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Bei Sanktionen mitstimmen?

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In wenigen Wochen, auf der im September stattfindenden 27. ordentlichen Session der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wird Österreich offiziell für einen der zehn nicht-ständigen Sitze des Sicherheitsrates kandidieren. Die Chancen Österreichs, für zwei Jahre dem eigentlichen Machtzentrum der UNO anzugehören, stehen gut, vor allem wenn man die diplomatischen Vorarbeiten ins Kalkül zieht; bei der Bestellung sind „in erster Linie der Beitrag der Mitglieder der Vereinten Nationen für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und für die anderen Ziele der Organisation, dann eine angemessene Aufteilung in geographischer Hinsicht gebührend zu berücksichtigen“. Vor allem das zweite Moment, die geographische Aufteilung, wurde bisher peinlich genau beachtet.

Deshalb aber zu meinen, das Rennen sei gelaufen, ist zumindest verfrüht, denn jeder Schritt in Richtung Sicherheitsratssitz ist an der immerwährenden Neutralität Österreichs zu messen. Und daß die Maßstäbe streng zu sein haben, ergibt sich aus der weltpolitischen Situation und der Konstruktion der Vereinten Nationen — im konkreten Fall aus den (tradierten) Aufgaben des Sicherheitsrates.

„Das Ideal der aus der antifaschistischen Koalition des zweiten Weltkrieges entstandenen UNO“, so der Wiener Völkerrechtler Dr. Heribert Köck, „war das System der kollektiven Sicherheit, nach welchem die Mitglieder verpflichtet sein sollten, gemeinsam gegen einen allfälligen Aggressor vorzugehen.“ Und das Kernproblem, Neutralität — UNO, wertend, führt Köck aus: „Besonders das nach Kapitel VII vorgesehene Verfahren, in welchem der Sicherheitsrat auch militärische Maßnahmen gegen den Aggressor ergreifen kann, wobei alle Mitglieder nach Artikel 25 der Satzung verpflichtet sind, einem solchen Beschluß Folge zu leisten und an militärischen Sanktionen teilzunehmen, mußte ursprünglich die Mitgliedschaft eines dauernd neutralen Staates als unmöglich erscheinen lassen.“ Nun, inzwischen fand ein „peaceful-change“ der Charta statt — die Vereinten Nationen kehrten zum traditionellen Kriegs- und Neutralitätsdenken zurück, Österreich ist seit 1955 Mitglied der Vereinten Nationen.

Nicht so einfach allerdings liegt das Neutralitätsproblem bei einer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, denn dieses Organ hat den Weltfrieden zu wahren, ihn, wenn nötig, durch repressive Maßnahmen wiederherzustellen.

Kann oder darf ein neutraler Staat aber für militärische oder sonstige Sanktionen gegen irgendeinen Aggressor stimmen? Hieße das nicht die Neutralität verletzen oder zumindest bei jeder Routineabstimmung den neutralitätspolitischen Vorraum kompromittieren?

Außenminister Dr. Kirchschläger meinte nein, als er im Juli im Parlament erklärte, daß „keine neutralitätsrechtlichen und allgemein politischen Überlegungen die Kandidatur Österreichs für einen der nichtständigen Sicherheitsratssitze hindern“.

Nicht nur die Opposition, auch die Lehre meldet jedoch dagegen schwere Bedenken an: „Österreich wird nicht darum herumkommen“, um noch einmal Dr. Köck zu zitieren, „in diesem Gremium, dem Sicherheitsrat, zu heiklen internationalen Fragen Stellung nehmen zu müssen. Dabei besteht die Gefahr, daß dieser Zwang zur international-politischen Dauerdeklarierung auf Grund der besonderen geopolitischen Situation Österreichs Stellungnahmen veranlassen könnte, deren Inhalt nach dem Prinzip des geringeren Widerstandes gravitiert.“

Abseits aller zu befürchtenden innenpolitischen Querellen wird es aber notwendig sein, diesen Problemkatalog noch einmal, ohne Emotionen und Prestigewünsche, zu durchdenken. Niemand sollte sich allerdings auf ausländische Beispiele berufen: denn Schweden und Finnland sind nur faktisch neutral. Sie treiben eine Neutralitätspolitik, ohne rechtlich dazu verhalten zu sein; und die Schweiz, das österreichische Neutralitätsmuster seit 1955, ist nicht einmal Mitglied der Vereinten Nationen...

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