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Den Menschen helfen, sich selbst helfen zu können

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In der Entwicklungshilfe soll gespart werden. Österreichs Staatsdefizit ist bereits groß genug - wo könnte man leichter einsparen als dort, wo der Widerstand relativ gering ist, nicht durch mächtige Lobbies getragen wird? Aber wo sparen, wenn keine zwischenstaatlichen Abkommen verletzt, keine Aufträge an die eigene Wirtschaft gefährdet werden sollen? Die Antwort scheint billig: bei den privaten Organisationen, die sich nicht im politischen Auftrag, sondern aus innerer Verpflichtung um ihre Mitmenschen in der Dritten Welt kümmern…

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In der Entwicklungshilfe soll gespart werden. Österreichs Staatsdefizit ist bereits groß genug - wo könnte man leichter einsparen als dort, wo der Widerstand relativ gering ist, nicht durch mächtige Lobbies getragen wird? Aber wo sparen, wenn keine zwischenstaatlichen Abkommen verletzt, keine Aufträge an die eigene Wirtschaft gefährdet werden sollen? Die Antwort scheint billig: bei den privaten Organisationen, die sich nicht im politischen Auftrag, sondern aus innerer Verpflichtung um ihre Mitmenschen in der Dritten Welt kümmern…

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Was tut Österreich für die Dritte Welt?

Zunächst hatte die Bundesregierung in einem Dreijahresprogramm für Entwicklungshilfe die Mittel für die bilaterale technische Hilfe um fast 40 Prozent erhöht, dann kurz darauf wieder um fünf Prozent gekürzt. Die gesetzlich eingegangenen Verpflichtungen werden eingehalten, die Folgen der Budgetkrise aber auf die privaten Organisationen abgewälzt, denen gleichzeitig immer stärker werdende Kritik und Mißtrauen aus dem B undeskanzleramt entgegenschlagen.

An privaten Organisationen für Entwicklungshilfe gibt es in Österreich zirka 50; nur zwölf von ihnen werden aus staatlichen Mitteln subventioniert. Aufgabenkreis und Aktionsradius dieser Organisationen sind äußerst vielfältig, sie beschränken sich keineswegs nur auf die Entsendung von Entwicklungshelfern, wie meistens angenommen wird. So sind der österreichische Auslandsstudentendienst, die österreichische Forschungsstiftung für Entwick- lungshüfe, das Afro-Asiatische Institut oder die ‘ Hammer-Purgstall-Gesell- schaft für die Betreuung ausländischer Studenten verantwortlich, während der Einsatz von Entwicklungshelfern und Experten vorwiegend vom österreichischen Entwicklungshelferdienst und vom österreichischen Jugendrat für Entwicklungshilfe durchgeführt wird. Das Wiener Institut und die österreichische Forschungsstiftung für Entwicklungshilfe arbeiten in der Forschung und Dokumentation, sowie für die Öffentlichkeitsinformation. Organisationen wie das Lateinamerika-Institut kümmern sich um Studentenbetreuung und sind an der Projektdurchführung in den Entwicklungsländern beteiligt. Weltanschaulich lassen sich drei der Kirche nahestehende und drei parteienorientierte Institutionen unterscheiden; Gewerkschaftsjugend, Kol- pingbewegung und Jungarbeiter sind mit je einer Organisation vertreten.

Die zwölf privaten Entwicklungshilfeorganisationen werden mit zirka 50 Millionen Schilling aus den 1,1 Milliarden bereitgestellter Budgetmittel gefordert. Der Großteil der Finanzierung muß durch Privatinitiative der Organisationen aufgebracht werden. Die „Aktion Kleingeld” appelliert an die Spendefreudigkeit heimgekehrter Urlauber, ihre Urlaubs- Überbleibsel- in ausländischer Währung dem Entwicklungshelfereinsatz zur Verfügung zu stellen. Zur Bekämpfung der Hungersnot in den unterentwickelten Ländern rief die Katholische Männerbewegung die Aktion „Bruder in Not” ins Leben. Mit den gesammelten Geldern werden die jeweiligen Projekte finanziert. So wird derzeit der Bau eines Multizweck-Zen- trums im Kara-Pokot-Gebiet in Kenia geplant, wo Kurse, Versammlungen, Gottesdienste abgehalten und Katechismusunterricht erteilt werden sollen. Ihm wird eine Krankenstation und eine Schule angeschlossen werden. Erziehung zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Fö rderung des Gemeinschaftssinnes der derzeit eher isoliert voneinander lebenden Dorfbewohner sind die Zielpunkte dieses Projekts.

