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Traumatologie und Therapie der Landesverteidigung

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Der 21. August 1968 hat in Europa und darüber hinaus Auswirkungen hervorgerufen, die von ihren Urhebern kaum geahnt, sicherlich aber nicht beabsichtigt wurden. Eine dieser Auswirkungen war, daß in Osterreich der Landesverteidigung jetzt Mittel für eine Reihe lang ausständiger Maßnahmen zu ihrer Belebung und Verstärkung gegeben werden. (Siehe auch „Furche“ vom 15. Februar 1969: „Hartes Image für das Heer.“) Jeder, der weiß, an wie vielem und wo es hier fehlt, kann sich darüber nur freuen. Könnte sich freuen, wenn mit jenen Maßnahmen auch die ganze Malaise um die Landesverteidigung verschwinden würde, welche — meist indirekt — die Zueignung jener Mittel die ganzen Jahre über aufgehalten hat. Sicherlich ist der Anlaß — die durch den 21. August entstandene Lage — schwerwiegend genug, um viele Hemmnisse zu beseitigen. Wird, muß der Anlaß aber anhalten, um die tieferen Ursachen jener Hemmnisse zu pazi-fiziereri?

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Der 21. August 1968 hat in Europa und darüber hinaus Auswirkungen hervorgerufen, die von ihren Urhebern kaum geahnt, sicherlich aber nicht beabsichtigt wurden. Eine dieser Auswirkungen war, daß in Osterreich der Landesverteidigung jetzt Mittel für eine Reihe lang ausständiger Maßnahmen zu ihrer Belebung und Verstärkung gegeben werden. (Siehe auch „Furche“ vom 15. Februar 1969: „Hartes Image für das Heer.“) Jeder, der weiß, an wie vielem und wo es hier fehlt, kann sich darüber nur freuen. Könnte sich freuen, wenn mit jenen Maßnahmen auch die ganze Malaise um die Landesverteidigung verschwinden würde, welche — meist indirekt — die Zueignung jener Mittel die ganzen Jahre über aufgehalten hat. Sicherlich ist der Anlaß — die durch den 21. August entstandene Lage — schwerwiegend genug, um viele Hemmnisse zu beseitigen. Wird, muß der Anlaß aber anhalten, um die tieferen Ursachen jener Hemmnisse zu pazi-fiziereri?

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Wir haben schon einmal erlebt, wie durch einen äußeren Faktor die innere Problematik der Landesverteidigung scheinbar gelöst worden ist. Das war, als die 1955 abziehenden Besatzungsmächte unser in Entstehung begriffenes Heer mit Ausrüstung und Heeresgütern reichlich bedachten. Dieses Patengeschenk ermöglichte — wie. ein hoher Militär unlängst weise feststellte —, daß der erste Verteidigungsminister der Zweiten Bepublik, Ferdinand Graf, sich nur über die organisatorische Verwendung der geschenkten Güter den Kopf zerbrach und daß er nicht — was seine eigentliche, erste Aufgabe hätte sein müssen — sich damit beschäftigte, geistige Grundlagen für das militärische Konzept zu finden. Just über diese hätte man nämlich viel eifriger-und gründlicher diskutiert; -.wenn man-für die Sache zur Gänze aus eigenem; hätte aufkommen müssen.

Wohl stürzten und stützten sich alle damals auf die Neutralität als wesentlichsten Grund für die Schaffung des Heeres. Dabei wurde — und wird auch heute noch oft — vergessen, daß die Neutralität selber nur ein Mittel unseres Schutzes nach außen ist. So aber wurde das Heer immer als Hüter unserer Neutralität bezeichnet (was nur bedingt gilt) und viel weniger als Schützer unseres Landes, seiner Menschen, seiner gesellschaftlichen, kulturellen und materiellen Werte und Errungenschaften (was absolut gilt).

