Mehr Zuversicht in Europa

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Außenministerin Ursula Plassnik plädierte in Alpbach leidenschaftlich für mehr Zuversicht in Europa. Und erläutert im Interview die Gründe.

Die Furche: Frau Bundesminister, Sie nutzen Alpbach für grundsätzliche außenpolitische Positionierungen. Warum gerade das Europäische Forum?

Ursula Plassnik: Es ist ein von der Grundanlage her geeignetes Forum, um mit einem interessanten Personenkreis über anspruchsvolle internationale Themen zu sprechen. Zudem ist der Zeitpunkt günstig: Man kann die intellektuellen Batterien aufladen, ehe im Herbst wieder die operativen Zwänge stärker werden.

Die Furche: Zum Thema "Wahrnehmung und Entscheidung". Wie haben Sie den Sommer 2008, in größerem Zusammenhang betrachtet, wahrgenommen?

Plassnik: Es hat sich einiges hinter der Ferienfassade zusammengebraut an Ängsten. Ich gebrauche - nach langer Überlegung - dieses Wort "Angst" bewusst. Wir gehen in einen Herbst, der schwierig werden kann. Das hat zwei Ursachen: Die eine betrifft Geld, die Frage der Rezession, der Inflation, also die Frage, was kommt wirtschaftlich auf uns zu? Die zweite Frage lautet: Was kommt mit dem politischen und militärischen Konflikt auf dem Kaukasus auf uns zu? Es gibt wieder Krieg in Europa. Dieses Bewusstsein kommt erst.

Die Furche: Hat sich das geopolitische Kräfteparallelogramm verschoben? Russland tritt, siehe Kaukasus, sehr massiv auf. Und, anderer Zusammenhang, mit den Olympischen Sommerspielen hat China doch den USA den Rang abgelaufen. Gibt es eine Verschiebung der großen Kräfte?

Plassnik: Ja, schon lange, und jetzt wird es sichtbar, rückt in deutlicher Form in unser Blickfeld. Denn mit den Olympischen Spielen ist in unserer Wahrnehmung aus China, dieser bisher sehr fernen und unbekannten Macht, ein sehr viel näheres Land, eine dynamische neue Supermacht geworden. Diese Entwicklung erfolgt mit atemberaubender Geschwindigkeit und ist natürlich auch von vielen Widersprüchlichkeiten geprägt. Die Zeiten europäischer Beschaulichkeit sind vorbei. Dazu kommt der Paukenschlag am Kaukasus, der sich seit längerem angekündigt hat. Der Kaukasus ist eine uralte geopolitische Konfliktzone, dort stoßen sehr unterschiedliche große Traditionen aufeinander, die sich immer wieder aneinander gerieben haben und sich teilweise überlappen. Das Frühjahr war unter außenpolitischen Fachleuten schon geprägt von der Sorge, der Konflikt könnte in eine heiße Phase treten. Das ist letztlich auch passiert.

Die Furche: Wie lauten Ihre Schlussfolgerungen? Oder andersrum: Wie soll, wie kann man seitens der Politik mit diesen Ängsten umgehen?

Plassnik: Im Grunde gibt es bei tiefgreifenden Ängsten nur ein wirksames Rezept: Face your fears - blicke Deinen Ängsten ins Gesicht. Man muss möglichst nüchtern und kühl durch diese Ängste durchgehen und das Nötige veranlassen. Wir müssen uns wappnen und wir müssen Österreich wappnen für den rauen Wind, der uns bevorsteht.

Die Furche: Stehen wir tatsächlich vor der Sorge um unseren Wohlstand? Gibt es Anzeichen für eine Rezession?

