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Drängelei um NATO

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Sicherheit ist erstes Ziel unserer Nachbarn: Sie wissen warum. EU und NATO sehen sie als zwei Seiten einer begehrten Medaille, die teuer zu erstehen sein wird.

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Sicherheit ist erstes Ziel unserer Nachbarn: Sie wissen warum. EU und NATO sehen sie als zwei Seiten einer begehrten Medaille, die teuer zu erstehen sein wird.

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DIE FURCHE: Die osteuropäischen Staaten suchen den Anschluß an den Westen. Zuerst wollten sie unbedingt in die EU, nachdem sie dort vorerst abgeblitzt sind, in die NATO. Was ist nun für die Osteuropäer wichtiger?
Gerhard Mangott:
Es sind beides Dimensionen ein und desselben Problems. Es geht darum, Sicherheit zu gewährleisten oder zu erreichen. Und dazu gibt es zwei verschiedene Instrumente. Eines, das eher soziale und ökonomische Probleme anspricht, ist die Europäische Union. Reim anderen, die militärische Sicherheit vor allem nach außen, ist die NATO als das Verteidigungsbündnis des Westens der Ansprechpartner. Die Anstrengungen, Mitglied der Europäischen Union und der NATO zu werden, sind voneinander nicht abkoppelbare Bemühungen, die hängen logisch miteinander zusammen. Es gab in den vergangenen Jahren unterschiedliche Prioritäten bei den osteuropäischen Regierungen. Man hat zunächst einmal eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union gewünscht. Es hat sich etwas verändert, weil man zumindest glaubt, daß die Mitgliedschaft in der NATO realistischer ist und man zunächst diese erreichen kann - und dann darauf aufbauend in den nächsten fünf bis sieben Jahren eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

DIE FURCHE: Die NATO-Mitgliedschaft wird aber auch einiges kosten.
Mangott:
Das Problem ist, daß die Diskussion um die Mitgliedschaft in westlichen Institution in den Oststaaten sehr stark auf einer symbolischen Ebene geführt wird, das heißt, daß die Mitgliedschaft in der EU und in der NATO als Symbol dafür verstanden wird, daß man als Bestandteil des Westens - was immer das bedeutet - begriffen wird. Aber man diskutiert nicht darüber, was das konkret bedeutet, das heißt, welche Modernisierungskonsequenzen das haben würde, etwa in der Landwirtschaft oder in sonstigen wirtschaftlichen Sektoren. Man diskutiert auch nicht über die Folgekosten. Hier ist es relevant, welche Kosten aufgrund einer Mitgliedschaft in der NATO auf diese Staaten zukommen werden. Das ist ein sehr sensibles Thema. Wenn man es mit Politikern und Diplomaten dieser Staaten bespricht, dann wird zum einen gesagt, die Kosten würden sich in einem erträglichen Ausmaß bewegen, und zum zweiten wird argumentiert, daß man sich von westlicher Seite, von den jetzt schon existierenden Mitgliedern der NATO finanzielle Hilfe bei der Bewältigung der Kosten bei der Anpassung an NATO-Stan-dards erwartet. Es gibt unterschiedliche Schätzungen, was eine Mitgliedschaft in der NATO für diese Länder kostet. Allerdings ist das nicht die vordringliche und vorrangige Debatte für diese Staaten. Es sind gewisse politische und Sicherheitsziele zu erreichen. Und die sehen das mit einer Mitgliedschaft in der NATO als erfüllt an.

DIE FURCHE: Müßten die Militärs des Osten einem NATO-Beitritt reservierter gegenüberstehen, weil sie dann an Eigenständigkeit verlieren?
Mangott: Das Militär profitiert ja insgesamt. Fragen sie einen Militär des österreichischen Bundesheeres, ob er sich wünschen würde, Mitglied eines so mächtigen Militärbündnisses zu sein, wie es die NATO darstellt. Sie werden nur Zustimmung dafür finden. Das liegt zum Teil im Wesen solcher Institutionen. Da werden Sie in Osteuropa sicher nichts anderes hören. Was den Rüstungssektor betrifft, so ist es umgekehrt ein Argument für die russische Seite, für den militärisch-industriellen Sektor der russsischen Wirtschaft, daß man der NATO-Expansion nach Osteuropa eher skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, weil man mittelfristig hier den Absatzmarkt für russische Rüstungsgüter verliert, weil natürlich die militärische Ausrüstung der Armeen zukünftiger NATO-Mitglied-staaten den NATO-Standards entsprechen muß. Das heißt praktisch, daß natürlich viele Ausrüstungsgüter der Armeen von westlichen Rüstungsproduzenten kommen werden.

