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Europarat — eine Ranaer scheinung ?

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Vor 30 Jahren ist Österreich dem Europarat beigetreten. Über den Sinn und Zweck dieser Organisation herrschen oft diffuse Ansichten. Wie sieht aber ihre Zukunft aus?

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Vor 30 Jahren ist Österreich dem Europarat beigetreten. Über den Sinn und Zweck dieser Organisation herrschen oft diffuse Ansichten. Wie sieht aber ihre Zukunft aus?

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Der Europarat ist nicht viel mehr oder weniger eine Randerscheinung, wie dies Europa selbst ist. Auch in der jüngsten Krise mußte dies leider wieder festgestellt werden. Wenn man 30 Jahre Mitgliedschaft beim Europarat feiert, dann taucht unwillkürlich die Frage auf, welche Erscheinung denn dieser Europarat am Rande unserer österreichizismen ist. Als vor Wochen der verdiente

Bundesrat Rudolf Schwaiger aus Tirol, Mitglied der österr. Parlamentarischen Delegation in Straßburg (1981-1986), verstarb, konnte man auf seiner Parte als zweitwichtigste Funktion lesen: Europarat Ganz unschuldig war man also der Meinung, die Person müsse sich mit dem Begriff der Institution identifizieren lassen. Dies versinnbildlicht das Phänomen dieser Organisation.

Worauf begründet sich die oft diffuse und unpräzise Handhabung mit dem Europarat, wenn nach den vermächtnishaften Thesen des jüngst verstorbenen letzten österreichischen Generalsekretärs des ER, Franz Karasek, „der Mensch in der europäischen Gesellschaft im Mittelpunkt der Arbeiten des ER steht“, ja es immer „das Ziel des ER gewesen ist, die von ihm vorangetriebenen Bereiche der Zusammenarbeit an den Bedürfnissen und Erwartungen des Bürgers zu orientieren, ja noch weitergehend, die Kriterien seiner Auswahl, der Mensch und die nächste Umgebung, in der er lebt, sind“? Es müssen also die Träger dieser bürgernahen und menschlichen Europapolitik hinter Mauern der Ignoranz und des Nichtwissens versteckt gehalten werden. Oder ist einfach der Apparat für die interparlamentarische und interministerielle Adhäsion nicht gegeben.

Man könnte mit vielen Beispielen aus den letzten 30 Jahren das Gegenteil beweisen, alleine es bleibt die Tatsache bestehen, daß auch heute noch berichtet wird — wie folgend: „Vor einigen Wochen habe ich einen Vortrag vor dem Europarat in Straßburg gehalten, woraufhin beschlossen wurde,-der ständigen europäischen Konferenz auf Gemeindeebene die Idee (einer spezifischen Umweltberatung) vorzulegen und einen Antrag zur Förderung zu stellen, damit sie europaweit eingeführt werden kann.“ (Zit. aus Kurzinterview mit M. Gege, ARGE Umwelt, Gesundheit, Ernährung, Dtsch. Allg. Sonntagsblatt, 20. 4. 86, S. 2.) Die Fehler, die von diesem Zitat ausgehen, zeigen die fehlende Einsicht und Umsicht mit der Praxis des ER.

Kommen wir beispielhaft auf Österreich und den Europarat. Auf Vorschlag von parlamentarischer Seite beginnt das Sekretariat des ER zum Beispiel das Thema „Saurer Regen - Waldsterben“ in einem Bericht aufzubereiten. Im Rahmen der Recherchen in ganz Europa werden Experten zu Seminaren eingeladen, um eine möglichst umfassende Faktensammlung zu erhalten. Selbstverständlich geben diese Fachleute ihre Informationen dem ER; doch hier muß eindeutig die Durchleuchtung der Strukturen dieser Institution beginnen. Wer kann

beschließen, wer hat das Vorschlagsrecht, und kann dann eine europaweite Aktivität mehr als Empfehlungscharakter besitzen? Hier liegt eben die Besonderheit einer Bürokratie, welche auf mehreren internationalen Ebenen f achliche Entscheide nicht in politisch verbindliche Entschlüsse umzuwandeln vermag.

In der Europakonferenz der Gemeinden und Regionen wird beispielsweise der Wüle für die breiteste Behandlung der ökologischen Probleme in den Bergregionen oder die Problematik von Kernkraftwerks-Standorten nahe von Städten aufgeworfen. Eine Entschließung dieser einmaligen Konferenz der Vertreter der europäischen Basis (Gemeinden, Regionen) geht nun über die Treppen der Hierarchie zur Parlamen-

tarischen Versammlung und kann sich nach mühevollen Bewußtseinsprozessen auf die Ebene des Ministerkomitees erheben. Dann liegt alles wieder im nationalen Bereich, bei den Gemeinden und bei den Ministerien, selbstverständlich nicht zu vergessen bei den Parlamenten. Und wenn es kein direktes Verfahren gibt, die Entschließung des ER auf diesen Ebenen zu behandeln in logisch zwingender Folgehandlung europäischer Präferenzen, dann bleibt die Entschließung über die „Naturschutzarbeit in Gemeinden“ etwa, oder die „ökologische Charta der Bergregionen“ in Schreibtischschubladen verwahrt und wird nie zur Aufklärung eines europäischen Bürgers dienen. Sicherlich ist diese negative Charakteristik nur ein Anstoß zur Su-

che nach dem Positiven. „In den über 100 Konventionen, die alle Bereiche des täglichen Lebens betreffen“, wie Karasek einmal sagte, „hat der ER gemeinsame Verpflichtungen geschaffen, die nicht nur die Völker einander näher bringen, sondern auch den einzelnen Menschen von Nutzen sind.

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist die Basis unserer Gesellschaft geworden. Daneben gibt es weitere Abkommen, die alle ihren aktiven Beitrag zur Vereinfachung des Lebens in Europa beigetragen haben. Denken Sie nur an das Europäische Arzneibuch oder die Einführung der sog. .Grünen Karte', oder an die gegenseitige Anerkennung von Schul- u. Studienabschlüssen sowie an die gemeinsamen Ausbildungsnormen für Kranken-

schwestern. Zum Umweltbereich hat die Konvention zum Schutz der wildlebenden Tier- und Pflanzenwelt Modellcharakter.“

Sicherlich muß es die Österreicher interessieren, was in 30 Jahren über 60 Parlamentarier und die österreichischen Experten gemacht haben. Die Erfahrung, die österr. Beamte des ER besitzen, wie etwa der Direktor der Menschenrechtsabteilung, Dr. Peter Leuprecht, könnte öfters im Rahmen unserer regionalen und nationalen Bürokratien zum Ideen-Austausch anregen; dies allerdings mit einer Beteüi-gung der Bevölkerung: von der Sicht des ER im konkreten Fall auch im Herbst dieses Jahres, beim „Rendezvous in Salzburg“ (wie der ER die Sonder-Minister-konferenz für Gemeindeangelegenheiten bezeichnet hat), wobei über die Ausländerfrage in der Gemeindepolitik diskutiert wird. Daß sich aber trotz allem auch die unsichtbaren Ebenen der Diplomatie in Zukunft bestätigen werden, dies zeigt z. B. die Hilfe Österreichs beim Zustandekommen der 4. Gesamteuropäischen Büdungs- und Forschungskonferenz, welche im Oktober des Jahres in Ungarn stattfinden wird.

Der Autor ist Konsulent für Öffentlichkeitsarbeit des Europarates in Österreich.

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