"Schluss mit Jammern"

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Trotz 11. September und Zusammenprall der Kulturen: In der Wirtschaft gilt "business as usual". Auszüge aus einer hochkarätigen Alpbacher Diskussionsrunde.

BM Martin Bartenstein: In den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen den USA und Europa sieht es sehr anders aus als im politischen, militärischen oder strategischen Bereich. Weder das Ende des Kalten Krieges noch der 11. September haben auf die ökonomischen Beziehungen zwischen Amerika und Europa einen negativen Einfluss gehabt. Vielmehr geht es hier um eine Wettbewerbssituation: Wer ist die Nummer 1? Dabei ist es ein Faktum, dass die Europäer auf einer Pro-Kopf-Basis nur 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Amerikaner erwirtschaften. Und die Erweiterung der EU wird diese statistische Differenz noch größer werden lassen.

Darüber hinaus haben wir feststellen müssen, dass sich die europäische Hoffnung, aus sich selbst heraus Wachstum zu generieren, nicht erfüllt. Europa ist nach wie vor stärker von amerikanischen Wachstumsraten abhängig, als wir es erhofft haben. Dabei ist die Zielvorstellung des von der EU beschlossenen Lissabon-Prozesses okay. Aber die Geschwindigkeit auf dem Weg zu diesem Ziel ist nicht ausreichend.

Claus Raidl (Böhler-Uddeholm): Der Lissabon-Prozess soll Europa bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Gesellschaft mit sozialen Zusammenhalt machen. Wissen Sie, woran mich das erinnert? Nikita Chruschtschow hat am XX. Parteitag der KPdSU 1956 seine berühmte Rede über den stalinistischen Terror gehalten. Dabei hat er eine Losung ausgegeben: Die USA einholen und überholen. Man sieht, was daraus geworden ist. Ich hoffe, dass es uns mit den Lissabon-Zielen nicht gleich ergeht.

Die Amerikaner werden viel kritisiert, aber sie sind doch eine Gesellschaft, in der viel offen diskutiert wird. So auch jetzt wieder die Frage, ob die menschliche Gesellschaft überhaupt ohne Kriege auskommt. Und was tun wir in Europa? Wir haben auf der einen Seite den sozialdemokratischen Hedonismus: richtig ist, was angenehm ist - und ein Krieg ist nicht angenehm. Und dann haben wir auf der anderen Seite die etwas verwaschene christliche Nächstenliebe. Und da muss man den Amerikanern zu Gute halten, dass sie Sachen nicht nur diskutieren, sondern in die Hand nehmen, wo wir Europäer mit unserer verwaschenen Einstellung zu klaren Linien versagen.

Bei uns hat halt jeder Unternehmer seinen Betrieb als Lebenswerk und nicht als Mittel zum Geldverdienen. Das Risiko wird nicht honoriert. Wir haben zwar die Konkursarten etwas geändert, dass nicht gleich jeder kriminalisiert wird, der einen Fehlschlag erleidet. Aber wir sind in unserer ganzen Mentalität nicht risikofreudig. Und wenn es hier ein Problem gibt, schreit jeder nach dem Staat. Wir sind alles Etatisten. Keiner fragt sich, was kann ich selber tun. In Amerika denkt niemand daran, wenn er ein Problem hat, nach dem Staat zu rufen.

Randall S. Kroszner (University of Chicago): Wer noch nie ein Flugzeug verpasst hat, sollte sich überlegen, ob er nicht zuviel Zeit auf Flughäfen verbringt. Das sage ich nur, um zu verdeutlichen, dass Versagen nicht automatisch schlecht sein muss. Wir haben sehr viele Unternehmen in den USA, die scheitern. Und das ist gut so. Bei uns ist es absolut akzeptiert, Fehler zu machen. Das ist unabdingbar notwendig, um vorwärts zu kommen.

Die Überalterung der Gesellschaft wiederum ist die Schlüsselfrage, die alle industrialisierten Staaten mehr oder weniger betrifft. Ich bin kein Politiker, ich bin Wirtschaftsfachmann und kann deswegen leichter die einfachste Lösung dieses Problems vorschlagen: Der überwiegende Teil der Menschen außerhalb der Grenzen Europas und der Vereinigten Staaten ist sehr jung. Und diese jungen Menschen wären gerne bereit, ja überglücklich, steuerzahlende Bürger dieser Staaten zu werden. Und das würde die demografischen Verhältnisse dramatisch hin zum Jüngeren und damit Besseren verändern. Das sollten wir im Kopf behalten.