Mit alldem war aber die ganze, höchst nötige Auseinandersetzung um die Daseinsberechtigung des Heeres von vornherein geschwächt. Das Zentrum beteiligte sich wenig daran, und es waren eher nur die äußeren Flügel auf der Rechten und Linken, mit denen die führenden Männer unserer damaligen Politik, Raab und Schärf — jeder sowieso auf seine Weise nur Realpolitiker und Diskussionen abhold —, nicht viel Zeit verloren. Raab hatte es dabei leichter mit den von rechts kommenden Einwänden. Diese richteten sich — bei der Bejahung der Wehrpflicht — insbesondere gegen die Neutralität und stellten damit den Anspruch auf die wiedererlangte Eigenständigkeit Österreichs in Frage. Bei den Sozialisten gab es umgekehrt wenige Bedenken gegen die Neutralität, wohl aber viel und höchst involvierte gegen die Militärdienstpflicht. Der Katalog der sozialistischen Widerstände und ihrer historisch-psychischen Hintergründe ist durchaus nicht der einzige in Österreich, der noch geschrieben werden müßte und Stoff für mehrere Habilitationsschriften böte. Hier kann daher nur ein kurz skizziertes unvollständiges Inventar aufgestellt werden.

Da sind zunächst die allgemeinnationalen der verlorenen Kriege. Die Niederlage von 1866 durch die Preußen wurde mit Hilfe des Deutschnationalismus und somit durch den Glauben rationalisiert, daß wir Kriege nicht gegen die Deutschen, sondern nur mit ihnen gewinnen könnten. Als dies 1914 bis 1918 widerlegt wurde, retteten wir uns in den Glauben, daß wir Kriege fürder-hin überhaupt nur als Deutsche gewinnen könnten. Dies wurde durch den Ausgang von 1939 bis 1945 widerlegt. Darauf gerieten all jene unserer Landsleute, die in deutscher Uniform den Krieg mitverloren hatten, in Konflikt mit der Tatsache, daß sie ihn als Österreicher gewonnen hatten. Dies wurde zusätzlich kompliziert durch den Umstand, daß eine — bis heute paradoxerweitse nicht festgestellte — Zahl von Österreichern in der Tat geholfen hatte, den Krieg für Österreich zu gewinnen r als Teilnehmer am Widerstand gegen das Dritte Reich, als Kombattanten in den alliierten Armeen oder einfach als' Opfer-, in Gefängnissen und Konzentrationslagern: Die alliierte Besetzung von 1945 bis 1955 wurden wir auf eine Weise los, die kaum geeignet war, den Gedanken einer österreichischen Militanz zu stärken; eher wurde hierdurch der Aberglaube an eine unbewaffnete Neutralität gestärkt. Weitere Nahrung erhielt dieser spezielle österreichische Ohnmachtsglaube schließlich durch die Nuklearbewaffnung der über solche verfügenden Mächte. Diese allgemein-nationalen Traumen verfilzten sich mit denjenigen spezieller Bevölkerungsgruppen in der Periode 1918 bis 1938. Da war das schwere Trauma durch den Zusammenbruch der Monarchie, den bedeutende Teile des Volkes als gesellschaftliche, materielle und kulturelle Katastrophe erlitten. So wie es diesen Menschen schwerfiel, sich mit der neuen Republik zu versöhnen, so auch mit ihrer Armee. Hatte doch diese viele Impulse der Auflehnung gegen den Krieg der Monarchie nach Hause mitgebracht — Impulse, die sich sodann gegen jene wandten, die sich mit dem Vergangenen weiterhin identifizierten. Dabei waren die Leistungen der republikanischen Landesverteidigung in jenen Jahren nach dem Krieg durchaus wichtig für Österreich und sind auch heute noch positiv wertbar für die Zweite Republik.

Leistungen der gegnerischen Partei anzuerkennen, war damals noch schwerer als heute. So wurde das republikanische Wehrbewußtsein der Sozialdemokratie verletzt, als nach ihrem Ausscheiden aus der Regierungskoalition im Jahre 1921 auch im •Bundesh-eer jeglicher sozialdemokratischer -Einfluß, ideell und personell durch den konservativ-traditionalistischen Verteidigungsminister Vaugoin beseitigt wurde. (In der Rückerinnerung ah jene Zeit wird auch die besondere Empfindlichkeit mancher heutigen Sozialisten gegen Dr. Prader verständlich.) Den schwersten und bis heute nachhaltigsten Schock erlitt die Sozialdemokratie, als gegen sie das Bundesheer im Bürgerkrieg des Februar 1934 mit aller Waffengewalt eingesetzt wurde. Ein Krieg, der nicht geführt wurde: Die kampflose Auslieferung Österreichs an Deutschland üm März 1938, hat sich — wie erst viel später realisiert wurde — traumatisch auf das österreichische Verteidigungsbewußtsein ausgewirkt.

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