wartezimmer - © Fotomontage: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Fotos von iStock/onurdongel)

Warten auf EU-Beitritt: Der Kosovo-Konflikt

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Der Ukraine-Krieg hat die Debatte um neue EU-Mitglieder wiederbelebt. In der Praxis wird dieser Prozess auf eine jahrelange Gratwanderung hinauslaufen. Der Frust auf dem Westbalkan wächst – wobei sich rund um den Kosovo-Konflikt gerade Bewegung zeigt. Eine Analyse.

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Der Ukraine-Krieg hat die Debatte um neue EU-Mitglieder wiederbelebt. In der Praxis wird dieser Prozess auf eine jahrelange Gratwanderung hinauslaufen. Der Frust auf dem Westbalkan wächst – wobei sich rund um den Kosovo-Konflikt gerade Bewegung zeigt. Eine Analyse.

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Es war eines der symbolträchtigsten EU-Bilder des letzten Jahres: Mario Draghi, Emmanuel Macron und Olaf Scholz, die im Juni 2022 im holzgetäfelten Abteil des Nachtzugs nach Kiew standen. Dort wollten sie Premier Wolodymyr Selenskyj nicht nur die umfassende Solidarität der EU mit der Ukraine bekunden, sondern gemeinsam über deren Mitgliedschaft diskutieren. Unter den drastisch veränderten Vorzeichen des Kriegs hat die EU ihre zuvor skeptische Position bezüglich der eigenen Erweiterung neu ausgerichtet.

Brüssel, eine Woche später: Der EU-Gipfel verleiht der Ukraine und Moldau am 24. Juni offiziell den Kandidatenstatus. Georgien, das ebenfalls kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine die Mitgliedschaft beantragte, erhält eine Option auf diesen Status, sobald Tiflis eine Prioritätenliste der EU-Kommission umgesetzt hat. Laut Präsidentin Ursula von der Leyen stärkt diese Entscheidung die Ukraine, Moldau und Georgien angesichts der russischen Bedrohung.

„Europas Antwort auf die Zeitenwende“

Olaf Scholz umschreibt die neue Realität so: „Die Entscheidung für den Kandidatenstatus der Ukraine und Moldaus ist eine Antwort Europas auf die Zeitenwende. Dieselbe klare Antwort verdienen auch die Länder des westlichen Balkans.“ Scholz setzt so den neuen Erweiterungsenthusiasmus in Relation zum „Wartezimmer“ der EU. Genau dort nämlich befinden sich neben der Türkei, mit der die Verhandlungen seit Jahren eingefroren sind, auch die Kandidaten Serbien, Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und seit Neuestem Bosnien-Herzegowina, zudem der „potenzielle Kandidat“ Kosovo.

Ein anvisiertes Datum für einen Beitritt gibt es freilich nicht. Einst war von 2025 die Rede; dann, bei der Westbalkan-Konferenz 2021 im slowenischen Brdo, stand 2030 zur Debatte. Doch mehr als das ausdrückliche Bekenntnis der EU-27 zu den künftigen Mitgliedern gibt es nicht. Dahinter liegen als größte Hürde die sogenannten Kopenhagener Kriterien, die Beitrittsvoraussetzungen etwa in puncto Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung.

Dass die Reputation der Union durch den jüngsten Korruptionsskandal des EU-Parlaments nun selbst nachhaltig beschädigt ist, verleiht diesem Aspekt zusätzliche Brisanz. Hinzu kommen ungelöste regionale Konflikte wie der Anspruch des EU-Mitglieds Bulgarien, die nordmazedonische Verfassung solle die Sprache des Nachbarlands als bulgarischen Dialekt deklarieren. Und natürlich jener zwischen Serbien und dem Kosovo. Wobei es hier neuerdings Bewegung gibt: Montag dieser Woche hat Serbiens Präsident Aleksandar Vučić angedeutet, dass er den jüngsten deutsch-französischen Plan für die Normalisierung des Verhältnisses zum Kosovo annehmen könnte. Westliche Unterhändler hätten ihn davor vor die Wahl gestellt, den Plan zu akzeptieren oder die Konsequenzen in Gestalt des Abbruchs der EU-Beitrittsverhandlungen und abgezogener Auslandsinvestitionen zu tragen, sagte er in einer live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. Das letzte Wort habe freilich das Volk.

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