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ABTREIBUNG durch die Hintertür

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Vom 5. bis zum 13. September findet in Kairo die nächste Weltbevölkerungskonferenz statt. Das für diesen Anlaß vorbereitete UNO-Dokument wird vor allem von der Katholischen Kirche heftig kritisiert.

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Vom 5. bis zum 13. September findet in Kairo die nächste Weltbevölkerungskonferenz statt. Das für diesen Anlaß vorbereitete UNO-Dokument wird vor allem von der Katholischen Kirche heftig kritisiert.

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Der Heilige Stuhl kann keine Auffassung von „Fortpflanzungsrechten“ unterstützen, die die Abtreibung als angemessene Art der Familienplanung oder die Vorstellung von einem international anerkannten Grundrecht zur Abtreibung einschließen würden“: So Bischof Diarmuid Martin, Leiter der Delegation des Heiligen Stuhls bei der New Yorker Vorbereitungskonferenz, in einer Erklärung.

Und er fährt fort: „Ebenso findet der Heilige Stuhl es nicht annehmbar, daß in dem Dokument fortlaufend Familienplanung und Empfängnisverhütung als gleichbedeutende Begriffe verwendet werden. Das wird noch unterstrichen durch die Tatsache, daß in dem Entwurf zum Schlußdokument jeder Hinweis auf natürliche Familienplanung fehlt.“

Diese Sichtweise ist der Hintergrund für die zahlreichen Äußerungen von Papst Johannes Paul II. zur bevorstehenden Konferenz in Kairo. Eindringlich wie noch nie hat der Papst vor der Annahme dieses Vorbereitungsdokuments gewarnt und sich in persönlichen Briefen an alle Staatsoberhäupter gewendet, um seine Besorgnis zu äußern.

Kritiker des Papstes haben keinerlei Verständnis für diese „Kampagne“ der Kirche. Der Vatikan polemisiere „gegen Dinge, die gar nicht im Entwurf des Aktionsprogramms stehen,“ schreibt etwa die FAZ (vom 2. August 1994). Und: „Es dürfte denjenigen, die an der Formulierung des Aktionsprogramms mitgewirkt haben, nicht schwerfallen, dem Vatikan, nachzuweisen, daß man dort das Papier offensichtlich nicht sorgfältig genug studiert hat.“

Was stimmt nun? Zunächst ist festzuhalten: Rund 90 Prozent des Vorbereitungspapiers sind nicht umstritten. Die Auseinandersetzungen konzentrieren sich im wesentlichen auf bestimmte Formulierungen in Kapitel sieben.

Abschnitt 7.1 definiert die „reproduktive Gesundheit“ als Zustand vollständigen, physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens in allem, was mit dem System der Reproduktion, seinen Funktionen und Prozessen zu tun hat. „Reproduktive Gesundheit bedeutet daher, daß die Menschen imstande sind, ein befriedigendes und sicheres Sexualleben zu führen und frei darüber entscheiden können, ob, wann und wie sie Nachkommen haben. Miteingeschlossen ist das Recht für Männer und Frauen entsprechend informiert zu werden, und Zugang zu sicheren, wirksamen, erschwinglichen und akzeptablen Methoden der Fruchtbarkeitskontrolle ihrer Wahl zu haben…“

SEXUELLE RECHTE

Diese Definition ist dem Gesundheitsbegriff der WHO (Weltgesundheitsorganisation) nachempfunden. Texte der WHO, die bei der Vorbereitungskonferenz zirkulierten, zählten allerdings zu den Methoden der Kontrolle auch die Abtreibung. Versuche des Vatikans, anstelle des Begriffs Fruchtbarkeitskontrolle Empfängnisverhütung zu verwenden, scheiterten nicht zuletzt, weil einige Delegationen die Einbeziehung der Abtreibung einmahnten.

In Abschnitt 7.2 ist von sexuellen und Reproduktionsrechten die Rede. Hier wird das Recht festgehalten, die Zahl der Kinder frei von äußerem Druck und nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Das ist an sich zu begrüßen. Allerdings enthält auch dieser Absatz Fußangeln. Er nimmt Bezug auf die „Sicherheit der Person und die physische Integrität des Körpers“. Genau diese Formulierung diente aber schon bisher bei höchstgerichtlichen Entscheidungen in einigen Ländern dazu, die Abtreibung zu liberalisieren.

Außerdem werden Reproduktionsrechte nicht nur Paaren, sondern Einzelpersonen zugesprochen. Damit erhält unausgesprochen jeder einzelne ein Recht zugesprochen, sich Nachkommenschaft zufulegen — und den Staaten wird auferlegt, für die entsprechenden Einrichtungen zu sorgen.

Darüberhinaus werden die Staaten dazu verpflichtet, Jugendlichen, ja sogar Kindern („Menschen aller Altersgruppen“) den Zugang zu entsprechenden Einrichtungen (eben auch solchen zur Beendigung von Schwangerschaft) offenstehen, fordert Absatz 7.4. Dies müsse unter Gewährleistung absoluter Vertraulichkeit geschehen. Nirgends wird jedoch auf das Recht der Eltern, über diese Kontaktnahmen informiert zu werden, Bezug genommen. Und so wird stillschweigend auf internationaler Ebene ein von Ehe und Familie abgehobenes Recht auf sexuelle, „folgenlose“ Aktivität festgeschrieben.

Bischof Diarmuid Martin faßt zusammen: „Wenn man den Entwurf zum Schlußdokument liest, kann man den Eindruck gewinnen, es sei gekennzeichnet von jener Zurückhaltung gegenüber einer klaren ethischen Anschauung, wie sie für gewisse Industrieländer charakteristisch ist. Es scheint nicht in Betracht zu ziehen oder nicht ganz zu begreifen, in welchem Ausmaß kulturelle, ethische, spirituelle und religiöse Werte tief in den Traditionen anderer Völker verwurzelt sind, vor allem in Entwicklungsländern.

Daß ein Dokument, das sich mit Grundfragen über die Zukunft der Menschheit beschäftigt, die Untermauerung durch eine klare ethische Anschauung fehlt, ist äußerst besorgniserregend. In solch einem ethischen Vakuum versucht das Dokument Prinzipien aüfzustellen, die manchmal ideologischer Natur, manchmal funktionsorientiert sind. Eine Gesellschaft, eine internationale Gemeinschaft, die auf Prinzipien ohne klare Vorstellungen, ohne philosophische Untermauerung gegründet ist, ist zur Auflösung verurteilt.“

WELTWEITE KRITIK

Der Papst steht mit seiner Kritik jedenfalls nicht allein da. Gegen den Entwurf des Schlußdokuments in Kairo haben sich bisher folgende kirchliche Stellen geäußert: Die US- Bischofskonferenz, die Synode der afrikanischen Bischöfe, die Lateinamerikanische Bischofskonferenz (sie spricht von „kolonialistischen und rassistischen Zügen“, von „Verhütungsimperialismus“), das Präsidium des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen. ..

Auch der argentinische Präsident Carlos Menem hat angeregt, die Staatschefs Lateinamerikas sollten der Kairo-Konferenz gemeinsam ein Dokument vorlegen, das klar Bezug auf den Schutz der Familie nimmt.

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