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Solidarität statt Eigeninteresse

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Österreichs Entwicklungshilfe ist unterentwickelt. Weit vom OECD-Durchschnitt entfernt, klingt das Bekenntnis zum Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für Entwicklungshilfe aufzubringen, wie Hohn. Auch hier geht es um unsere Glaubwürdigkeit.

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Österreichs Entwicklungshilfe ist unterentwickelt. Weit vom OECD-Durchschnitt entfernt, klingt das Bekenntnis zum Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für Entwicklungshilfe aufzubringen, wie Hohn. Auch hier geht es um unsere Glaubwürdigkeit.

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Vizekanzler und Außenminister Alois Mock nimmt Entwicklungshilfe als zuständiger Ressortminister offenbar ernst. Die Sektion VII des Außenamtes, die 1985 die Angelegenheiten der staatlichen Entwicklungshilfe von der vorher im Bundeskanzleramt beheimateten Gruppe Entwicklungshilfe übernahm, hat im August des Vorjahres ein Dreijahresprogramm für Entwicklungshilfe erstellt; eine eigene Arbeitsgruppe legte kürzlich eine sehr nüchterne Büanz der österreichischen Entwicklungshilfeleistungen vor (Seite 11).

Die Analyse ist realistisch und kommt zu denkbar schlechten Ergebnissen. Wie seinerzeit — als Leopold Gratz aufgrund seines Entwicklungshilfeberichts 1985 den Nationalrat zum Ersuchen .der Bundesregierung bewegen konnte, staatliche Entwicklungshilfeleistungen unter Aufrechterhaltung des 0,7-Prozent-Zieles zu steigern, und es damit sein Bewenden hatte —, droht jetzt wieder ein Versanden aller Neuanfänge.

Zwar ist es — um mit dem „Dreijahresprogramm“ der Sektion VII zu sprechen — in den letzten Jahren in Osterreich tatsächlich zu einer Verbreiterung der entwicklungspolitischen Öffentlichkeit gekommen (was Politiker-Argumenten von einer unmotivierten Bevölkerung widerspricht), doch konkret hat sich nichts geändert. Osterreich ist mit seinen Entwicklungshilfeleistungen an die letzte Stelle der OECD-Länder gesunken.

An Lippenbekenntnissen, die dramatische Abwärtsentwicklung stoppen zu wollen, mangelt es nicht. Klare politische Entscheidungen fehlen. Zugute kommt den unwilligen Politikern das geringe Interesse österreichischer Medien an Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe — in Zeiten wie diesen. Kaum jemand, der auf diesem Gebiet die internationalen Chancen Österreichs sieht.

Zudem verfügt die österreichische Entwicklungsbürokratie über keine eigene Entwicklungshilfeorganisation, ist also in der

Abwicklung ihrer Projekthilfe an andere - private, halbstaatliche oder staatliche — Träger gebunden, wie es im neuesten Bericht der Österreichischen Forschungsstiftung für Entwicklungshilfe (OFSE) heißt

Das Grundproblem besteht aber im Fehlen echter Solidarität Österreichs für die Dritte Welt. Die OFSE wörtlich: „Es ist eine hinlänglich bekannte Tatsache, daß vor allem handfeste wirtschaftliche Eigeninteressen die Praxis der öffentlichen EH Österreichs bestimmen.“

Daß dem wirklich so ist, hat sich sowohl bei der im April 1987 von der Politischen Akademie der ÖVP veranstalteten Entwicklungshilfestudientagung als auch bei der Jahrestagung des Wiener Instituts für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit (VIDC) Ende November des Vorjahres über „Österreichs Entwicklungspolitik - wohin?“ gezeigt. In einer

Zeit stagnierender Mittel und der Budgetsanierung legen Vertreter der Wirtschaft größten Wert auf „Effizienz mit geringstem Einsatz“ — so Viktor Sertic von der ÖVP bei der VIDC-Tagung.

Die Grünen, vertreten durch den Bereichssprecher Christoph Chorherr, und Waltraud Horvath von der SPÖ wandten sich hingegen deutlich gegen „versteckte Wirtschaftshilfe für österreichische Betriebe“. Von dieser Seite kam die Forderung nach Erhöhung des realen Geschenkanteils bei Entwicklungshilfeleistungen. Exportförderung müsse als solche deklariert und dürfe nicht als Entwicklungshilfe ausgegeben werden.

Eklatant hob sich von dieser Sicht österreichischer EH-Lei-stungen der freiheitliche entwicklungspolitische Sprecher Friedrich Probst ab. Er sieht offenbar in Hilfsaktionen ä la World Vision und Karlheinz Böhm den Inbegriff von Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe. Probsts enger Perspektive wurde bei der VIDC-Konf erenz einhellig widersprochen.

Auf diesem Forum sowie bei der Tagung der Politischen Akademie der ÖVP konnten private und kirchliche Entwicklungshilfeorganisationen eindrucksvoll belegen, worauf es bei Entwicklungshilfe und -politik wirklich ankommt. Otto Winkler, früherer Leiter des Internationalen Instituts für Zusammenarbeit (HZ) und Mitglied des Beirats für Entwicklungshilfe im Außenamt, plädiert entschieden für ein Gesetz, die Bundesregierung zu verpflichten, wenigstens den Entwicklungshilfedurchschnitt der OECD-Staaten zu verwirklichen, was budgetäre Maßnahmen zur Folge hätte.

Dem steht natürlich das Lamentieren im Forschungsbericht der ÖVP-Studientagung gegenüber

(aber auch der Studiengruppe im Außenamt), wonach die Finanzierungsfrage so unendlich schwierig sei und deshalb zum jetzigen Zeitpunkt Richtlinien, Auswahlmaßstäbe, Projektkontrollen, eine inhaltliche Spezialisierung sowie Entwicklungshilfe an Schwellenländer (!) vorzubereiten wären.

Letzteres regt Winkler besonders auf: zahlungskräftige Schwellenländer (Seite 10) brauchten von Österreich keine Kredithilfe, nicht zahlungsfähige würden—wenn Österreich zur Finanzierung seiner künftigen Entwicklungshilfe Anleihen am Kapitalmarkt nähme — künftige Budgets und den Steuerzahler erneut belasten. „Exportkredite seien — so wichtig sie für reichere Entwicklungsländer sein mögen-vom Standpunkt echter Entwicklungshilfe uninteressant.“

Worauf es für Österreich jetzt ankäme, wäre ein stärkeres Hinsteuern auf echte Entwicklungshilfe. Und da kann es — um stellvertretend für viele mehr oder weniger private EH-Organisatio-nen noch einmal Otto Winkler zu zitieren — als sachliche Schwerpunkte nur die Priorität der Armutsbekämpfung (also Hinwendung zu den LLCDs/siehe Seite 10), die Ermöglichung von Selbstversorgung und Eigenständigkeit sowie die Unterstützung wachsender Demokratie von unten durch Hilfen für integrierte ländliche Projekte (siehe Beitrag von Gibert Ciss) geben.

Österreich hat die Chance, beim Bauern und der ländlichen Gemeinschaft in Entwicklungsländern anzusetzen und damit auch das Handwerk, die Viehzucht sowie die nach- und verarbeitende Kleinindustrie zu stützen.

Regional sollte man bisherige Schwerpunkte in Schwarzafrika und Zentralamerika beibehalten beziehungsweise in diesen Regionen neue Länder entdecken.

Jetzt gehören publizistisch jene Politiker gestützt, die solidarische Taten setzen.

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