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Kleineres ist oft besser

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Österreich darf sich freuen. Die Chance, daß uns Wiens Erhebung zur „dritten UN-City“ die erhofften Vorteile bringt, ist größer als die Chance, daß den nun in Wien beheimateten Organisationen die Lösung der von ihnen verwalteten Probleme gelingt. Die UNCSTD-Konferenz verläuft bislang enttäuschend, wie es mit der Entwicklungspolitik weitergehen soll, bleibt offen.

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Österreich darf sich freuen. Die Chance, daß uns Wiens Erhebung zur „dritten UN-City“ die erhofften Vorteile bringt, ist größer als die Chance, daß den nun in Wien beheimateten Organisationen die Lösung der von ihnen verwalteten Probleme gelingt. Die UNCSTD-Konferenz verläuft bislang enttäuschend, wie es mit der Entwicklungspolitik weitergehen soll, bleibt offen.

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In der UNCSTD-Konferenz in der Wiener Stadthalle lauschen tausende Delegierte einer endlosen Kette von Rednern. Viele scheinen sich zu langweilen. Es geht darum, wie man die Entwicklungsländer am technischen und industriellen Wissen der Industriestaaten beteiligen kann, beteiligen soll.

Im NGO-Forum im Kongreßhaus auf dem Margaretengürtel ist der Saal kleiner, das Publikum bunter, es wirkt interessierter, reagiert emotionell. Es geht darum, ob das Wissen, über dessen „Transfer“ von den entwickelten an die zu entwickelnden Länder in der Stadthalle gesprochen wird, den Entwicklungsländern überhaupt nützt. Welche Art von Wissen sie eigentlich brauchen.

Auf einer Wiese am Rand des Wiener Praters gibt es weder eine Halle noch einen Saal, sondern nur bunte Buden, schwarze Zelte, ein Windrad, das eine Autobatterie auflädt, eine „Bio-Klinik“: Eine neue Lebensform wird teils ausprobiert, teils demonstriert. Es geht darum, zu beweisen, daß man sich von Konsum-, Denk-und Anpassungszwängen befreien kann.

Die Simultan-Dolmetscher in der Wiener Stadthalle in ihren futuristischen Kabinen sprechen in jeweils fünf anderen Sprachen mit. Exakt, immer in der gleichen Tonlage, gut verständlich, aber einschläfernd. Wenn einer der Redner temperamentvoll wird - die Stimme des Ubersetzers bleibt unbeteiligt. Die Glaskabinen der Dolmetscher erinnern an die Häuschen aus Aluminium und Glas, in denen die Kranführer sitzen. Die Übertragung von den Mikrophonen zu den tausenden Kopfhörer-Paaren erfolgt durch ultrarotes Licht. Man sieht es nicht. Aber wenn man das Loch des Empfangskästchens zuhält, hört man riichts.

Pointen gehen in der Dolmetschung verloren. Soweit es in den Reden

Stellen gibt, die einen Teil der Delegierten zu einem unwilligen Hin- und Herrutschen veranlassen könnten, rutscht jeder zu einem anderen Zeitpunkt, nämlich wenn der für seine Sprache zuständige Dolmetscher so weit ist. Uber dem Saal liegt ein Hauch von Irrealität, von Sterilität Die Entscheidungen fallen wohl sowieso hinter den Kulissen - soweit Entscheidungen fallen.

Entscheidungen ... Welcher Art könnten sie überhaupt sein?

Auch wenn man es dieser Konferenz nicht so leicht ansieht, auch wenn sie sich halbe Tage gelangweilt hinzuschleppen scheint, hier in der

Wiener Stadthalle kulminiert der sogenannte Nord-Süd-Dialog. Die Entwicklungsländer fordern in zunehmendem Maß immaterielle, aber deshalb keineswegs billige Güter: Zugang zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen und zu den Produktionsgeheimnissen der reichen Staaten, kostenlose Überlassung von Patentrechten und so fort, „weil Wissen der ganzen Menschheit gehört“.

Die Standpunkte prallen hart aufeinander. Die Industriestaaten sollen sich 'diesen „Technologie-Transfer“ in Zukunft pro Jahr zwei Milliarden Dollar kosten lassen, erklären solche Beträge aber für illusionistisch.