Plassnik: Ja, die gibt es. Rezession hat es immer gegeben. Das konjunkturelle Auf und Ab allein ist keine Neuigkeit des Sommers 2008. Aber einige grundlegende Parameter haben sich deutlich verschärft. Wir müssen wegen des Klimawandels dringend handeln. Es wird nicht unbegrenzt Öl und fossile Brennstoffe geben. Wie gehen wir damit um? Und wie stehen wir zu dem Umstand, dass Energie von manchen als Waffe gesehen und auch eingesetzt wird? Neben den Preissteigerungen bei Öl kam es zu einer Nahrungsmittelkrise, die sich vor allem in der Dritten Welt auch politisch sehr direkt niedergeschlagen hat. Das war ebenfalls ein Vorbote für Entwicklungen, deren Ende wir noch nicht absehen können. Ich bin gegen Horrorszenarien. Aber wir werden wahrscheinlich wirtschaftlich in Turbulenzen kommen und sicherheitspolitisch neuen Herausforderungen begegnen müssen.

Die Furche: Dagegen lässt sich ja etwas unternehmen. Sie etwa haben in Alpbach für eine europäische Zukunftsoffensive plädiert. Wie soll die aussehen?

Plassnik: Wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein dessen, was auf uns zukommt. Wir sollten uns das Thema der politischen und wirtschaftlichen Selbstbehauptung Europas gezielt vornehmen. Zusammenhänge sehen, uns nicht verzetteln. Europas Selbstwertgefühl festigen, indem wir die Stärken stärken, mehr unaufgeregtes Selbstbewusstsein entwickeln. Wir haben uns in den vergangenen sieben Jahren damit beschäftigt, die innere europäische Hausordnung auszufeilen. Das war richtig, aber es hat viel Energie gekostet. Dennoch: Europa muss sich jetzt in diesem neuen Kräfteparallelogramm der Welt behaupten, wenn wir Wohlstand und Frieden sichern wollen. Wir sind ja in den Zielvorgaben sehr anspruchsvoll geworden. Ich spreche oft vom europäischen Lebensmodell: Wir wollen Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit, Freiheit, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und nicht zuletzt die soziale Dimension. Das gibt es sonst weltweit nicht, dass man so viele, teils schwer kompatible Ziele, zum Teil der eigenen Identität macht. Wenn wir uns mit diesem einzigartigen Lebensmodell in Zukunft bewähren wollen, dann müssen wir auch auf der Seite von Forschung und Entwicklung in der EU nachschärfen. Wir haben nur als innovative Wissensgesellschaft überhaupt eine Chance als Zukunftsmacht. Also: Wir brauchen möglichst viele europäische Daniel Düsentriebs!

Die Furche: Zur Zukunftsoffensive wird es wohl auch gehören, den Nationalismus weiter zu überwinden, zu Partnerschaften zu kommen, wie Sie es ausdrückten. Ihr Appell gilt der Zuversicht, die Europa brauche. Haben Sie den Eindruck, es mangelt daran?

Plassnik: Den habe ich. Wir sind ein wohlhabender, aber eben auch ein alternder Kontinent. Es ist objektiv so. Alle derartigen Gesellschaften neigen dazu, in die Defensive zu gehen. Das darf uns nicht passieren. Das "Nein" darf nicht das dominante Gefühl werden auf unserem Kontinent. Leider sehe ich auch in Österreich dafür Anzeichen. Das halte ich für gefährlich, damit kommen wir in einen Zustand, vor dem große Europäer wie Edmund Husserl gewarnt haben: "Europas größte Gefahr ist die Müdigkeit". Und diese Müdigkeit ist Teil des Mangels an Zuversicht beim täglichen Management von Komplexität. Die moderne Welt ist komplex. Europa ist ein welthistorisches Experiment, etwas Neues, wir müssen uns dem in der Praxis täglich stellen. Es ist eben außerordentlich anspruchsvoll zu regeln, wie 27 Demokratien, alle sehr unterschiedlich geprägt, unter den Bedingungen von Freiheit und Vielfalt ihr Leben miteinander gestalten. Europa ist nicht etwas Fernes, das von Konzernzentralen oder Bürokratien angetrieben wird. Das ist Unsinn, und die einzige wirksame Waffe dagegen ist der alte aufklärerische Auftrag der Befreiung aus Unwissenheit. Das neue Europa ist unsere gemeinsame Verantwortung, unser Gestaltungsauftrag als Teilhaber. Wir dürfen und wir müssen mitmachen!

Das Gespräch führte Claus Reitan

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