr 1974 hatte die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in der Generalversammlung der Vereinten Nationen einen Beobachterstatus erhalten: Ihr Vertreter durfte zuhören, aber nicht sprechen.

Rederecht der Hohen Vertreterin

Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, also seit Ende 2009, vertritt vor allem die Hohe Vertreterin der EU für die GASP, Lady Ashton, die EU in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Sie ist allerdings nicht Repräsentantin eines Staates, sondern einer Internationalen Organisation mit eigener völkerrechtlicher Rechtspersönlichkeit (Artikel 47 EU-Vertrag), nämlich der EU. Da die Vereinten Nationen aber eine rein von Staaten getragene Organisation sind, andererseits die EU in der Generalversammlung der Vereinten Nationen nur Beobachterstatus hat, kommt Lady Ashton ein Rederecht überhaupt nur nach allen Staatenvertretern zu, die sich zu Wort gemeldet haben. Für den Sicherheitsrat wiederum sieht Artikel 34 Absatz 2 EUV vor, dass die dort vertretenen EU-Mitgliedstaaten Lady Ashton beauftragen können, den Standpunkt der EU vorzutragen - soferne das Thema auf der Tagesordnung steht und die EU sich eine Meinung dazu gebildet hat.

Die Bemühungen der Europäer, die Stellung der Europäischen Union in den Vereinten Nationen zu verbessern, erlitten kürzlich aber einen herben Rückschlag. Die 27 EU-Mitgliedstaaten legten im August vorigen Jahres der Generalversammlung einen entsprechenden Resolutionsentwurf vor. Dessen Behandlung wurde im September allerdings vertagt: Andere Regionalorganisationen - darunter die Organisation Amerikanischer Staaten, die Afrikanische Union und die Arabische Liga - hatten umgehend dieselben Begünstigungen verlangt.

* Der Autor ist emeritierter Univ.-Prof. für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck

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