EU Dish - © Fotomontage Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von  iStock/Pogonici)

Financial Distancing als Spaltpilz

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Für die EU wird die Corona-Krise zur Existenzprobe. Alte Bruchstellen könnten die Aufbruchstimmung der letzten Monate schnell zum Erliegen bringen.

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Für die EU wird die Corona-Krise zur Existenzprobe. Alte Bruchstellen könnten die Aufbruchstimmung der letzten Monate schnell zum Erliegen bringen.

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Das erste Zeichen, das die Europäische Union im Kampf gegen das Coronavirus setzte, hatte einen veritablen Knall-Effekt: Für 30 Tage, so beschlossen Kommission und der Rat der Regierungschefs zeitgemäß per Video- Konferenz, werden die Außengrenzen geschlossen. Sogenannte „nicht-essentielle“ Reisen ins Schengen-Gebiet liegen nun schon seit zwei Wochen auf Eis. Die drastische Maßnahme aus Brüssel war eine Reaktion auf die vorherigen Entscheidungen von Mitgliedstaaten wie Polen, Österreich, Deutschland oder Frankreich, ihrerseits die Binnen-Grenzen zu schließen. Dass die EU im Angesicht dieser Krise auf Abschottung setzt, überrascht nicht. Immerhin hat sich dieses Prinzip bei weit weniger bedrohlichen Situationen stets mehr etabliert. Gleiches gilt für die Entscheidung auf mitgliedstaatlicher Ebene: ein Mittel, eingeführt in vermeintlichen Ausnahme-Situationen, das immer reflexhafter zur Lösung unerwünschter Zustände bemüht wurde. So sehr, dass sich Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen und Ylva Johansson, die Kommissarin für Inneres, nach Ausbruch der Corona-Krise ernsthaft um das Funktionieren von Güterverkehr und Binnenmarkt sorgten.

Und dann: Stille in Brüssel

Danach wurde es still um die EU. Zumindest wirkte das so, in der neuen medialen Realität aus täglichen Updates von Infektions- und Todesraten, Kurvenverläufen und Kapazitäten von Intensiv-Stationen, und dem Vergleich, welcher Ansatz am besten zur Bekämpfung tauge. Denn auch das ist eine Erkenntnis der ersten zwei Wochen im Krisen-Modus: Die Maßnahmen gegen das Coronavirus liegen im Befugnisbereich der Mitgliedstaaten. Gesundheitspolitisch offenbart sich der Kontinent weitgehend in einem Zustand, wie ihn sich die Verfechter der nationalstaatlichen Renaissance wünschen. Und so sehen wir in diesen Wochen, dass es Graduierungen eines Lockdown gibt: dass österreichische Kinder etwa schon seit Tagen zu Hause sitzen, während in Großbritannien (nun ja, ein ehemaliger Mitgliedstaat) oder den Niederlanden noch diskutiert wird, die Schulen zu schließen. Und ungeachtet der Kontaktverbote und Androhung von Geldbußen für Gruppen, die sich in der Öffentlichkeit aufhalten, wird in den Bars von Stockholm auch bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch ausgeschenkt.

Das Gefälle zeigt sich besonders dort, wo unterschiedliche Ansätze in räumlicher Nähe aufeinandertreffen. So sah man, nachdem die belgische Regierung einen umfassenden Lockdown installiert hatte, zahlreiche Belgier am Wochenende über die Grenze in die Niederlande fahren, wo zu jenem frühen Zeitpunkt die Gastronomie noch auf vollen Touren lief. Aus virologischer Perspektive kann man da nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Die Folge: Ausgerechnet in Regionen, die seit Jahrzehnten von offenen Grenzen geprägt sind, tönte der Ruf nach Abschottung immer lauter.
Natürlich sind dies Zeiten, in denen Europa mit den eigenen Beschränkungen massiv konfrontiert wird. Die Schließung der Außengrenzen ist schließlich ein verzweifelter Versuch, im Inneren wieder einheitliche Verhältnisse herzustellen. Der konstante Alarmzustand in nationalen Krisenstäben lässt die EU bisweilen gar untätig aussehen. Was Sophie in’t Veld, langjähriges Mitglied des Europäischen Parlaments für die liberale niederländische Partei D66, zu einem sarkastischen Kommentar trieb: „Warum Europa nichts tut? Nun, weil ihr es nicht wolltet.“

Nun haben Kommission und Parlament in diesen Wochen durchaus Schritte ergriffen: Janez Lenarčič, der Kommissar für Krisenmanagement, twitterte, ohne Solidarität werde die EU „die Epidemie nicht kontrollieren“. Er stellte im Namen einer „koordinierten Antwort auf das Corona-virus“ ein Programm namens „rescEU“ vor, um medizinisches Material wie Beatmungsgeräte koordiniert zu verteilen. Ein ehrenwerter Versuch – nur, dass die Beteiligung der Mitgliedstaaten freiwillig ist und die Verfügbarkeit entsprechender Apparatur begrenzt. Der Ansatz des Kommissars findet hier und da durchaus Gehör. Doch wie will man ihn umsetzen im täglichen Kampf jedes Mitgliedstaats, essentielles Material für den eigenen Bedarf zu organisieren?

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