Der österreichische Entwicklungshelferdienst hat Entwicklungshelfer in Owerre-Ezukala in Nigeria eingesetzt, wo die einheimische Bevölkerung auf einer Musterschulfarm mit den wichtigsten Kenntnissen der Bodenbewirtschaftung vertraut gemacht wird. Eine Ausbüdungsstätte für Kaufleute in Wewak in Papua-Neu- guinea vermittelt kaufmännisches Wissen. Die Fortführung solcher Projekte wird durch die Einsparungsmaßnahmen der Regierung in Frage gestellt. Was die Katholische Frauenbewegung in den letzten zwanzig Jahren mit ihrem „Familienfasttag” in Ost- und Südostasien geschaffen hat, darüber wird hier gesondert berichtet.

1975 wurden vom Bund für die technische HUfe 168 Millionen Schilling aufgewendet, von den privaten Organisationen dagegen 193 Millionen, wobei der Bund ihnen 50 Millionen zuschoß. Österreich liegt mit 0,17 Prozent des Bruttonationalprodukts international gesehen vor Italien an vorletzter Stelle. Der durchschnittliche Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe im Verhältnis zum Bruttonationalprodukt betrug in den OECD-Ländem 1975 0,36 Prozent Das Entwicklungshüfekomitee der OECD kritisiert, daß es in Österreich seit 1974 kein Konzept zur Ausweitung gebe, berichtet Martin Jäggle vom österreichischen Jugendrat für Entwicklungshilfe. (Von 1970 bis 1974 hatte Österreich seine Entwicklungshilfe stark gesteigert. 1974 wurde im Entwicklungshüfegesetz der Aufwand staatlicher Geldmittel für die Projektförderung fortgesetzt, gleichzeitig eine Gruppe „Entwicklungshilfe” im Bundeskanzleramt gegründet)

Die Vereinten Nationen forderten 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts von den Industriestaaten als öf- /fentliche Entwicklungshilfe. Der Ent- wicklungshüfebeirat empfahl für Österreich 0,5 Prozent, die Bundesregierung beschloß im Dreijahresprogramm 0,3 Prozent. Da aber nun die Kürzung der Mittel, wie der Bundeskanzler erklärte, nicht auf Kosten der Projekte gehen dürfe, sollen im Verwaltungsbereich der privaten Entwicklungshilfeorganisationen 6,5 Mülionen Schilling eingespart werden.

Staatssekretär Eugen Veselsky meint, es gebe in der Verwaltung dieser Organisation unnötige Mehrglei- sigkeiten. Die einzelnen Organisationen seien zu sehr verstreut, was die Kosten für Telephon, Beleuchtung und Beheizung vermehre. Auch in Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit gebe es keine Koordinierung. Man sollte also die einzelnen Organisationen örtlich zusammenfassen, ihre Mitarbeiter gemeinsam und zentral ausbilden, womit auch eine Reduzierung des Personalstandes möglich wäre. Schließlich müßte doch auch eine gemeinsame Zeitschrift genügen.

Der Vorschlag, drei große „Pakete” zu büden, die jeweils die Forschungs-, Entsende- und Betreuungsorganisationen umfassen, soll dabei wohl dem Vorwurf der privaten Institutionen begegnen, sie durch Konzentration und Vereinheitlichung einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.

