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Wer rückt für uns aus?

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Ein hochrangig besetztes Gespräch über Österreichs künftige sicherheitspolitische Rolle in der Europäischen Gemeinschaft beziehungsweise über das, was Österreich sicherheitspolitisch „einbringen" kann, erzielte am Dienstag, 15. Dezember, bei Vizekanzler Erhard Busek hinsichtlich des Willens, das außenpolitische Maastricht-Programm „mitzutragen" und „mitzugestalten" hohe Ubereinstimmung, hinsichtlich der .Durchführbarkeit, der Modelle gab es keine Klarheit.

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Ein hochrangig besetztes Gespräch über Österreichs künftige sicherheitspolitische Rolle in der Europäischen Gemeinschaft beziehungsweise über das, was Österreich sicherheitspolitisch „einbringen" kann, erzielte am Dienstag, 15. Dezember, bei Vizekanzler Erhard Busek hinsichtlich des Willens, das außenpolitische Maastricht-Programm „mitzutragen" und „mitzugestalten" hohe Ubereinstimmung, hinsichtlich der .Durchführbarkeit, der Modelle gab es keine Klarheit.

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Der emeritierte Wiener Politologe Heinrich Schneider meinte, für Österreich schlägt die Stunde der Wahrheit früher als angenommen. Die EG-Beitrittsverhandlungen stehen vor der Tür, desgleichen das Schreckgespenst für schnelle Integrationsbefürworter, die Volksabstimmung über den Beitritt. In diesem Zusammenhang redete Schneider gegen die „Irrlehre" an, als würde die Neutralität ein besonders hohes Gut darstellen, „das wir als Opfer auf dem Altar der Brüsseler Bürokratie darbringen müßten". Interessantes Detail am Rande, daß ein Grundwehrdiener fast schüchtern und leicht verwirrt anmerkte, daß gerade die „Verteidigung der Neutralität" nach wie vor Bestandteil der wehrpolitischen Schulung ist. Damit kam ein Grundproblem der Debatte in Österreich zur Sprache: das der Vermittlung. Was „oben" gedacht, entworfen, skizziert, gehofft, gewünscht, geplant und gefordert wird, ist weder der Bevölkerung bekannt, geschweige denn in gewichtigen Institutionen des

Staates auch nur ansatzweise realisiert.

Womit also beginnen, wenn es um „kooperative Sicherheit" geht, nicht mehr um Heraushalten aus Konflikten gehen darf. Schneider: „Man muß mit einem Kristallisationskern beginnen, das wäre die Europäische Union." Damit ist das, was der Nationalrat vor einigen Wochen grundsätzlich beschlossen hat, Teilnahme Österreichs am (noch nicht existierenden) kollektiven europäischen Verteidigungssystem, der richtige Weg. Demnach weist die Rede Verteidigungsminister Werner Fasslabends vor der Westeuropäischen Union - die WEU war ursprünglich als europäischer Pfeiler der NATO konzipiert - mit der Bereitschaft, auch die weiter als die NATO-Aufträge gehenden WEU-Verpflichtungen des Artikels 5 mitzutragen, in die Richtung, die Österreich einschlagen müsse.

Fasslabend selbst sowie auch Außenminister Alois Mock holten gewisse Überlegungen - zum Beispiel die Forderung nach einem NATO-Beitritt Österreichs, der übrigens von der NATO gar nicht erwünscht ist -auf den Boden der Realität zurück. Der Verteidigungsminister sieht keine allzu große Bereitschaft bei europäischen Regierungen oder bei der Bevölkerung, zurSicherheit etwas beizutragen - Beispiel Bosnien; das solle aber nicht heißen, daß die Forderung nach europäischer Sicherheit nicht unabdingbar sei. Fasslabend plädiert für eine gesamteuropäische Kooperation, glaubt allerdings, daß nur Frankreich diese Dimension richtig im Auge behält. Österreich müsse die eigene

Sicherheit nach wie vor selbst bewerkstelligen, alles andere müsse gesamteuropäisch ausgelegt werden, wofür es keine Alternative gebe. Im Nuklearbereich - so Fasslabend -könne man nur Präventivmaßnahmen setzen, dasselbe forderte er auch für Regional- oder Teilkonflikte. Ohne Integration sei eine Sicherheitspolitik gar nicht möglich.

Diese Aussage ergänzte Mock dahingehend, daß er EG-Politik mit Sicherheitspolitik identifizierte. Vollkommen nüchtern erklärte er, daß man hier pragmatisch vorgehen müsse: „In Fragen der Sicherheit kann man nie genügend nüchtern sein. Man muß zwar eine sicherheitspolitische Perspektive haben, darf aber die Perspektive nicht mit der Realität verwechseln."

Für einige Diskussionsteilnehmer -dazu gehörte auch Botschafter Ludwig Steiner - stellt sich die Frage nach Österreichs Sicherheit folgendermaßen: Wer rückt für uns aus? Die Antwort, die aus dem Journalistenkreis kam, war: ein Militärbündnis, konkret die NATO. Das Wunschdenken wurde allerdings mit dem Hinweis abgeschmettert, daß die NATO nicht nur den sofort beitrittswilligen Oststaaten (Ungarn, ÖSFR) die kalte Schulter zeigt, sondern auch den Neutralen. Der außenpolitische Sprecher der VP, Andreas Khol, meinte denn auch, daß für einen Neutralen niemand ausrücke, deswegen gelte es ja, sich von der Neutralität zu verabschieden. Für Khol ist der Weg vorgezeichnet: Österreich muß die WEU-Linie verfolgen, „der Rest wird sich finden".

