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Gemeinsam nach Europa

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Der Vertragstext ist edel und erhaben und das sind auch die Ideen und Zielsetzungen, zu denen sich die Unterzeichner bekennen. Die Staatsoberhäupter und Regierungschefs Polens, Ungarns und der Tschecho-Slowakei hielten es allerdings für nötig, während und nach ihrem Gipfel in Budapest und Visegrad (Donauknie) mehrere Male ausdrücklich das zu betonen, was die neue Zusammenarbeit in der Region nicht bezweckt: Nämlich die Bildung eines Bündnisses und schon gar nicht die eines Blockes.

Vergebens. Kaum war der Vertrag auf Schloß Visegräd unter Dach und Fach, ertönten die ersten mißtrauischen Rufe aus Bukarest. Ungarn, Polen und die CSFR seien dabei, sich von den anderen Staaten der Region abzusondern und hätten nicht den Mut, ihre wahren Zielsetzungen beim Namen zu nennen.

Ausdrücke, wie intensive politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit, klingen wahrhaftig etwas zu allgemein in einer Lage, in der sich die Unterzeichnerstaaten befinden. Denn während sie noch eine Weile mit dem Unsicherheits-faktor Sowjetunion in mehrfacher Hinsicht ernsthaft rechnen müssen, bleibt ihnen die NATO-Mitglied-schaft vorerst verwehrt. Dies wird besonders von Prag mit Unwillen registriert.

Warschau geht es noch vor allem darum, sich vom mächtigen Nachbarn im Osten in möglichst vieler Hinsicht abzugrenzen. Die Ungarn wollen es aber mit dem vorsichtigen Mittelweg versuchen. Die Frage, wie die bisherigen demokratischen Errungenschaften im Falle einer konservativen Machtverschiebung in Moskau verteidigt werden könnten, ist für sie freilich auch primär. Nur gehen sie davon aus, daß das vom bald aufgelösten Warschauer Pakt hinterlassene Vakuum im europäischen Abrüstungsprozeß noch eine Weile eine überaus wichtige Rolle spielen wird, da die zahlenmäßige Begrenzung der Streitkräfte von Ost und West bei weitem noch nicht erfolgt ist.

Außerdem bleibt die Effektivität der eigenen Armee von den sowjetischen Lieferungen hinsichtlich Ersatzteilen und Munition abhängig. Darüber hinaus setzen auch noch weitere Komponenten die Zusammenarbeit mit der UdSSR voraus, die nach wie vor Ungarns größter Strom- und Öllieferant ist.

Die im Vertrag mit besonderem Nachdruck festgehaltene Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mag freilich vielversprechend sein; vom Abbau der Zölle und von der Erarbeitung einer aufeinander abgestimmten Finanzpolitik kann jedoch selbst nach wohlwollenden Kalkulationen erst dann ernsthaft die Rede sein, wenn der Übergang zum Marktwirtschaftssystem in den jeweiligen Staaten erfolgt ist. Davon ist man aber noch weit entfernt.

Die Erkenntnis, daß Rivalisie-rungstendenzen die westlichen Partner der mitteleuropäischen Region gegenüber skeptisch stimmen, hat sich jedenfalls durchgesetzt. Es ist aber eine andere Frage, wie sich konzertierte Auftritte bei Verhandlungen mit der EG realisieren lassen. Der Ansatz dazu ist zweifelsohne vorhanden; vom Realitätssinn der Partner zeugt jedenfalls, daß sie ihn vor allem bei Gesprächen über Sicherheitspolitik zum Ausgangspunkt nehmen wollen.

Die Politiker am Ufer der Donau, der Moldau und der Weichsel sind sich natürlich auch dessen bewußt, daß die Verwirklichung der schönen Ideen durch die bilateralen Probleme erheblich erschwert werden können. Da ist zum Beispiel die von Budapest mit Sorge beobachtete Lage der ungarischen Nationalität in der Slowakei oder die Zukunft des bereits berüchtigten Wasserkraftwerkes Bös/Gabciko-vo, um vom Zankapfel Nagymaros gar nicht zu reden. Hinzu kommt auch noch, daß alle drei Länder mit der zunehmenden wirtschaftlichen Destabilisierung konfrontiert sind, die stets für innere Spannungen sorgt. Während die Polen beim Gipfel mit überschäumendem Enthusiasmus den Geist Visegräds feierten, mußte sich Präsident Vaclav Havel von ihnen sagen lassen, er sei lediglich ein Verbaleuropäer, da sein Land ausgerechnet für den brüderlichen Nachbarn verschlossen bleibe.

Es wäre sicherlich verfehlt, die von Budapest, Prag und Warschau angestrebte neue Zusammenarbeit ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitspolitik zu prüfen, wie dies von zahlreichen westeuropäischen Medien getan wird. Anderseits trifft es ohne Zweifel zu, daß der Vertrag von Visegräd gemeinsam sicherheitspolitischen Überlegungen auch dann einen günstigen Rahmen sichert, wenn Ausdrücke wie Verteidigung und Sicherheit im Dokument nicht einmal vorkommen.

Offen blieb aber noch die Frage des Verhältnisses der Unterzeichnerstaaten zu Ländern wie Jugo-j slawien, Rumänien und Bulgarien.

Im Gegensatz zur Bukarester Führung scheint Belgrad im Moment weder Interesse noch Zeit für Deutungen des Visegräd-Abkommens zu haben; auch Sofia will vorerst abwarten.

Es trifft aber zu, daß das Treffen der Regierungschefs am27. Februar in Budapest, wo die Auflösung des COMECON verkündet wird, auf die Initiative Ungarns, Polens und der Tschecho-Slowakei zustande kommen wird. Die Regierungen dieser Länder sind auch tonangebend bei der am nächsten Tag geplanten Gründung der sogenannten Internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die den Rahmen für eine provisorische Kooperation der früheren RGW-Staaten sichern soll. - Visegräd wirkt also schon.

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