Gedämpfte AUSSICHTEN

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Wie sollen ohne verpflichtenden Klimavertrag Umweltschutz und Nachhaltigkeit gedacht und Lasten verteilt werden? Ökonominnen im Gespräch.

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Wie sollen ohne verpflichtenden Klimavertrag Umweltschutz und Nachhaltigkeit gedacht und Lasten verteilt werden? Ökonominnen im Gespräch.

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Ist der Klimaschutz auf globaler Ebene ein gescheitertes Projekt? In den Jahren nach dem Zusammenbruch der Kyoto-Architektur auf dem Gipfel von Kopenhagen 2009 konnte man beinahe den Eindruck haben. Nun aber, so entnimmt man Artikeln und Vorbereitungsdokumenten des 21. Gipfeltreffens in Paris, könnte es wieder einen Schritt in Richtung gemeinsamer Politik geben. Und tatsächlich könnte es eine neue Struktur der globalen Klimapolitik geben. Das ist jedenfalls der Schluss, den das Wegener Center der Universität Graz aus den Vorbereitungen der COP 21 zieht. Diese neue Art der Kontrolle würde wie folgt aussehen: Das Prinzip der verpflichtenden Zusagen, nach der die Staaten für die Reduktion von Treibhausgasemissionen sorgen, würde durch freiwillige Klimaschutzzusagen der Staaten ersetzt werden. Der Pariser Vertrag, so er denn zustande kommt, hätte keinen völkerrechtlich verbindlichen Charakter, wie ihn noch das Kyotoprotokoll hatte. Weiters könnten die Staaten ihre Art und Ausgestaltung der getroffenen Zusagen frei wählen.. Die Zusagen, so die Experten des Wegener-Centers, "reichen bei weitem nicht aus, einen als katastrophal eingestuften Klimawandel abzuwenden". Die Klimaschutzzusagen der Staaten seien dann dem innenpolitischen Interessenskonflikten der Staaten ausgesetzt und sehr verletzbar. Zu den Erfolgsaussichten von Paris und zu ihren Forschungen zum Thema Umweltbelastung und soziale Ungleichheit hat die FURCHE mit zwei Ökonominnen von der WU Wien gesprochen. (tan)

DIE FURCHE: Was erwarten Sie sich vom Klimagipfel in Paris?

Sigrid Stagl: Nach 20 Klimagipfeln sind die Erwartungen bezüglich der Aussichten internationaler Verhandlungen gedämpft. Doch gibt es Anzeichen, dass es ein Agreement geben wird. Die Frage ist nur, wie stringent das sein wird.

Klara Zwickl: Eine Übereinkunft ist zwar wahrscheinlich, vermutlich wird es allerdings nicht besonders weitreichend sein. Die Klimakonferenz ist ein wichtiges Event, aber sie ist nicht die einzige Möglichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen. Wichtig wäre es, dass die einzelnen Länder und Regionen beginnen, lokale Vorteile zu berücksichtigen, die mit einer Reduktion fossiler Energieträger einhergehen, wie zum Bespiel die Verbesserung der Luftqualität. Das würde auch das Bekenntnis zu einer strikteren Klimapolitik verstärken.

DIE FURCHE: Die internationale Forschung denkt nun aber in großen Maßstäben, nach Schlagworten wie: "Environmental Change and Policy","Population, Human Capital and Policy", und "Globalization and Social Policy". Lassen sich Ergebnisse und erworbene Kompetenzen denn auf kleine Regionen umlegen?

Stagl: Klimawandel ist ein globales Problem. Die meisten Emissionen, die hier anfallen, wirken weltweit und Emissionen, die an einem anderen Erdteil anfallen, sind auch hier spürbar. Bei Emissionen -wie SO2 die lokal wirken, ist die Verantwortung leichter zurechenbar. Globale Probleme sind komplexer.

Zwickl: Umweltgefahren sind sehr ungleich verteilt. Leider gibt es in Europa noch wenig Forschung dazu, weil man bis vor kurzem wenig Daten zur Verfügung hatte, um sich regional disaggregierte, also aufgeschlüsselte, Umweltgefahren anzuschauen und sie mit Bevölkerungs-und Verteilungsdaten zusammenzuführen.

DIE FURCHE: In den USA werden seit den 1980er-Jahren die Fragen nach der sozialen und räumlichen Ungleichverteilung von Umweltbelastungen unter "Environmental Justice" und "Ecological Justice" diskutiert. Wie ist dazu der Wissensstand in Österreich?

Zwickl: In Österreich ist der Wissenstand recht dünn, weil es einerseits bis vor Kurzem kaum geeignete Daten, und andererseits wenig politisches Interesse am Bereich Umweltgerechtigkeit gab. In den USA ging beides einher: Die Environmental Justice-Bewegung hat argumentiert, dass alle Leute ein Recht haben zu wissen, welche Emissionen in ihrer Nachbarschaft freigesetzt werden. Dadurch haben sie die Daten erkämpft, die Forschung im Bereich Umweltgerechtigkeit ermöglichte. Die Resultate zeigten, wie krass die Ungleichverteilung in diesem Bereich ist, und das stärkte wiederum die Environmental Justice-Bewegung. Etwas Ähnliches hat es in Europa kaum gegeben.