Heinrich Schneider konnte hier etwas Ideelles einwerfen, indem er daraufhinwies, daß in einem kollektiven Sicherheitssystem alle verpflichtet sind, gegen einen Aggressor auszurücken: allerdings müsse ein bestimmter Grad an Solidarität vorhanden sein, um zum entsprechenden politischen Willen zu kommen. Und gerade den vermißt Heinz Vetschera von der Landesverteidigungsakademie. Heutige Erfahrung sei ja gerade, daß Sicherheit durch Institutionen gar nicht erreicht werden könne. Daran sei nicht einmal die Institution - beispielsweise die KSZE - schuld: Man müsse sich nicht nur die Frage stellen, wer für uns ausrücke, sondern für wen wir auszurücken bereit seien. Weil eben die KSZE anders als ein Sicherheitsrat konzipiert war, setzen viele auf die NATO und damit auf die Schutzfunktion der Amerikaner, die Europa noch immer in Anspruch nehmen müsse.

So entstand die These, die Minister Fasslabend einen roten Kopf einbrachte, daß die Ausrichtung österreichischer Sicherheitspolitik auf die Westeuropäische Union nichts anderes als den Polit-Versuch bedeute, sich an der entscheidenden Frage, Aufgabe der Neutralität und Teilnahme an einer Militärallianz mit dementsprechen-den finanziellen Beiträgen, vorbeizu-schwindeln. Eine „integrative Sicherheit" - von Botschafter Ceska ins Gespräch gebracht, der diesen Begriff mehr liebt als „kooperative oder kollektive Sicherheit" - könne nur eine Militärallianz gewährleisten. Es war Vizekanzler Busek, der hier mit einem Aufschrei reagierte, indem er die Frage stellte, ob es wirklich so sei, daß man in der Öffentlichkeit nur mehr mit „lauter Geschichten durchkommt, die keiner kennt", sich politisch also darauf verläßt, daß die Bevölkerung ja ohnehin nicht weiß, was das ganze bedeutet. Offenbar auf die Militärallianz-Diskussion gemünzt war Buseks Feststellung, daß man in der Sicherheitsdebatte nur von „Vor-1989-For-meln" ausgehe, was einen erschreckend großen Mangel an Vorstellungsvermögen bedeute.

Es war dem Historiker Gerald Stourzh vorbehalten, besonders deutlich darauf hinzuweisen, daß die Neutralität für Österreich nicht selten „die Droge" war, „um uns über die Landesverteidigung hinwegzuschwin-deln". Stourzh befürchtet, daß jetzt die Westeuropäische Union als „neue Droge" - Busek-Zwischenruf: als Einstiegsdroge - kommt. Für den Zeitgeschichtler besteht die Notwendigkeit, den Österreichern ein Bedrohungsgefühl zu vermitteln: „Es gab noch zu wenig Schrecksekunden."

Was bleibt jetzt konkret für Österreich sicherheitspolitisch zu tun? Brigadier Heinz Danzmayr forderte die Erstellung eines klaren sicherheitspolitischen Konzeptes für Österreich, die bisherigen Grundzüge haben keine Geltung mehr. In diesem Konzept müßte der Prävention (comprehensi-ve security in der Fachsprache) eine besondere Rolle eingeräumt werden. Dazu sollte ein kleines Land wie Österreich auf verschiedenen Ebenen - bis hin zur UNO - eine sehr breite Sicherheitspolitik betreiben. Da stellt sich natürlich die Frage, ob dazu die Aufgabe der Neutralität und der Beitritt zu einer Militärallianz notwendig ist. Man sieht hier auch, daß Neutralität ja keine neutralistische Haltung zur Folge haben muß und in ihrer österreichischen Geschichte bisher wohl auch nicht zur Folge hatte. Man hätte sich diesbezüglich doch deutlichere Worte der Historiker Stourzh und Erika Weinzierl gewünscht. Die Zeitge-schichtlerin meinte, daß es für sie klar sei, daß wir uns die Position Kreiskys, es werde schon nichts passieren, daher könne man Landesverteidigung eher vernachlässigen, nicht mehr leisten können. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob man die Neutralität so ganz über Bord werfen sollte", meinte sie -ohne zu präzisieren, warum nicht.

Ganz abträglich dem neuen Weg der österreichischen Sicherheitspoli-'tik und seiner Propagierung in der österreichischen Bevölkerung wird eine Argumentation sein, die Neutralität als „unmoralisches Institut" denunziert (so eine Wortmeldung) und vielleicht glaubt, daß die Österreicher dann bedrückt von ihrer 37jährigen Neutralitätsgeschichte sofort ins Lager der „Allianzler" überlaufen und so ihre Bereitschaft bekunden, nach Jahrzehnten des Abseitsstehens (das war doch gar nicht so) endlich den heißersehnten österreichischen Solidarbeitrag zur vielbeschworenen kollektiven Sicherheit zu leisten, den keine europäische Macht heute in der konkreten Sicherheitsfrage am Balkan zu leisten bereit ist.

Die Warnung Heinz Vetscheras vor einer zu euphorischen Sicht der europäischen Sicherheitspolitik - historische Reminiszenzen spielen nach wie vor eine bedeutende Rolle! - sollte nicht mutlos machen. Aber sie sollte Österreich abhalten, sich etwas vorzumachen.

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