Gertrude Tumpel-Guggerell (Europäische Zentralbank): Wir sehen in der Wirtschaft zweifellos eine immer engere Verflechtung, und die Abhängigkeiten voneinander bzw. die wechselseitigen Einflüsse erleben wir jeden Tag auf den Devisen- und Aktienmärkten. Diese fortschreitende Integration zwischen der Wirtschaft der USA und Europas kommt auch in den Direktinvestitionen zum Ausdruck. Im Durchschnitt der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurden etwa zehn Mal so viele Direktinvestitionen von den USA in Europa getätigt als noch zu Beginn der achtziger Jahre. Ähnliches gilt für europäische Investitionen in den USA.

Auch wenn es in der jüngeren Vergangenheit zu politischen Debatten gekommen ist - Geschäfte und Investitionen wurden dadurch wenig beeinträchtigt. Neben der wirtschaftlichen Verflechtung möchte ich auch die Kooperation der Institutionen unterstreichen. Auch abgesehen vom 11. September ist es bei uns selbstverständlich, dass regelmäßige Kontakte mit den Kollegen der US Notenbank und Japans, aber auch mit anderen Notenbanken in der Welt stattfinden. Auch wenn es in der Welt zu Spannungen zwischen den verschiedenen Kulturen kommt - das Finanzsystem ist rund um die Uhr geöffnet und seine Teilnehmer sprechen eine Sprache.

BK Wolfgang Schüssel: Ich sehe in Europa keineswegs den "underdog", als der wir uns selber gerne präsentieren. Das ist eine typische Sucht, dass wir uns kleiner machen als wir sind. Davon halte ich gar nichts. Ernst genommen wird nur der, der sich nicht aufpudelt, aber der sein normales Maß und seinen aufrechten Gang sichtbar macht. Wir brauchen uns vor niemanden verstecken. Wer einen Blick auf die Handelsbilanz wirft, kann sehen, dass Europa eigenständig sehr erfolgreich sein kann.

Die großen Projekte, die wir durchgezogen haben: eine europäische Währung, die Erweiterung, jetzt das Projekt einer gemeinsamen Verfassung. Das sind Jahrhundertprojekte, verwirklichte europäische Träume, die Karl der Große zu träumen begonnen hat, die aber nie möglich gewesen sind. Jetzt sind sie Wirklichkeit - und was tun wir: Wir jammern über den großen Hegemon. Ja, es ist richtig, in einem Bereich sind die Amerikaner weit vorne. Zwei Fünftel der Militärausgaben in der Welt, werden von den USA getätigt. Dort sind sie unschlagbar. Darf ich ganz offen fragen: Stört uns das? Ist das ein Bereich, wo Europa wirklich konkurrenzfähig sein muss? Wir müssen Sicherheit auf unserem Kontinent garantieren können. Keine Frage. Und dazu gehört mehr Engagement, als in der Vergangenheit oft möglich gewesen ist.

Verabschieden wir uns doch von diesem läppischen kompetetiven Modell, als ob Europa eine Mission hätte, die Amerikaner zu übertrumpfen. Lächerlich! Was wir brauchen ist ein kooperatives Modell, ein Zusammenarbeitsmodell. Denn Amerika und Europa haben eine Reihe von Problemen zu bewältigen: Eine Milliarde Menschen hat keinen Zugang zu reinem Trinkwasser. Zweieinhalb Milliarden Menschen kennen das Wort Hygiene bestenfalls aus Berichten. Der Klimawandel, die Bekämpfung der vielen regionalen Konflikte - das sind die wirklichen Herausforderungen, die gemeinsam bewältigt werden müssen. Und das kann weder der Hegemon jenseits des Atlantiks, noch kann das Europa allein schaffen. Da braucht es den ganzen Einsatz der internationalen Organisationen. Wovon ich gar nichts halte, ist das ständige Abwerten der UNO. Wir brauchen sie bitter!

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