DIE FURCHE: Könnte die NATO helfen, regionale Konflikte zu lösen?
Mangott: Da dürfen Sie verschiedene Fragen nicht durcheinander bringen. Das eine ist, daß es Probleme gibt innerhalb von Staaten in der Region und zwischen Staaten dieser Region, die unterschiedlich in der Bewertung sind. Da geht es um offene Grenzfragen, zum Teil um Minderheitsfragen. Das hat zunächst einmal nichts mit der Frage einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union oder der NATO zu tun. Tatsache ist natürlich, daß sich keiner wünschen kann, daß sie Mitglieder aufnimmt, die untereinander offene Konflikte haben, über Territorien, über Grenzen, über nationale Minderheiten. Das ist etwas, was von Gegnern einer raschen NATO-Erweiterung immer wieder thematisiert wird. Umgekehrt gilt sicher auch das Argument, daß gerade die Erweiterung der NATO und dann auch der Europäischen Union dazu beiträgt, diese potentiellen regionalen Spannungen, Konflikte zu mindern oder überhaupt abzubauen.

DIE FURCHE: Welche Unterschiede in der Annäherung an den Wzsten gibt es zwischen den osteuropäischen Staaten?
Mangott: Es gibt einen Konsens darüber, daß die Mitgliedschaft in NATO, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, prioritäres Interesse ist. Insofern gibt es keine Unterschiede. Es gibt gewisse Spannungen, weil es unterschiedliche Auffassung darüber gibt, ob man diese Ziele koordiniert erreichen soll oder ob man das alleine macht. Bestimmte Staaten, momentan die Tschechische Republik, haben kaum ein Interesse, diese Annäherung mit den anderen Staaten der Region abzustimmen, umgekehrt, andere Staaten - allen voran Polen, das höchstes Interesse hat - wollen zwar zu einer nicht institutionalisierten, aber festeren Zusammenarbeit zwischen den Staaten kommen und diesen Annäherungsprozeß gemeinsam anstreben. Insofern war und ist die Erweiterungsdebatte in Ost-und Ostzentraleuropa an sich geeignet gewesen, historisch bedingbare und historisch ableitbare Ressentiments zwischen den Staaten der Region zu verstärken, obwohl man sagen muß, daß sich jetzt von tschechischer Seite eine stärkere pragmatischere Haltung durchgesetzt hat. Sie haben nicht eine wirklich prononcierte, starke Zusammenarbeit befürwortet, aber doch anerkannt, daß es sicherlich nur einen Weg in die westlichen Institutionen gibt. Insofern kann es sich kein Staat leisten, nur für sich selbst die Mitgliedschaft in den westlichen Institutionen zu suchen, ohne dabei Rücksicht auf die anderen Staaten der Region zu nehmen.

DIE FURCHE: Warum aber diese Drängelei um die NATO?
Mangott: Man kann kaum ignorieren, daß es natürlich für die Staaten leichter ist, sich für einen NATO-Beitritt bereit zu machen als einen Beitritt zur Europäischen Union. Insofern ist der Beitritt zur EU sehr viel schwieriger und sehr viel langwieriger und bedarf eingehender Voraussetzungen auf Seiten der osteur-päischen Staaten, aber auch umgekehrt auf Seiten der europäischen Union. Bei all dem Drängen der osteuropäischen Begierungen nach Mitgliedschaft in der EU hat diese in den vergangenen fünf Jahren nicht unbeträchtliche Schritte gesetzt, um eine Annäherung dieser Staaten an die Europäische Union vorzubereiten und durchzuführen. Es gibt die sogenannten Europaabkommen oder Assoziationsabkommen zwischen der EU und mittlerweile zehn osteuropäischen Staaten - Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakische Republik, Bulgarien, Rumänien, Estland, Lettland und Litauen und jetzt auch mit Slowenien. Die Europaverträge haben zum Ziel, zwischen der EU und den jeweilen Vertragspartnern ein Freihandelsregime für industrielle Güter innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu definieren. Die Europaverträge sind sozusagen das wirtschaftliche Standbein der Beziehungen zwischen der EU und den assoziierten Staaten in Osteuropa.Und das zweite, das politische Standbein, das 1993 beim Europäischen Rat in Kopenhagen beschlossen wurde, ist die Aufnahme eines strukturierten Dialoges zwischen den Institutionen der EU und den Partnerstaaten. Dabei geht es vor allem um Gespräche beratenden Charakters ohne Beschlüsse zu fassen über Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der Zusammenarbeit im Bechtsbereich und in sogenannten Gemeinschaftsbereichen wie Transport, Telekommunikation, Energie, Umweltzusammenarbeit und ähnliches. Das heißt, es gibt von Seiten der EU klare Schritte und Bemühungen um eine Annäherung dieser Staaten an die EU. Aber was von den osteuropäischen assoziierten Partnerstaaten der Union immer wieder beklagt wird, ist, daß es erstens keine klare Liste von Bedingungen gibt, die erfüllt werden müssen von diesen assoziierten europäischen Staaten, um der EU beitreten zu können. Das zweite, das sie beklagen, ist, daß es keinen klaren Zeitplan gibt für ei7 nen Beitritt. Einen solchen Zeitplan wünschen sich diese Staaten vor allem deswegen, weil sie für die Argumentation gegenüber der eigenen Bevölkerung eine konkrete zeitliche Perspektive darlegen wollen, um von der Bevölkerung, die ja betroffen ist von radikalen wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen, die notwendige Akzeptanz zu bekommen.

Gerhard Mangott ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Laxenburg. Mit ihm sprach Martin Mair.

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