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Von der Schuldenkrise bis zur Neuorganisation der Agrarpolitik. Die EU löst derzeit weniger Probleme, als durch aktuelle Entwicklungen hinzukommen.

Als Javier Solana der anerkannte Koordinator der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik war und das Projekt Europa noch mit hoffnungsfrohem Elan ausgestattet war, sagte er: "Die Menschen wollen mehr als einen Binnenmarkt plus ein Projekt regionaler Stabilisierung. Ich bin überzeugt, dass es mehr Integration in einigen Bereichen braucht - und vielleicht weniger in anderen. Die Themen für mehr Handeln auf der EU-Ebene sind: Forschung, Energie, Migration und Asyl. Einen weiteren Bereich habe ich ausgelassen. Und dies ist vielleicht der Paradefall für mein Argument: Europa muss ein ‚Global Player‘ werden.“ Das war 2006. Wo stehen wir heute, fünf Jahre später? Der Europatag bietet Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme. Doch die fällt ernüchternd aus. Zu den Mankos, die schon Solana angeführt hat, haben sich noch weitere gesellt - und das bei einer globalen Weltlage, die nicht viel Positives für die Zukunft erwarten lässt. Hier die wichtigsten Konfliktzonen im Einzelnen.

Ein existenzielles Problem könnte für die EU die Schuldenkrise der Euro-Zonen-Mitglieder Griechenland, Portugal und Irland werden, die zuletzt bis zu 15 Prozent Risikoaufschläge auf ihre Staatsanleihen zahlen mussten. Diese Tendenz hat sich noch dadurch verschärft, dass Griechenland seine eigenen Sparvorgaben nicht einhalten konnte und ein Budgetdefizit von mehr als zehn Prozent einräumen musste. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass Portugal eine ebenso ernüchternde Bilanz vorweisen wird, was Sparziel- und -wirklichkeit betrifft. Der Rettungsschirm selbst ist ein stabilisierender Faktor, der international anerkannt ist.

Dennoch lassen die Auflagen, die mit der Finanzhilfe verbunden sind, bei vielen Ökonomen die Alarmglocken schrillen. Denn statt die ohnehin notleidenden Volkswirtschaften durch Investitionen und Handelserleichterungen zu stärken (also eine Art Marshall-Plan für Südeuropa), wird die Schuldenlast über Steuer- und Preiserhöhungen finanziert, was in letzter Konsequenz die Unternehmen schädigt und Arbeitsplätze kostet, der Wirtschaft also vielleicht mehr schadet als nutzt. Dass auch die Alternativen - Staatsbankrott und Schuldenerlass - große Risiken bergen, ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Alle diesbezüglichen Aussagen, zuletzt vor allem vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, riefen geradezu hysterische Reaktionen der Finanzmärkte hervor. Was eigentlich auch kein Wunder ist, zeigt die Unsicherheit der Politik doch, dass die ganze bisherige Strategie zur Bekämpfung der Krise in folgender Hoffnung bestand: Es wird schon gehen.

Die Flüchtlingswelle

Dass das Flüchtlingsproblem ungelöst ist, bedarf angesichts der Bilder aus Lampedusa und der Situation in griechischen Anhaltelagern keiner Erläuterung mehr. Hier zeigt sich aber auch, wie es sich in Europa mit der Solidarität der Staaten untereinander verhält. Geht es um den drohenden Verlust von Milliarden-Investments der Deutschen Bank und anderer großer europäischer Finanzinstitute, wird schwer defizitären Staaten gerne geholfen. Mit dem Flüchtlingsproblem lässt man sie alleine, unter Verweis auf ein Vertragswerk, das die südlichen Staaten massiv benachteiligt und den reicheren Norden, und damit auch Österreich, von dem tatsächlich gesamteuropäischen Problem verabschiedet.

Die Energieversorgung des Kontinents, der sich mit der eigenen Erdgaspipeline Nabucco so gut wie möglich von Russland unabhängig machen sollte, hat in diesen Tagen einen seiner vielen Rückschläge erlebt. Russlands Präsident Vladimir Putin konnte verkünden, dass ab Herbst über die Northstream-Pipeline Gas nach Europa fließen wird. Nabucco, das EU-Projekt, das Erdgas aus Aserbajdschan und Turkmenistan über die Türkei nach Europa liefern sollte, wird hingegen von einigen Kommentatoren schon als "Dreigroschen-Pipeline“ bezeichnet. Der Baubeschluss verzögert sich seit Jahren, wichtige Energiekonzerne Europas machen lieber bei russischen Projekten mit, eine Fertigstellung der Energieader wurde zuletzt auf 2018 verschoben. Die russische Gazprom hat bereits einen Anstieg der Gaspreise für Europa angekündigt. Fazit: Die Abhängigkeit Europas von russischen Lieferungen wird nicht schrumpfen, sondern wachsen. Immerhin steigt ja auch der Energiebedarf Europas um jährlich zwei Prozent. Diese Bilanz und Aussicht wirft auch ein neues Licht auf den vieldiskutierten Ausstieg aus der Kernenergie, der an der Realität gemessen zumindest auf zwei Jahrzehnte unmöglich erscheint.

Unüberwindbare Nationalinteressen

"Wo endet Europa“ - fragte im Jahr 2000 der deutsche Außenminister Joschka Fischer - und setzte einen Bundesstaat als endgültige politische Form der Europäischen Union. Dies würde demokratisch gewählte Institutionen in Brüssel bedeuten und ein weitgehendes gesetzliches Weisungsrecht sowie eine viel stärkere Verankerung der Unionsorgane auf globaler Ebene (siehe Seite 21). Im Jahr 2011 scheint man von solch einer echten Staats- und Föderalgemeinschaft weiter entfernt denn je. Die Nationalstaaten erweisen sich als unüberwindbar. Deutschland, Frankreich, Großbritannien gestalten Europa nach ihren Interessen, die einander oftmals widersprechen. Besonders Ernstfälle wie der Militäreinsatz in Libyen (Frankreich und Großbritannien organisieren den UN-Beschluss, Deutschland enthält sich, die EU schweigt) zeigen die Marginalisierung der Institutionen.

Eines der großen ungelösten Probleme ist jenes der europäischen Landwirtschaft: die Gemeinsame Agrarpolitik, die mehr als 40 Prozent des EU-Budgets verschlingt und ab 2013 ein neues Korsett braucht. Was tun mit der energieintensiven industriellen Landwirtschaft? Von einer Regionalisierung oder gar einer Strategie Richtung mehr Nachhaltigkeit ist derzeit nichts zu bemerken.

Wie wird es weitergehen mit der EU nach 2011? So wie bisher? Immerhin - der deutsche Ex-Kanzler Helmut Kohl konnte dem ständigen politischen Kräftemessen in Brüssel etwas abgewinnen: "Mit Europa ist es wie mit den Damen: Wenn sie elegant und kapriziös sind, ist es schwieriger, mit ihnen umzugehen, als wenn sie von einfacher Struktur sind. Aber es macht auch mehr Spaß, wenn ich das richtig sehe.“

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