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Kursverfall?

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Die Außenpolitik, bislang mehr aus Verlegenheit denn aus divergierenden Konzepten dem Parteienstreit entzogen, geriet unversehens in den herbstlichen Schlagabtausch. Bei der Motivwahl zu diesem Schritt ging man allerdings sehr offen vor.

An der Außenpolitik der Regierung Kreisky, die Außenminister Kirchschläger in starker Anlehnung an seinen Kanzler betreibt, wären bereits vor dem Zeitpunkt, da bekannt wurde, daß der Außenminister für die Jonas-Nachfolge erkoren sei, genug Ansätze der Kritik zu finden gewesen. Auch war schon vor der Teilnahme eines Beobachters an der Konferenz der blockfreien Staaten in Algier der „Kursverfall“ des Wertzeichens Neutralität zu erkennen. Wenn nun die Kritik der Opposition erst jetzt einsetzt, muß sie sich den Vorwurf gefallen lassen, entweder diese Entwicklung verschlafen zu haben oder nur am politischen Stellenwert des präsumptiven Präsidentschaftskandidaten Kirchschläger zu rütteln. Auch wäre es keineswegs abträglich gewesen, den Kanzler selbst dieser neutralitätspolitischen Irrfahrt zu zeihen. Sie spiegelt sich übrigens in vielen seiner Äußerungen, vom Ortstafelstreit über di Sicherheits- und Verteidigungspolitik bis zur UNO-City, mehr noch, die Früchte der VerwässerufcigstMttik der Rolle eines unzweifelhaft neutralen Staates schlägt sich bereits in der Volksmeinung nieder.

Die politische Leere des Sommers bot dem interessierten Publikum genügend Material, diese Überlegungen selbständig anzustellen. Da war die aufschlußreiche Meinungsumfrage zweier junger Völkerrechtler zum Neutralitätsbewußtsein des Österreichers — die übrigens etwas mehr Nachhall in den Schweizer Blättern als in unserer Presse fand. Warum wohl? Weil das Urteil, das der Österreicher über die Außenpolitik seiner Regierung abgibt, alles andere als schmeichelhaft ist?

Die positive Haltung, welche die Mehrheit der Befragten zur Neutralitätspolitik der Regierung im allgemeinen abgab, steht in einem deutlichen Widerspruch zur geübten Praxis unserer Außenpolitik, sich auf der internationalen Szene allen-ortes mehr und mehr zu engagieren. Zwei Drittel der Befragten sind nämlich der Meinung, daß die Bundesregierung keine Stellungnahme zu internationalen Konflikten abgeben dürfe, so sie nicht die Neutralität verletzen wolle. Das auch schon früher wiederholt spürbare Unbehagen an einem Zuviel an außenpolitischer Geschäftigkeit fand in dieser Umfrage einen evidenten Nachhall.

Zeigt hier also der Österreicher bereits ein hohes Maß an Verständnis für die ihm übrigens nicht auf den Leib geschriebene Rolle eines immerwährend Neutralen, gerät er in der Frage der Sicherheit unseres Staates in einen gefährlichen Illusionismus. Auf die Frage nämlich, von wem Österreich tai Falle eines bewaffneten Angriffes auf sein Territorium am ehesten wirksame Hilfe erwarten könne, setzten 42 Prozent der Befragten ihre Hoffnung auf die Vereinten Nationen. Die Tatsache, daß mit Kurt Waldheim ein Landsmann an der Spitze dieser Organisation steht, mag sicher manche zu diesem Schluß verleitet haben.

Dies mag nun eher verzeihlich erscheinen als die Tatsache, daß sich offenbar ein großer Teil der Bevölkerung große Illusionen über die Effektivität der UNO bei der Gewährleistung der Sicherheit und Souveränität eines Staates macht.

Kann dieses Ergebnis überraschen, wenn man in Rechnung stellt, unter welchem Vorzeichen unsere Sicherheitspolitik gemacht wird und wie selbst von Regierungsseite die UN-Problematik bar jeder Realität gesehen wird? Kein in die politischen Entwicklungen Engagierter hat die Notwendigkeit bezweifelt, in der Sicherheitspolitik eines Staates die Gewichte breit zu streuen. Die traditionelle Dominanz der Streitkräfte als vorherrschendes Instrument der Staatspolitik ist längst passe. Der Nachrang, der unserem Heer in der Regierungspolitik eingeräumt wird, gerät bedenklich in den Randbereich, wo die bewaffnete Neutralität in die unbewaffnete übergeht.

Wie oft haben wir Formeln, die uns unsere „Amme“ in der Neutralitätspolitik — die Schweiz — mitgab, leer memoriert. Oder unbeachtet gelassen — wie den jüngst erschienenen Bericht des Berner Bundestages, der die Richtlinien der schweizerischen Sicherheitspolitik darlegt.

Was im westlichen Lager nach wie vor Streitobjekt ist, nämlich die Frage, ob der Entspannung oder der Verteidigung der Vorrang gegeben werden solle, wird hier klar beantwortet: Friedenssicherung durch Verteidigungsbereitschaft.

So wie sich die Schweiz auch in dieser Frage aus dem Trubel der politischen Entspannumgseuphorie dieser Tage heraushält, hat sie es auch verstanden, ohne Anbiederung bei großen wie kleinen Staaten ihr Gütezeichen der Neutralität beizubehalten.

Wenn nun Außenminister Kirchschläger die Politik des Ballhausplatzes dahingehend zu erläutern versucht, daß die verstärkte Kontaktsuche zu Staaten der Dritten Welt dazu diene, sich vor dem Weltforum eine möglichst breite Unterstützung zu sichern, gerät diese Argumentation einem doch gelernten Diplomaten bedenklich. Da Kirchschläger dabei die Möglichkeit einer Aktion Jugoslawiens in der Frage des Kärntner Sprachenstreits nicht unerwähnt läßt, fragt man unwillkürlich, ob weder die heimische Vertretung im New Yorker Glaspalast noch die Wiener Zentrale die Gesetzmäßigkeiten dieses Forums erkannt haben. Von wo haben wir Hilfe zu erwarten? Etwa aus dem Lager der Dritten Welt, die in Jugoslawien seitlangem ein Land ihres Zuschnitts sieht? Die Wahrscheinlichkeit, daß sogar die Sowjetunion als Signatarmacht des Staatsvertrages eine Vorgangsweise gegen (ein allerdings streng neutrales) Österreich mißbilligen würde, ist größer als die Chancen, eine Mehrheit unter den Blockfreien zu finden.

Und fast drängt sich die Frage auf, ob sich eine sozialdemokratische Regierung im Kreis der Kulturstaaten weniger wohl fühlt als im Kreise der Entwicklungsländer. Wie da wohl die von Bruno Kreisky und Leopold Gratz gestartete Kampagne in der Gastarbeiterfrage hineinpaßt?

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