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Unser Gluck - unser Recht - unsere Aufgabe

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I.

Im engsten Sinne des Wortes bedeutet die Neutralität soviel wie das Fernhalten und Unberührtbleiben von Konflikten, vor allem von kriegerischen Verwicklungen. Es ist dies ein Zustand, der den Menschen nicht anders denn als Ideal vorschweben muß. Wie stets im Leben ist auch hier und auch für Oesterreich die Wirklichkeit vom Ideal sehr weit entfernt.

Zunächst müssen wir aber mit tiefer Dankbarkeit feststellen, daß die Erklärung der österreichischen Neutralität, wie sie der Staatsvertrag von 195 5 festlegt, einen unschätzbaren Vorteil gebracht hat: die Befreiung von der Besetzung und damit nach der bereits früher erfolgten formellen, endlich auch die praktische Wiederauferstehung einer freien Heimat. Die Freude darüber war so groß, daß zu viele und vielleicht für zu lange vergaßen, wie sehr dieser neue Zustand der Neutralität der voraussichtigen Sorge zu seiner Bewahrung bedarf und wie wenig Möglichkeit dafür besteht, sich unbeschwert und dauernd der milden Wärme eines neutralen Sonnenscheins unter dem internationalen Himmel erfreuen zu können. Auch läßt sich das neutrale Oesterreich, selbst wenn man den Optimismus etwas weniger weit treibt, in keiner Weise mit einer ruhigen Insel vergleichen, um die herum, je nach der Wetterlage, die Wellen munter plätschern oder aber im Sturm die Wogen branden, ohne die Insel zu erschüttern und ohne in dem Neutralen, der sich das Schauspiel betrachtet, eine stärkere Mitleidenschaft hervorzurufen als etwa ein Gruseln und Grauen. — Wahr ist vielmehr, daß unsere Neutralität noch im zarten Anfangsstadium steht, beim besten Willen noch nicht weiter gediehen sein kann und derzeit noch kaum mehr ist als etwa eine Krisenorganisation für Friedenszeiten. Aus dem Schicksal Belgiens wissen wir, wie wenig Schutz die bloße Etikette der Neutralität gewähren kann, selbst wenn ihre Echtheit garantiert ist; die Geschichte der Schweiz aber zeigt uns, daß auch ein in sich gefestigter Neutraler, sogar wenn er militärisch gerüstet ist, nicht mit einer Insel, sondern mit einem Kahn vergleichbar wäre, der, um den Sturm zu überdauern und den Wettern zu trotzen, eines erprobten Schiffers und einer Mannschaft bedarf, die sich nicht durch das Säuseln linder Lüfte in Sicherheit wiegen und von einem Wettersturz überraschen lassen. * *

Zum Begriff der Neutralität ist zunächst zu sagen, daß es einen tatsächlichen Zustand der Neutralität, der Nichtteilnahme eines Dritten am Konflikt zweier anderer, seit jeher gegeben hat. Hierüber brauchen wir kein Wort zu verlieren. Worum es uns geht, ist eine verfassungsmäßig und juristisch definierte Neutralität, die, so wie etwa in Oesterreich, auf einem Staatsvertrag und einem Verfassungsgesetz beruht und die, wie in der Schweiz, auch innerpolitisch gesetzlich untermauert sein kann. Und es gibt schließlich einen für Oesterreich noch neuen schwierigen Pflichtenkreis der diplomatischen Neutralität, der diplomatischen Tätigkeit zur Sicherung der Respektierung der Neutralität, die wie ein Schiff auf hoher See stets von Strömungen und Gefahren bedroht werden kann, so daß es nun gilt, die Untiefen und Klippen zu vermeiden, mit denen das internationale Fahrwasser auch heute besät ist, wie nur eh und je! Einer näheren Begründung dieser vielleicht noch nicht weit genug gewürdigten Tatsache sind die folgenden Ausführungen gewidmet.

Im Staatsvertrag ist laut Artikel I und II des Verfassungsgesetzes vom 26. Oktober 195 5 der Begriff der Neutralität Oesterreichs damit präzisiert, daß festgestellt wird, Oesterreich werde seine immerwährende Neutralität mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen und in aller Zukunft keinen militärischen -Bündnissen beitreten und keine Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete zulassen. Dazu kommen die im Staatsvertrag festgesetzten Grenzen seiner militärischen Rüstung.