DIE FURCHE: Wie sind dazu also die Perspektiven in Europa?

Zwickl: Seit 2001 gibt es für Europa vergleichbare Datensätze zu Emissionen auf Betriebsebene. Seit 2007 werden diese Daten jährlich erhoben. Dabei sind alle europäischen Betriebe mit Emissionen über einem bestimmten Schwellenwert verpflichtet, genaue Aufzeichnungen ihrer Emissionen zu führen, die dann gesammelt und öffentlich verfügbar gemacht werden. Leider werden diese Aufzeichnungen recht wenig überwacht, bei genauer Betrachtung findet man grobe Fehler, aber es ist eine Grundlage.

DIE FURCHE: Welche Faktoren lassen sich aus den Daten auslesen und wie kann man damit arbeiten?

Zwickl: Für Europa kann man hauptsächlich Ungleichheiten auf regionaler Ebene analysieren, da wir keine geografisch feingliedrigeren sozioökonomischen Daten zur Verfügung haben. Das führt zu anderen Fragestellungen als in den USA. Man kann nicht wirklich schauen, welche Menschen betroffen sind. Die regionale Ebene ist aber trotzdem interessant, weil sich die EU zum Ziel gesetzt hat, regionale Ungleichheiten zu reduzieren; in allen Dimensionen. Da ist Umweltungleichheit ein Faktor, den man in die Debatte mit einbringen kann.

DIE FURCHE: Muss die Lösung nun also lokal oder global ansetzen?

Stagl: Das hängt von der Art des Problems ab. Bei international wirkenden Umweltproblemen ist eine internationale kooperative Vereinbarung auf jeden Fall hilfreich. Aber das Warten auf eine internationale Vereinbarung sollte auch nicht als Ausrede verwendet werden. Wenn man sich einigen kann und im internationalen Gleichklang agiert, ist es wirksamer. Nationale und lokale Handlungsspielräume werden bei weitem nicht ausgenützt.

Zwickl: Globale und lokale Umweltprobleme gehen oft Hand in Hand. Maßnahmen, die das Verbrennen fossiler Energieträger reduzieren, bekämpfen einerseits den Klimawandel, der ein globales Problem ist, da die Klimakonsequenzen von Treibhausgasen gleich sind unabhängig davon, wo sie freigesetzt werden. Aber es entstehen dabei auch Feinstaub, Schwefeloxide und Stickstoffoxide, die sehr wohl lokale Auswirkungen haben.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielt Ungleichheit in der österreichischen Umweltpolitik?

Stagl: In Österreich hat Ungleichheit mit Umwelt schon lange zusammengespielt, und zwar auf eine unhilfreiche Weise: Jedes Mal wenn über Ökosteuern diskutiert wurde, gestand man ein, dass es eine Entlastung des Produktionsfaktors Arbeit brauche und man den Produktionsfaktor Umwelt teurer machen müsse. Jenes klassische Prinzip wurde dann immer wieder aus dem Budgetvorschlag rausgeschmissen, meist mit der Begründung - ich würde fast sagen: Ausrede - dass es regressive Wirkung haben würde, wenn Energiepreise steigen. Das wirkt natürlich so, denn arme Haushalte geben einen größeren Teil ihres Einkommens für Energie aus, aber man könnte da schon auch gegensteuern. Insofern hat soziale, ökonomische Ungleichheit viel mit Umwelt zu tun.

DIE FURCHE: Die Entscheidung, die Lebensweise auf Gesundheit und Nachhaltigkeit auszurichten, stellt sich für viele Menschen gar nicht. Welche Rolle spielt hier das Bewusstsein und die Bildung?

Stagl: Menschen, die besser gebildet sind, wissen besser über Umweltprobleme Bescheid. Trotzdem haben reichere Haushalte tendenziell einen größeren ökologischen Fußabdruck, denn sie haben meist auch höhere Einkommen und damit mehr Konsummöglichkeiten. Sie kaufen zwar grünere und gesündere Produkte, aber mehr davon.

Zwickl: Auch bei kollektivem Engagement gegen Umweltzerstörung auf politischer Ebene spielt Bildung eine Rolle. Gegenden mit unterdurchschnittlichem Bildungsniveau sind oft ganz besonders betroffen von neuen Umweltgefahren. Für die USA weiß man schon seit Langem, dass nicht nur arme Leute in verschmutzte Gebiete ziehen, weil es dort günstiger ist, sondern auch, dass sich die giftigsten Betriebe gerade in jenen Gegenden ansiedeln, wo das Bildungsniveau niedrig ist, weil sie dort weniger Widerstand erwarten. Eine fairere Verteilung von Bildung kann also auch zu mehr Umweltgerechtigkeit führen.

DIE FURCHE: Wie ist es speziell um das Wissen über Umweltprobleme in Österreich bestellt?