Schaumgebremste Dramatik, wenn sich gelegentlich auch zwei westliche Länder in die Haare geraten, wenn etwa ein Kanadier unmittelbar nach einem USA-Delegierten spricht und das gutheißt, was die Amerikaner nicht wollen, nämlich eine eigene, nur der Generalversammlung verantwortliche UN-Körperschaft, die für den Einsatz von Wissenschaft und Technologie für die Entwicklungspolitik zuständig sein soll... (Genau dies will übrigens auch Österreich, und selbstverständlich soll dieses Büro in Wien seinen Sitz haben ...)

In der Stadthalle verhandeln die Delegationen von 130 Staaten, unter den 4000 Teilnehmern sind rund 60 Regierungsmitglieder. Zwar betonen die Vertreter der Industriestaaten immer wieder, über die Gründung eines Fonds, über die Höhe der einzuzahlenden Beträge und so fort könne man erst anhand konkreter Entwicklungspläne sprechen, aber im wesentlichen ist UNCSTD, die große UN-Konferenz für Wissenschaft und Technologie im Dienst der Entwicklung, mit dem Wie des Technologie-Transfers beschäftigt und kaum mit dem Was, nämlich den in Frage kommenden Technologien.

Uber die wird im NGO-Forum gesprochen, im Forum der „nongovernmental organisations“, der nichtstaatlichen, der regierungsunabhängigen Organisationen.

Hier sprechen nicht Politiker, sondern Wissenschaftler, Entwicklungshelfer, frustrierte Experten, Idealisten und derlei Volk. Das Publikum nimmt Anteil, stellt Fragen, applaudiert. Die Simultan-Dolmetscher sitzen nicht hinter fashionablem Aluminium sondern hinter simpel holzumrahmtem Glas. Sie sind auch nicht so routiniert, bleiben mitunter hängen, geben dem, was sie übersetzen, ihre eigene Färbung. Und die Übertragung von den Mikrophonen zu den Kopfhörern erfolgt auch nicht durch das moderne unsichtbare Ultrarotlicht, sondern über ordinären Funk; der Unterschied besteht darin, daß man keine Öffnung zuzuhalten, sondern das Gerät nur ein wenig zu drehen braucht, und der Ton ist weg.

• Das Vermächtnis der UNCSTD-Konferenz sind ungezählte Tonnen Papier - der Großteil des Wenigen, das nicht allzu bald schon Makulatur sein wird, stammt von den Wissenschaftlern. Nobelpreisträger Konrad Lorenz schrieb in einer vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegebenen Studie über „Die psychologischen Hindernisse beim Technologie-Transfer“, die anläßlich der ACAST-Konferenz, der Wissenschaftler-Konferenz, die UNCSTD vorausging, vorgelegt wurde: „Das Wichtigste, was die Entwicklungsländer von den Industriestaaten lernen können, ist die Einsicht in die schweren ökonomischen und ökologischen Fehler, die von der Techno-kratie begangen werden. Ihre Konsequenzen würden in den Regionen im Bereich des Äquators noch weitaus schrecklicher sein als in den gemäßigten Zonen.“

Entwicklungshilfe und damit auch der Technologie-Transfer, heißt es in einer Gemeinschaftsarbeit von Professor Giselher Guttmann (Psychologie), Professor Otto König (Verhaltensforschung) und Magister Elisabeth Jandl-Jager (Sozialpsychiatrie), könne nur dann glaubwürdig und überzeugend sein, „wenn die Industrienationen mit ihren eigenen moralischen und psychologischen Problemen (Verbrauchseinschränkungen, Energiesparen, Umweltverschmutzung, Geburtenkontrolle, Abrüstung) fertig werden.“

Und Hans Strotzka, Professor für Psychiatrie an der Wiener Universität, sagte: „Solange anzunehmen ist, daß der Technologie-Transfer nur den politischen und wirtschaftlichen Zielen des Absenders' dient, können die Resultate nur unbefriedigend ausfallen.“

Freilich dient manches, was den politischen und wirtschaftlichen Zielen des Absenders dient, auch denen des Empfängers, nämlich der Oberschicht in den Entwicklungsländern, nicht aber der Mehrheit der Bevölkerung. Andererseits, und das macht eine Entwicklungshilfe, die diese Bezeichnung verdient, noch schwieriger: Selbst Geber, die das Beste wollen, kommen um die Regierungen der Länder, denen geholfen werden soll, nicht herum.