Hiermit scheint für manche die Angelegenheit erledigt und mit der Anerkennung diese? neutralen Zustandes im wesentlichen — abgesehen von Gewaltausbrüchen mit unabsehbaren Folgen — die Gefahr rein diplomatischer Verwicklungen gebannt. Daß dem nicht so ist, kann man aus der diplomatischen Verteidigung der Neutralität der Schweiz ersehen. Dem Einwand, daß die traditionelle Schweizer Neutralität tatsächlich mit keiner anderen vergleichbar ist, so daß sie nicht zum Vergleich herangezogen werden könne, ist damit zu erwidern, daß die Schweiz aus verschiedenen Gründen eine besondere Sicherung ihrer Neutralität genießt, daß es aber gerade aus diesem Grunde um so beachtenswerter ist, in welch schwierige diplomatische Situationen sie sogar in Friedenszeiten kommen konnte. Wenn aber sogar die Schweiz mit ihren besonderen Sicherungen schwerwiegende diplomatische Aktionen für ihre Neutralität unternehmen mußte, um wieviel mehr muß eine Neutralität, die das Produkt diplomatischer Unterhandlungen ohne besondere Garantien ist, mit der Möglichkeit diplomatischer Aktionen rechnen/

Die Neutralität Oesterreichs wurde von allen in Betracht kommenden Staaten anerkannt und zur Kenntnis genommen und ist auch im Rahmen der Vereinten Nationen bindend und gültig. In Krisenzeiten und während eines Krieges ist die Neutralität aber nicht nur Gegenstand mißtrauischer Ueberwachung, sondern auch der Auslegung und gelegentlicher Interpretation, so sehr, daß die Schwierigkeiten der Schweiz nach dem ersten Weltkrieg sogar den Rückzug auf die integrale bewaffnete Neutralität als zwingend erscheinen ließ.

Oesterreichs Neutralität, auch dies sei hier noch vorweggenommen, genießt allerdings, ebenso wie die Schweizer, den Schutz, den die Satzungen der Vereinten Nationen bieten. Diesen Schutz haben wir in Korea in Wirksamkeit treten, in Ungarn versagen und in Indonesien, anläßlich der willkürlichen Vertreibung der Holländer, in seiner Ohnmacht gesehen.

Mit seiner ganzen Neutralität ist Oesterreich wie jeder andere Staat auf sich selbst gestellt und darauf angewiesen, die Neutralität unbedingt zu wahren, des weiteren sie nicht nur im äußersten Notfall integral und unbedingt zu verteidigen, sondern auch — und das ist für die österreichische Außenpolitik das Entscheidende, ihr nicht nur formelle Anerkennung, sondern jenen Respekt zu verschaffen, der dem guten Recht, das ja auch die vergewaltigten Staaten nominell, aber ohne praktische Auswirkung besaßen, jene Kraft verleiht, die auch den weitaus Stärkeren zum Nachdenken darüber veranlaßt, ob es sich lohnt, die Neutralität als einen Vorwand für eine Intervention zu benützen, wenn eine derartige Intervention wenn auch nicht mit mehr als mit einem kräftigen Biß in die Hand des ' Intervenienten verbunden ist!

Das gute Pecht der Neutralität samt den hinzukommenden Garantien der Integrität und Unverletzlichkeit des Territoriums hat allein auch die Schweiz nicht vor der Vergewaltigung gerettet. Nur die rücksichtslose Bereitschaft zum vollen Einsatz hat die Achtung vor ihrem Recht gewährleistet.

Für Oesterreich ist die Lage dadurch charakterisiert, daß es das gute Recht, aber keine Garantien und noch keine ausreichenden militärischen Kräfte besitzt.

Der Aufbau des militärischen Apparats nimmt seinen Fortgang. In der Außenpolitik aber gibt diese für jedermann offenkundige Situation Anlaß zur Forderung, daß systematisch einerseits der eigenen Bevölkerung das Prekäre einer un-gerüsteten Neutralität klargelegt, anderseits allen fremden Staaten durch die österreichischen Missionen im Ausland der österreichische Standpunkt und die im Staatsvertrag begründete Forderung nach einer Garantierung seines Territoriums in zweckmäßiger Weise verständlich gemacht werde.