Diese Vorschläge stoßen bei den Betroffenen auf wenig Gegenliebe. Könnte damit wirklich so viel eingespart werden? Eine gemeinsame Zeitschrift herauszugeben, sei kaum durchführbar, erklärt Jäggle. Die jetzt erscheinenden Publikationen haben mehrere Funktionen zu erfüllen: Betreuung, wissenschaftliche Dokumentation und vor allem Grundsatzinformationen und Bewußtseinsbüdung in der Bevölkerung. Dazu wird vom Staat so gut wie nichts getan. Außerdem: eine einzige Publikation könnte allzuleicht zum Werbeorgan für das Bundeskanzleramt werden.

Anderseits sind die privaten Organisationen für den Staat zur Durchführung der öffentlichen Entwicklungshilfeprojekte von größter Wichtigkeit. Mit derzeit 14 Mitarbeitern steht Österreich im Vergleich etwa zur Bundesrepublik Deutschland, wo ein Ministerium mit zweihundert Mitarbeitern nebst einem Institut mit fünf hundert Angestellten für Fragen der Entwicklungshilfe zur Verfügung steht, oder Dänemark mit achtzig Mitarbeitern und Schweden mit zwanzig Fachleuten recht bescheiden da.

Unter dem Prinzip „Entwicklung für alle” sehen es die privaten Ent- wicklungshilfeorganisation als ihre erste Aufgabe an, in langfristigen Hüfsprogrammen eine Strukturveränderung in den unterentwickelten Ländern zu erzielen, um, wie Dr. Herta Pommer von der Katholischen Frauenbewegung formuliert, die Grundbedürfnisse des Menschen, wie Arbeitsplatz, Lebensmittelversorgung, medizinische Betreuung, ein funktionierendes Erziehungssystem und angemessene Sozialleistungen auf Dauer zu sichern. Diese Basisarbeit steht in christlich-religiöser Orientierung unter dem Motto „Leben gestalten” und hat die Erziehung zu Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung der unterentwickelten Völker zum Ziel, das heißt: im Sinne der christlichen Frohbotschaft die „Befreiung des Menschen von geistigen und materiellen Nöten, die ihn daran hindern, aktiver Mitgestalter der Schöpfung zu sein, wozu der Mensch als einziges Wesen berufen ist.”

Humanitäre Gründe sind also die primären Antriebe der privaten Entwicklungshilfeorganisationen im Gegensatz zur staatlichen Hilfe, der man vorwirft, zu sehr wirtschaftlich ausgerichtet zu sein. Denn die staatliche bilaterale Hilfe steht in Österreich hinter Exportkrediten und der multilateralen Hilfe, den Beitragsleistungen an alle entwicklungspolitischen Institutionen der UN, an letzter Stelle.

Die staatliche Hilfeleistung dagegen bekennt sich zu einem „humanitär- kommerziellen” Prinzip, das auf der Basis der „Entwicklungskooperation” im Sinne einer Partnerschaft mit den Entwicklungsländern die Bereitstellung der nötigen Investitionsgüter und Waren zu günstigen Bedingungen sichert. Im Sinne einer solchen partnerschaftlichen Fairneß sieht Staatssekretär Veselsky die Aufgabe der österreichischen öffentlichen Entwick- lungshüfe darin, „bei einer für Österreich günstigen Ausgangslage das wirtschaftliche und sozialpolitische .Know-how zu vermitteln”.

Antriebe und Ziele der öffentlichen und privaten Entwicklungshilfe gehen also keineswegs immer konform, sind aber im letzten doch auf das gleiche Ziel gerichtet. Auch hier ist ein partnerschaftliches Verhältnis notwendig, um die weitere fruchtbare Zusammenarbeit zu garantieren. Das geforderte Ausmaß und die wirkliche Effektivität der Entwicklungshilfe unter größtmöglicher Wirtschaftlichkeit des Verwaltungsapparates können nur in einer gut funktionierenden Zusammenarbeit der staatlichen und privaten Stellen erreicht werden.

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