Stagl: Das Niveau ist relativ hoch, wenn auch nicht präzise, sondern oft in diffuser Form. Leider reicht das nicht aus, um Entscheidungen umweltfreundlicher zu treffen. Zwar liegt Verantwortung beim Einzelnen und auch Handlungsspielräume sollten genutzt werden, doch viele fühlen sich überfordert, weil Infrastrukturen oft in eine nicht-nachhaltige Richtung motivieren. Solange das Straßennetz ausgebaut wird und Flüge nach Barcelona 39 Euro kosten, während die Zugreise nicht nur fünfmal so lange dauert, sondern mitunter auch fünfmal so teuer kommt, wird dem Einzelnen viel abverlangt.

Zwickl: Studien belegen, dass umweltschädigendes Handeln nicht durch mehr Wissen verändert werden kann. Die Verantwortung dem Einzelnen umzuhängen, reicht nicht. Zusätzlich dazu -muss ich als Ökonomin betonen -sollten die relativen Preise geändert werden. Eine Kohlenstoffsteuer könnte schon etwas bewirken. Man muss auch auf finanzieller Seite die Anreize anders setzen.

DIE FURCHE: Als Querschnittsthema betrifft Umweltgerechtigkeit viele unterschiedliche politische Bereiche. Wie funktioniert die Vernetzung?

Stagl: Mehr Zusammenarbeit ist auf alle Fälle notwendig. Probleme und Lösungswege sind miteinander verschränkt. Wenn man Gerechtigkeitsfragen gleich mitadressieren kann, kann man mehrere Stakeholders gleichzeitig begeistern. Sowohl in der Akademia als auch im politischen Bereich ist das leider noch sehr aufgespalten. Sozialpolitische Anliegen konkurrieren mit Umweltanliegen um die knappen öffentlichen Budgets. Solange es in unterschiedlichen Ministerien geparkt ist, wird es ein Gegeneinander sein.

DIE FURCHE: Die Umweltproblematik zieht besonders in wertbezogenen Debatten zunehmend Aufmerksamkeit auf sich. Wie viel politische Vereinnahmung ist notwendig?

Stagl: Natürlich ist mehr Aufmerksamkeit für Umweltprobleme in den politischen Prozessen wichtig und es gibt auch Anzeichen für eine Entwicklung in diese Richtung. Schweden und Deutschland machen Energiepolitik, die umweltfreundlicher ist. Auch Unternehmen merken die Auswirkungen von Umweltgesetzen. Gegen den US-amerikanischen Mineralölkonzern Exxon Mobile wurde kürzlich ein Gerichtsverfahren eingeleitet, um zu untersuchen, ob die Öffentlichkeit durch gesponserte Studien in Bezug auf Klimawandel irregeführt wurde und Investoren nicht ausreichend über Risiken informiert wurden. Oder das Beispiel Volkswagen, die Emissionsrichtlinien nicht einhält und Milliarden rückstellen muss. Da wird umweltschädigende Produktion für wichtige Akteure erfolgswirksam.

DIE FURCHE: Da kommt mit der Umweltgerechtigkeit das Umweltrecht zu tragen.

Stagl: Genau. Innerhalb des Governanceprozesses sind durch Lobbying-Prozesse und Interaktionen in der politischen Arena alle Akteure wichtig, nicht nur die Politik, die auf die anderen Akteure reagiert. Während auf Unternehmensebene Veränderung absehbar ist, beschränkt sich auf politischer Ebene noch immer recht viel auf Rhetorik. Zitate, dass man deutliche Veränderung brauche, findet man von allen bedeutenden Politikern, doch auf die transformativ wirkenden Maßnahmen und den Umbau der sozialen Infrastruktur warten wir noch.

DIE FURCHE: Besteht durch die Lippenbekenntnisse nicht die Gefahr einer inflationären Entwertung wie bei der "Nachhaltigkeit"?

Stagl: Die Problemlagen sind so prekär, dass es dringend Aufmerksamkeit braucht. Nachhaltigkeit ist keinesfalls überholt, ganz im Gegenteil. Die Unschärfe des Begriffs hat auch hilfreich gewirkt, weil damit Leute zusammengebracht wurden, die sonst vielleicht nicht zusammengesessen wären. Dass der Begriff vage ist, bedeutet aber auch, dass ihn sich viele auf die Fahnen schreiben und er damit fast nichts mehr zählt. Die Stoßrichtung ist allen Akteuren aber hoffentlich klar: Die empirisch belegte Problemlage zeigt, dass es nicht um marginale Veränderungen geht. Es braucht grundlegende Transformationen: Reduktion von Ungleichheit und Verbleiben innerhalb der biophysischen Grenzen - wenn man solche Grundprinzipien verfolgt, dann ist schon viel erreicht.

DIE DISKUTANTINNEN

Sigrid Stagl

Professorin für Umweltökonomie und -politik am Department für Sozioökonomie der WU, Schwerpunkt: Nachhaltiges Arbeiten, Ökologische Makroökonomie.

Klara Zwickl

Sie ist Postdoc am Dept. für Sozioökonomie der WU. Sie forscht zu ökonom. und sozialer Ungleichheit und in diesem Zusammenhang zu Ungleichheiten am Arbeitsmarkt.

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