Zum Ritual verkommen

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Die Johannesburg-Konferenz, die größte ihrer Art, ist vor einer Woche zu Ende gegangen. Ein Rückblick und eine Analyse.

Der Massenansturm auf Johannesburg gehört der Vergangenheit an: Letzten Mittwoch ist die größte UNO-Konferenz aller Zeiten, der Weltgipfel zur Nachhaltigen Entwickung, an dem mehr als 40.000 Delegierte aus 191 Ländern sowie rund 100 Staats- und Regierungschefs teilgenommen hatten, zu Ende gegangen. Zehn Jahre nach der Konferenz von Rio - sie hatte Nachhaltigkeit, also die Bewahrung der menschlichen und natürlichen Substanz, erstmals als Ziel internationaler Wirtschaftspolitik festgehalten - sollten nun in der südafrikanischen Hauptstadt konkrete Schritte formuliert werden, dieses Anliegen umzusetzen.

Und das Ergebnis dieser Bemühungen? Ein Aktionsplan, 65 Seiten lang mit 152 Punkten, während seiner Formulierung heftig umkämpft - letztlich aber nur eine Liste recht vager Vereinbarungen:

* Bis zum Jahr 2010 soll die derzeitige Geschwindigkeit des Artensterbens "deutlich reduziert" werden.

"Die negativen Auswirkungen von Chemikalien auf Mensch und Natur sollen bis zum Jahr 2020 minimiert werden.

* Die Fischbestände dürfen nicht überfischt werden. Geschädigte Bestände sollen sich bis 2015 erholt haben. Zusatz: Wo dies möglich ist.

* Umweltschädliche Subventionen sollen abgebaut werden - ohne Zeitvorgabe.

* Internationale Umweltabkommen werden den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) gleichgestellt.

* Der Verlust natürlicher Ressourcen (beispielsweise Seen und Wälder) soll "so bald wie möglich" gestoppt werden.

* Bis 2015 soll der Anteil der Menschen ohne Zugang zu Kanalisation und zu sauberem Trinkwasser halbiert werden.

* Die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen soll bis 2015 reduziert und ein freiwilliger Solidaritätsfonds eingerichtet werden. Eine Einigung auf die schon in Rio für das Jahr 2000 angepeilte Höhe der Entwicklungshilfe von 0,7 Prozent kam nicht zustande. Initiativen zur Entschuldung der Dritten Welt sucht man im Text vergebens.

Total nichtssagend

Wer diese Ergebnisse unvoreingenommen betrachtet, erkennt, dass sie äußerst unverbindlich sind. Nirgends ein Ansatz zu konkreter Umsetzung. Dementsprechend kritisch fallen die Urteile der NGOs, die sich für Umwelt und Entwicklung einsetzen, bei der Bewertung des Monster-Treffens aus: Die Politische Deklaration sei "total verwässert und nichtssagend" stellte Gerald Dick, Sprecher des Öko-Büros, fest und Eva Glawischnig von den Grünen: "Jetzt droht ein verlorenes Jahrzehnt." Deftiger hörte man es aus dem Mund von Ricardo Navarra, dem Präsidenten von "Friends of the Earth": "Dieser Gipfel ist ein Verbrechen." Streckenweise habe die Konferenz einer Tagung der Welthandelsorganisation geglichen, kritisierte der australisiche Grün-Abgeordnete Bob Brown.

Alles anderes als enthusiastisch war auch, was Außenministerin Benita Ferrero-Waldner zum Besten gab: Das Ergebnis sei "nicht herausragend". Aber, so die Pflichtübung der Politikerin: "Es ist ein Etappensieg, eine solide Basis weiterzugehen." Auch Deutschlands Umweltminister Jürgen Trittin gelang es, dem Geschehen etwas abzugewinnen: Dass Kanada angekündigt habe, das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren, sei "ein großer Schritt nach vorne."

Zufriedenheit strahlte nach der Konferenz jedenfalls Kofi Annan aus: "Ich bin zufrieden. Natürlich hat man nicht alles erreicht, aber ich glaube, auf politischer Ebene (...) gibt es ein gewisses Engagement, einen Impuls, den man unterstützen wird müssen." Aber was hätte er als Veranstalter auch anderes sagen sollen?

