ENTWICKLUNG: Offenbarungseid der Parteien

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Während manche der heimischen Parlamentsparteien zur Entwicklungspolitik konkrete Standpunkte vertreten, bleiben andere äußerst vage. Ein Überblick zu den Positionen vor der nationalratswahl.

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Während manche der heimischen Parlamentsparteien zur Entwicklungspolitik konkrete Standpunkte vertreten, bleiben andere äußerst vage. Ein Überblick zu den Positionen vor der nationalratswahl.

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Schwerpunktländer sind derzeit neben Bhutan und einigen afrikanischen Ländern die wirtschaftlich interessanten Kaukasusstaaten.

Wie werden Sie sich persönlich (als Bundeskanzler) in der nächsten Legislaturperiode für die Umsetzung der SDGs einsetzen?". Das ist die erste Frage aus einem Katalog, den der entwicklungspolitische Dachverband Globale Verantwortung (GV) an die 13 wahlwerbenden Parteien und Listen versandt hat.

Bis Redaktionsschluss hatten einzig die FPÖ und die Grünen den vierseitigen Fragebogen, der von den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG) und entwicklungspolitischer Kohärenz über Menschenrechte und Gendergerechtigkeit bis zum Klimaschutz reicht, beantwortet. Bei der GV will man dazu erst Stellung nehmen, wenn auch die anderen Parteien geliefert haben. Doch die zumindest von den großen Parteien bis Mitte September ganz oder teilweise vorgestellten Programme geben einigen Aufschluss.

"Nicht nur gute Ratschläge"

Die an Entwicklungspolitik traditionell wenig interessierte FPÖ handelt das Thema in ihrem Parteiprogramm mit zwei Sätzen ab: "Grundprinzip österreichischer Entwicklungshilfe ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Sie fördert Freiheit und Verantwortung und begegnet Krisensituationen und Flüchtlingsströmen". Im Gegensatz zu SPÖ, ÖVP und Grünen, die die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) fest im Programm haben, gibt es in ihrem Wahlkampfprogramm keine Ideen für außereuropäische Verantwortung.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) geht in seinem Plan A relativ ausführlich auf Entwicklungspolitik ein. "Während globale Armut insbesondere aufgrund der positiven Entwicklungen in Indien und China seit 1990 deutlich gesunken ist, ist die globale Ungleichheit auf Rekordniveau. Die Einkommensungleichheit ist seit 1990 dramatisch gestiegen", heißt es da. Das Rezept entspricht zwar den Vorstellungen der NGOs, bleibt aber vage: "Deshalb haben sich die Vereinten Nationen auf die Nachhaltigen Entwicklungsziele (= Sustainable Development Goals, SDG) geeinigt, die eine Handlungsanleitung für die Staatengemeinschaft vorgeben. Zu diesen hat sich auch Österreich bekannt. Unser Beitrag kann aber nicht nur aus guten Ratschlägen für den Rest der Welt bestehen. Unsere Außen-,unsere Handels-, Klima-, unsere Migrations-und unsere Entwicklungspolitik müssen aufeinander abgestimmt werden". Ähnlich auch die NEOS in einem Positionspapier aus 2015: "Es macht beispielsweise wenig Sinn, Agrarprojekte in Entwicklungsländern zu fördern, während zeitgleich der heimische Markt abgeschottet und die eigenen Agrarprodukte unverhältnismäßig subventioniert werden."

EZA zur Förderung heimischer Wirtschaft?

Die Grünen gehen noch weiter. Sie sehen die SDGs nicht nur als "gemeinsame Grundlage, die Ursachen von Armut, extremer Ungleichheit sowie Umweltzerstörung und Klimawandel zu bekämpfen", sondern fordern Aktion. In Österreich gebe es -anders als in anderen Staaten -keinen konkreten Umsetzungsplan und kein Budget dafür. Und sie postulieren: "Für eine nachhaltige Entwicklung und erfolgreiche Friedenspolitik ist zudem eine stärkere Einbindung von Frauen in allen Bereichen der Außen-, Sicherheits-und Entwicklungspolitik unabdingbar".

Die ÖVP geht auf die SDGs nicht ein. Sie sieht die Entwicklungspolitik nicht zuletzt als Instrument zur Förderung heimischer Wirtschaft: "Ziel der Entwicklungszusammenarbeit ist es, Menschen ein selbstbestimmtes Leben in ihren Heimatländern und damit Perspektiven vor Ort zu bieten. Das bedeutet einerseits die Schaffung von Arbeitsplätzen, um es Menschen zu ermöglichen, sich selbst und ihre Familien erhalten zu können. Hierfür ist die Wirtschaft ein maßgeblicher Partner, wodurch gleichzeitig für österreichische Unternehmen Chancen in neuen Märkten eröffnet werden." Entwicklungspolitik im Dienste der heimischen Privatwirtschaft also. Auch die EU solle "die eigenen Interessen viel stärker international verfolgen und Außen-und Handelspolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit viel enger miteinander verschränken".

SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS sehen sich dem Ziel verpflichtet, die EZA auf 0,7 Prozent des BIP anzuheben. Die ÖVP verspricht zunächst nahezu eine Verdopplung der bilateralen Leistungen auf 155 Millionen Euro, bleibt aber sonst unverbindlich. Die SPÖ will das Ziel gesetzlich verankern, die Grünen fordern -seit vielen Jahren vergeblich - einen konkreten Stufenplan.

Die SPÖ will im Übrigen das Ressort EZA aus dem Außenministerium herauslösen und dem Bundeskanzleramt unterstellen: "Eine neue, kohärente Gesamtstrategie soll sicherstellen, dass EZA wirklich dort ankommt, wo sie gebraucht wird, und eine entsprechende Steuerung erfährt. Dazu sollen auch die Schwerpunktländer überarbeitet werden." Schwerpunktländer sind derzeit neben dem Himalaya-Königreich Bhutan und einigen besonders bedürftigen afrikanischen Ländern die wirtschaftlich interessanten Kaukasusstaaten. Die NEOS wünschen sich ein eigenes Staatssekretariat im Außenministerium.

Für die ÖVP unter Sebastian Kurz soll EZA auch als Druckmittel in der Abschiebungspolitik eingesetzt werden. "Wenn ein Drittstaat abgelehnte Asylwerberinnen und Asylwerber nicht zurücknimmt oder kooperiert, sollen entsprechend auch Zahlungen wie beispielsweise EZA-Mittel an diese Staaten gekürzt oder gestoppt werden". Annelies Vilim, Geschäftsführerin der GV, findet diese Idee "nicht fertig gedacht: An einer solchen Vorgangsweise leiden zu allererst die Ärmsten der Armen, an die sich Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe ja richten. Damit wird das Hauptziel der Entwicklungspolitik konterkariert. Eine solche Maßnahme trifft schlicht die Falschen."

SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS sehen sich dem Ziel verpflichtet, die EZA auf 0,7 Prozent des BIP anzuheben. Die ÖVP verspricht eine Verdopplung der Leistungen, bleibt aber sonst unverbindlich.

Fluchtbewegungen verhindern?

Alle Parteien stellen einen Zusammenhang zwischen Fluchtbewegungen und Entwicklung her und wollen sich dafür einsetzen, dass die Menschen in ihren Ländern bleiben können. Die Liste Kurz bleibt wenig konkret, wenn sie konstatiert, "Wo Menschen vor Ort Perspektiven haben, sinkt automatisch der Migrationsdruck nach Europa", aber keine spezifischen Maßnahmen vorsieht. Grundsätzlich geht es Christian Kerns Plan A an, wo es heißt: "Geld allein ist zu wenig, um Ungleichheit auf der Welt zu bekämpfen. Zu groß sind die Effekte z. B. von Handelsabkommen auf die Entwicklungschancen. Wir wollen daher die österreichische Exportförderung daraufhin überprüfen, ob sie menschenrechtlichen und entwicklungspolitischen Standards genügt. Gleiches erwarten wir von der Europäischen Union, die durch ihre Handelspolitik lokale Märkte ruiniert, indem sie hoch subventionierte Waren exportiert."

Noch weiter gehen die Grünen, wenn sie die Belastung der europäischen Länder durch Flüchtlinge relativieren: "Nur wenn es gelingt, engagiert und mit entsprechenden Ressourcen die Ursachen für Kriege und Katastrophen zu bekämpfen, können große Fluchtbewegungen verhindert werden. Menschen, die von humanitären Krisen betroffen sind, haben ein Recht auf Hilfe. Vor allem die ärmsten Regionen der Welt, die Länder Afrikas, nehmen die meisten Flüchtlinge weltweit auf und drohen, unter dieser Last zusammenzubrechen." Und sie sprechen die Strukturen an: "Die UN-Hilfsorganisationen bekommen meist nur einen Bruchteil der benötigten Hilfe ausgezahlt. Wer hier nicht in nachhaltige und demokratische Entwicklungen investiert, sondern weiter durch ungerechte Handelsbeziehungen und Waffenlieferungen an Kriegsparteien profitieren will, schadet letztlich allen." Sie fordern gerechte Handelsbeziehungen "statt eines völlig ungezügelten globalen Handels".

Annelies Vilim ist gespannt auf die Rückmeldungen der Parteien. Sie erwartet sich einen "Stufenplan zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels", Armutsbekämpfung als oberstes Ziel der Entwicklungspolitik, Wahrung der Menschenrechte und eine auf Entwicklungsziele abgestimmte Politik".

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