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Christlichsoziale und „Anschluß“

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Daß die Großdeutsche Partei den Anschlußgedanken unentwegt und kompromißlos vertrat, braucht nicht näher betont zu werden. Ganz anders lagen die Verhältnisse bei den Christlichsozialen. Auch dort schwelte eine Zeitlang der Anschlußgedanke weiter, aber er trat sehr rasch immer wieder mehr und mehr in den Hintergrund und machte einem auf einen echten Staatsgefühl beruhenden Bestreben Hatz, diese junge österreichische Republik von innen heraus so zu festigen, daß an ihrem äußeren Bestand nicht mehr gezweifelt werden brauchte. Die sich daraus immer wieder ergebenden Differenzen mit dem großdeutschen Regierungspartner führten ja auch wiederholt zu Regierungskrisen. Mit der Etablierung des Nationalsozialismus in Deutschland waren aber auch innerhalb der Christlichsozialen Partei die letzten Reste jeder „gesamtdeutschen“ Lösung ausgetreten, und was dann kam, war nur noch ein Kampf um die Unabhängigkeit des Landes.

Wäre ein Schuß gefallen...

Diese latente Unsicherheit bestimmte in diesen Jahren auch die österreichische Außenpolitik. Die Notwendigkeit, Partner zu finden, die bereit sein sollten, die österreichische Unabhängigkeit, wenn notwendig auch mit Waffengewalt, zu verteidigen, war das Ziel einer Außenpolitik, die zu den römischen Protokollen führte und beim Juliputsch 1934 ihre ersten und letzten Früchte trug. Der Aufmarsch italienischer Truppen am Brenner in diesen Tagen war ohne Zweifel mit ein Anlaß dafür, daß die von Deutschland angezettelte Revolte schließlich von Berlin nicht weiter unterstützt wurde.

Als die römischen Protokolle nicht mehr hielten, was sie versprachen,

war auch das Ende der österreichischen Unabhängigkeit gekommen. Es war ein Ende mit militärischen Maßnahmen; der Einmarsch děr deutschen Truppen machte die geplante Volksabstimmung, die sicher zu einem hohen Prozentsatz zugunsten Österreichs ausgegangen wäre, unmöglich. Es war also ein gewaltsamer Überfall auf einen souveränen Staat und nicht eine auf einem Volksentscheid oder auf einem Beschluß gesetzgebender Körperschaften beruhende Auslöschung der Souveränität.

Dies festzuhalten erscheint aus einem besonderen Grunde wichtig. Österreich leistete dem Einmarsch deutscher Truppen über ausdrücklichen Wunsch des Bundeskanzlers keinen militärischen Widerstand. Schuschnigg begründete diesen Verzicht damit, daß unnützes Blutvergießen vermieden werden sollte. Eine menschlich verständliche Entscheidung, die sich aber in der Politik später als ein Fehler erweisen sollte. Sicherlich wäre ein militärischer Widerstand Österreichs in wenigen Stunden gebrochen gewesen. Aber Österreich hätte damit die unbestreitbare Legitimation gehabt, daß es alles getan hat, was in seinen Kräften stand, um seine Souveränität zu schützen. Der Beschluß von Jalta, daß Österreich seine Mitschuld am Kriege zu verantworten habe — eine auch aus sachlichen Gründen unhaltbare Behauptung —, wäre jedenfalls nicht möglich gewesen; das aber hätte Österreich 1945 wahrscheinlich eine bessere internationale Situation eingetragen.

Am 21. August 1968 hat die Bundesregierung daher auch einen ganz anderen, nicht mißzuverstehenden Standpunkt eingenommen!

Österreichs Neutralität

Die Position unseres Landes war daher 1945 auch recht prekär, und der österreichischen Außenpolitik stellte sich faktisch eine einzige Aufgabe: den Abzug der Besatzungstruppen zu erwirken und damit die volle Souveränität des Landes wiederherzustellen. Daß dies 1955 gelungen ist, ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Die wichtigste und hauptsächlichste war die Änderung der sowjetrussischen Politik gegenüber Österreich. Die Erklärung der immerwährenden Neutralität — das erstemal hat Julius Raab schon 1953 davon gesprochen, das sollte nicht vergessen werden! — gab der Moskauer Regierung die Möglichkeit, darzutun, daß sie gegenüber Österreich keine machtpolitischen Aspirationen hege, wenn dieser Staat bereit ist, sich für alle Zelten von jeder militärischen Aktion gegen die Sowjetunion femzuhalten.

Die österreichische Neutralität war und ist für die sowjetische Politik eih Element, das vielleicht in anderen Weltteilen noch ein oder das andere Mai als Beispiel und Argument einer Friedenspolitik seine Anwendung finden kann. Für Österreich selbst ist diese immerwährende Neutralität mehr. Auch wenn die Zusage, den völkerrechtlichen Status Österreichs künftig auf den einer immerwährenden Neutralität zu fundieren, keine Vorbedingung für den Abschluß des Staatsvertrages gewesen wäre, so erweist sich die geographische Lage des Landes und seine militärische Kapazität als von selbst gegebene Begründung für den Neutralitätsstatus. Ein Land von der Lage und Größe Österreichs ist geradezu prädestiniert, neutral zu sein! Es kann und darf daher überhaupt keine Überlegung über eine Äderung dieses Zustandes geben, und die große Welt kann sich darauf verfassen, daß Österreich auch in Zukunft keine andere Politik machen wird, solange man seine Souveränität respektiert.

Das bedeutet natürlich auch, daß Österreich selbst alles tut, was in seinen Kräften steht, um seine Souveränität zu schützen. Österreich muß also ein seinen Kräften entsprechendes Maximum der militärischen Landesverteidigung und der wirtschaftlichen Wohlfahrt als Grundpfeiler der Souveränität präsentieren. Nur der Vollständigkeit halber sei hier auch noch der selbstverständliche Grundsatz erwähnt, daß die völkerrechtliche Neutralität nichts mit politischem Neutralismus zu tun hat, sondern Österreich ein Staat nach westlicher Ordnung ist und bleiben wird; man müßte eigentlich sagen, bleiben muß, weil die freie demokratische Ordnung auch eine der Voraussetzungen der Neutralität darstellt. Ein kommunistischer Sta-at kann in Wirklichkeit kein neutraler Staat sein, weil seine ideologischen Bindungen und Gemeinsamkeiten mit dem Mutterland des Kommunismus eine echte Neutralität nicht ermöglichen. Das wird auch von der herrschenden kommunistischen Ideologie der Sowjetunion bestätigt; nach sowjetischer Völkerrechtsauffassung ist nämlich die Souveränität eines kommunistischen Landes nur so weit von Belang, als die kommunistische Ordnung dadurch im Lichte der sowjetrussischen Auffassung nicht gefährdet wird. Ohne unbedingte Souveränität gibt es aber keine Neutralität!

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