Wie einst in Rio

Wer in Berichten über die Konferenz von Rio nachliest, erkennt, dass sich die Bilder ähneln: Auch damals eine Monster-Konferenz mit nächtelange Debatten, um vage Formulierungen zu beschließen. Auch damals möglichst große Unverbindlichkeit, wenn es um die Finanzen ging (das angepeilte Ziel von 0,7 Prozent BNP Entwicklungshilfe bis 2000 wurde dementsprechend auch weit verfehlt).

Allerdings verpflichteten sich EU und Japan in Rio, ihre CO2-Emissionen bis 2000 auf den Stand von 1990 zu reduzieren. Was jedoch aus diesen Versprechungen geworden ist, lässt sich in einschlägigen Statistiken nachlesen.

Auch in Rio standen die USA auf der Bremse. Sie verhinderten etwa einen Vertrag zum Schutz der Artenvielfalt, weil dieser die Biotechnologie behindere. Und Präsident George Bush (damals sen.) erklärte den Delegierten, Wirtschaftswachstum sei der "Antrieb des Wandels und der Freund der Umwelt." Und auch 1992 machten die Umwelt-Organisationen ihrem Unmut über das Ergebnis der Konferenz Luft. Der Erdgipfel habe die Umwelt an den Meistbietenden verkauft, verkündete etwa "Greenpeace" und entrollte ein Riesentransparent am Zuckerhut.

Spätestens jetzt in Johannesburg wird es unübersehbar: Die Riesenkonferenzen erstarren zum Ritual mit übertriebenen Erwartungen im Vorfeld, mit viel Lobbying, nächtelangen Kämpfen um Nichtigkeiten, viel Bla-Bla während des Geschehens - und selektiver Nutzung der ausreichend vagen Beschlüsse.

Zum Ritual gehören auch wohlklingende Worte in den Präambeln. In Johannesburg liest sich das etwa so:

* "Wir, die Repräsentanten der Völker der Erde (...) erneuern unsere Verpflichtung zur nachhaltigen Entwicklung.

* Wir verpflichten uns, eine humane, gerechte, fürsorgliche Weltgemeinschaft zu bauen, die vor allem die menschliche Würde für alle berücksichtigt.

* Wir gehen von einer gemeinsamen Verantwortung für die Grundpfeiler der nachhaltigen Entwicklung aus (...)

* Wir verpflichten uns, zusammen zu handeln bei dem gemeinsamen Ziel, unseren Planeten zu retten, die menschliche Entwicklung zu fördern sowie weltweiten Wohlstand und Frieden zu erreichen."

Geradezu ergreifend dieser Sinn für Verantwortung. Übertroffen wird der Tonfall noch bei den Wortmeldungen mancher Politiker. Besonders pathetisch Frankreichs Staatschef Jacques Chirac im Plenum: "Unser Haus brennt und wir schauen anderswo hin. Die verstümmelte, überausgebeutete Natur vermag sich nicht mehr zu regenerieren und wir weigern uns, dies anzuerkennen. Die Menschheit leidet. (...) Es ist an der Zeit, die Augen zu öffnen."

Bedenkt man, welche Positionen Frankreich etwa in den Fragen der Energie- und Agrarpolitik einnimmt, wird dieser Missbrauch großer Worte zu einem wirklichen Ärgernis. Als "Festival der Heuchelei", bezeichnete ein Kommentar in der Zeit das Geschehen in und rund um die Konferenz.

Verständlich, dass nach Johannesburg die Zahl der Kritiker an den UNO-Monster-Veranstaltungen stark zugenommen hat. Auf Weltebene kann man sich eben auf schöne Worte, aber nicht auf Grundregeln für die Umwelt- und Sozialpolitik einigen. Dazu sind die Interessen, die Machtverhältnisse und Lebensumstände der Beteiligten zu unterschiedlich.

Für die Erhaltung der menschlichen und natürlichen Substanz haben nun einmal weiterhin die Staaten zu sorgen. Politiker, die ihre Säumigkeit in diesen Bereichen mit dem Hinweis auf den notwendigen internationalen Gleichschritt schönzureden versuchen, wird man in Zukunft das Scheitern ihrer Bemühungen bei den Großkonferenzen deutlich entgegenzuhalten haben.

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