Für die Diplomatie bietet sich hier ein fruchtbares und noch wenig bearbeitetes Feld der Tätigkeit, denn von einer simplen und gleichmäßigen Aktion kann hier nicht die Rede sein.

Regierungen, mit deren aufrichtiger Sympathie man rechnen kann, werden wohl kaum leugnen können, daß die bloße Anerkennung der Neutralität ohne Garantie, ohne festen Entschluß, sie zu schützen, eine Lücke im europäischen Staatensystem bildet. Der Lauf auch der modernsten Geschichte hat zur Genüge erwiesen, daß auch warme Sympathien nicht davor schützen, im entscheidenden Augenblick aus sogenannten realpolitischen Erwägungen, in

Wirklichkeit aus Angst vor einem starken Gegner, im Stich gelassen zu werden. Bei den Vereinten Nationen ist es durchaus angemessen, das Bedauern über das Versagen dieser Organisation in den eklatanten Fällen, in denen die Macht über das Recht siegte, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Diese Erinnerung, die den eigenen Staatsbürgern stets gegenwärtig sein muß, ist um so wichtiger, als zunächst infolge der Euphorie, hervorgerufen durch die günstige wirtschaftliche Entwicklung, in vielen das Gefühl vorherrscht, es müsse mit der Hebung des Lebensstandards immer so weiter vorwärts gehen, obwohl hierfür eine sichere Gewähr nicht besteht. Das Morgen bleibt immer sehr ungewiß, und die Lage wird für einen Neutralen dadurch kompliziert, daß er, auch das neutrale Oesterreich, gerade unter dem Zwang, mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten, nicht darauf verzichten kann, an den entstehenden europäischen Markt Anschluß zu suchen. Die sich daraus entwickelnden Kontakte, die auch als Bindungen dargestellt werden können, erfordern unabwendbar eine Aktionsfreiheit, ja geradezu eine Wehrbereitschaft sowohl im technischen als auch im moralischen Sinn, um zwischen Bindung und Neutralität den Ausgleich finden zu können.

Während nun die Bundesregierung für den materiellen Aufbau einer Wehrbereitschaft Vorsorge zu treffen beginnt, ist von einem Gedanken eines Wehrwillens in allen Schichten der Bevölkerung, die vor allem dem wirtschaftlichen Wohlergehen ihre Aufmerksamkeit zuwendet, kaum etwas zu spüren. Diese Haltung bleibt in jenen Ländern, deren Einstellung uns gegenüber von lebenswichtiger Bedeutung ist, nicht unbeachtet. Wenn es sich auch gewiß zunächst bei dem einen oder dem anderen nicht ungünstig auswirken dürfte, wenn die Ungefährlichkeit Oesterreichs bis zum äußersten demonstriert wird, so ist auf die Dauer doch die Ungefährlichkeit des Schweizer Igels vorzuziehen, der sich, wenn er angebellt wird, zusammenrollen und seine Stacheln zeigen kann. Die Schweiz hat uns gelehrt, wie man die Verwundbarkeit auf ein Minimum reduziert.

Die Neutralität ist mit einer mehr oder minder großen Verwundbarkeit wesentlich verknüpft. Die Verwundbarkeit des Neutralitätsbegriffes zeigte sich nicht nur in krasser Weise bei der Vergewaltigung Belgiens, zyletzt im Jahre 1940. Es gibt Meinungen, die Neutralitätserklärung Belgiens sei überhaupt der Vorwand für die Intervention gewesen, doch war es in Wahrheit doch wohl die skrupellose Ausnützung des Punktes des geringsten Widerstandes, die dem Angreifer gerade Belgien als das geeignete Opfer für die Erreichung des sogenannten höheren Zieles erscheinen ließ.

Die Gefahr besteht aber nicht im Bereich der rohen Gewalt allein; die Bedrohung der Neutralität in der Politik auch gutgesinnter Mächte ist nicht ohne Beispiel in unserer neuesten Zeit. Ein kurzer Rückblick auf die Erfahrungen der Schweiz zeigt alles auf, was zu wissen auch heute nötig ist.

(Fortsetzung und Schluß im nächsten Blatt)

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