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Wissen - aber fiir wen?

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Die ironische Definition, Entwicklungshilfe sei das, was die armen Menschen in den reichen Ländern den reichen Menschen in den armen Ländern schenken, enthält nicht nur ein Korn Wahrheit, sondern ist auch symptomatisch für die öffentliche Meinung, sprich: für weitverbreitete Vorurteile in Sachen Entwicklungshilfe in den reichen Ländern. Es ist aber leicht möglich, daß besagte Redensart schon bald einer Modifizierung in dem Sinne bedarf, Entwicklungshilfe sei das, was die reichen Leute in den armen Ländern den armen Leuten in den reichen Ländern abpressen.

Entwicklungshilfe umfaßt keineswegs nur greifbare Güter. Mindestens ebenso wichtig, vielleicht noch wichtiger, ist Wissen. Und darum geht es in der großen UN-Konferenz, welche diese und nächste Woche in der Wiener Stadthalle tagt. (Siehe auch Stichwort „UNCSTD“ auf Seite 2.) Sie soll darüber beraten, wie die Hindernisse ausgeräumt werden können, die der gerechten Verteilung von technologischem und industriellem Fachwissen im Wege stehen.

Vieles spricht dafür, daß diese Konferenz etwas anders ablaufen wird, als ursprünglich geplant. Von den Industriestaaten werden heute für Forschung und technologische Entwicklung jährlich 93,6 Milliarden US-Dollar ausgegeben, von den Entwicklungsländern nur 2,8 Milliarden. Die Industriestaaten sehen heute ihre Zukunftschancen nicht so sehr im Verkauf von Industrieprodukten wie im Verkauf von Wissen, von technischem und industriellem Knowhow in Form von Patenten, Lizenzen und so weiter.

Im Sinne der Industriestaaten wäre daher eine Konferenz gewesen, die den Technologie-Transfer einerseits als Notwendigkeit anerkennt, andererseits aber nicht daran rüttelt, daß er im Rahmen normaler wirtschaftlicher Beziehungen, das heißt als Verkauf von Wissen, vonstatten zu gehen hat.

Vor dem UNCSTD-Start beriet in Bukarest die „Gruppe der 77“ ihre Positionen für die Wiener Konferenz. Es handelt sich dabei um einen lok-keren Zusammenschluß von ursprünglich 77, mittlerweile aber einer auf über 100 angewachsenen Zahl der

UNO angehörender Entwicklungsländer. Diese Staaten befinden, Wissenschaft und Technik seien ein gemeinsames Erbe der Menschheit und müßten daher allen in gleichem Maße kostenlos zugänglich sein.

Natürlich sind sich auch die Sprecher der Entwicklungsländer völlig darüber im klaren, daß ein ungehinderter Zutritt zu den Entwicklungsbüros der westlichen Konzerne einen Zusammenbruch erstens des internationalen Patentwesens, zweitens jeder industriellen Entwicklungstätigkeit und damit drittens der Industrie in ihrer heutigen Form zur Folge hätte.

Aber es wird ja nicht so heiß gegessen wie gekocht. Die Delegierten bringen aus Bukarest. bereits den Vorschlag mit, die Industriestaaten sollten einen Fonds schaffen, der bis zum Jahr 1990 auf zwei Milliarden

Dollar anzuwachsen und der den Technologietransfer zu finanzieren hätte: Seine Aufgabe wäre es, Patent-und Lizenzrechte anzukaufen und den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen.

Eine gar nicht unvernünftige Idee -sofern man die Ansicht ungeprüft übernimmt, daß das, was jetzt als „Technologie-Transfer“ in sechs Konferenzsprachen durch die Wiener Stadthalle schwirrt, tatsächlich geeignet wäre, die Probleme der armen Menschen in den armen Ländern zu lösen.

Sicher ist nicht daran zu zweifeln, daß ein aus Steuermitteln gespeister (oder per Zwangsauflage an die westlichen Industrien und damit zwangsläufig über die Preise finanzierter) Fonds, der die Kosten des Technologietransfers übernimmt, eine massive Hilfe der armen Leute in den rei-

chen Ländern für die reichen Leute in den armen Ländern darstellen würde.

Doch' das solcherweise transferierte Wissen wäre doch zum größten Teil eines, das von den Industriegesellschaften für ihre Bedürfnisse entwickelt wurde - also Wissen, wie man rationalisiert. Und (Jas heißt: Wie man die (in Europa!) teure Arbeitskraft durch billiger produzierende Maschinen ersetzt. Selbst in den Industriestaaten hat der Trend zum Rationalisieren längst jenen Punkt erreicht, wo die Freisetzung von Arbeitskräften die Massenkaufkraft und damit die Absetzbarkeit der Produkte zu gefährden beginnt, ganz zu schweigen vom wahnsinnigen Raubbau an den Naturschätzen und von der Vernichtung dessen, was der Mensch leider auch noch zum Leben braucht: der Natur.

Die Hauptprobleme der Entwicklungsländer resultieren heute nicht aus zu geringer oder gar zu unrationeller Produktion, sondern daraus, daß zu modern produziert wird. Schuhfabriken sind sinnlos, wenn sich die Arbeitslosen vor den Schuhfabriken keine Schuhe kaufen können, weil die Schuhfabriken so rationell arbeiten, daß sie keine nennens- -werte Zahl von Arbeitern brauchen.

In' vielen Entwicklungsländern produziert heute ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung für einen kleinen Teil der Bevölkerung, deren Mehrheit vom Wirtschaftsprozeß ausgeschlossen ist und verelendet. Aber die UNCSTD-Delegierten gehören nicht der vegetierenden Mehrheit an. Die Technologien, die sie benötigen und deren Transfer sie im Sinn haben, sind, äußerst vorsichtig ausgedrückt, nicht immer (eher schon: kaum je) geeignet, einen größeren Teil der Bevölkerung in den Produktionsprozeß einzubeziehen.

Dementsprechend wurden auch die Verfechter dessen, was als „angepaßte Technologie“ eine Alternative zu einer auf Rationalisierung zielenden Technologie darstellen könnte, in den Prater abgedrängt, wo sie im „ökodorf“ ihr „Biogemüse“ essen dürfen. Mag sein, daß hier auch manche Sackgassen propagiert werden. Ein Technologie-Transfer, der den reichen Leuten in den armen Ländern hilft, die Armut und Unterdrük-kung ihrer armen Leute zu zementieren, ist freilich ganz bestimmt eine Sackgasse.

Aber es ist ein gutes Geschäft für die Beteiligten, für die Empfänger von Gratis-Knowhow ebenso wie für diejenigen, deren Export von unan-gepaßtem Wissen von den armen Leuten in den reichen Ländern über Steuergelder finanziert und ihnen propagandistisch als „Entwicklungshilfe“ verkauft wird.

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