Immer mehr Fachleute warnen vor einer forcierten Industrialisierung, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht, deren Lebensraum und gewachsene Strukturen zerstört und mehr Arbeitsplätze vernichtet als sie schafft.

Wo eine falsche Investitionspolitik handfesten Interessen entspricht, haben die Warner meist keine Chance. Was sie aber doch oft verhindern können, sind Fehler, die aus Unwissenheit gemacht werden. Etwa die Lieferung von Pflügen für Zugtiere an Bauern in Ober-Volta, für die die Umstellung vom Hackfruchtbau auf den Pflug einen gewaltigen Vorteil brächte, und die auch tatsächlich in Gebieten leben, in denen es Zugtiere gäbe - wenn leider in diesem Gebiet Ackerbau und Viehzucht von verschiedenen, miteinander nicht im besten Einvernehmen lebenden Stämmen betrieben werden.

Oder die Lieferung weißer Legehennen in ein Land, in dem weiße Vögel als Unglücksbringer gelten. So geschehen in Indien.

Derlei Erfahrungen haben wohl dazu- geführt, daß man immer öfter die Forderung hört, Entwicklungshilfe nicht ausschließlich Naturwissenschaftlern und Ingenieuren zu überlassen, sondern mehr Soziologen und Ethnologen heranzuziehen.

Maßnahmen, die an der Basis, bei den kleinen Leuten wirksam werden, stehen dabei oft in Konflikt mit den Zielsetzungen des Technologie-Transfers, der beispielsweise moderne landwirtschaftliche Methoden mit entsprechendem Maschineneinsatz im Auge hat, während der Landbevölkerung mit einfachen Pflügen viel mehr geholfen wäre, weil sie sich die leisten, weil sie damit umgehen und weil sie sie auch selber reparieren kann. Und wenn Pflüge oder Pflugscharen nicht importiert oder im Land in Fabriken erzeugt, sondern von den Dorfschmieden hergestellt werden, ist auch deren Existenz gerettet. Für ein Land ist mit der Verbreitung solcher Methoden mehr getan als mit dem Bau einer Pflugfabrik. Das Profitinteresse ist freilich mehr an einer Fabrik interessiert...

Während in den Entwicklungsländern die Faszination der Menschen durch die europäische Zivilisation ein schwerwiegendes psychologisches Hindernis einer sinnvollen Entwicklungspolitik darstellt, kehren in Europa immer mehr Menschen dem Konsumentendasein den Rük-ken. Die parallele Abhaltung eines NGO-Forums neben einer großen UN-Konferenz hat seit der Stockholmer Umweltschutz-Konferenz Tradition. Eine echte Novität aber ist das in Wien allen anderen Entwicklungskonzepten gegenübergestellte Öko-Dorf auf der Husarenwiese im Prater.

Es hat große Schwierigkeiten mit der Wiener Stadtbürokratie gegeben, die wenig Toleranz gegenüber Menschen bewies, die anders leben als es sich gehört, zuletzt aber doch etwas Geld aus - und die hohe Gebühr für den obligaten Toilettenwagen erließ, andererseits aber auf einer ebenso teuren Notbeleuchtung bestand. Nun stehen sie da auf der Wiese: Bunte, im Do-it-yourself-Verfahren zusammengebastelte Häuser, ein Backofen, Jurten, Windräder, eine Biogasanlage und viele Inschriften, die sich auf gesunde, naturnahe Lebensweise beziehen.

Die „Einwohner“, die aus bürokratischen Gründen in ihrem Dorf nicht übernachten dürfen, kommen aus ganz Europa. Sie sind Mitglieder einer Bewegung, in der die einen Schutz und Therapie und die anderen eine Alternative zu einer als falsch und ungesund1 empfundenen Lebensform suchen. Sie haben Initiative, sie haben Gemeinschaftsgeist, aber aus der Gesellschaft, die mit ihren eigenen moralischen und psychologischen Problemen fertigwerden sollte, um glaubwürdig zu sein, haben sie sich weitgehend zurückgezogen.

Die Frage, wer denn noch diese unsere Gesellschaft veranlassen könnte, wenigstens jenes Minimum an Mitmenschlichkeit zu entwickeln, das notwendig ist, um Entwicklungshilfe und Technologie-Transfer nicht immer wieder in Ausbeutung umschlagen zu lassen, wird weder in der Stadthalle noch im NGO-Forum noch auf der Praterwiese gestellt.

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