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Christliche Werte für ein neues Europa

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Man kann fragen: Was hat die Kirche mit der EG zu tun? Geht es da nicht vor allem um Fragen der Wirtschaft? In der Tat war die Kirche in der EG-Diskussion bisher überhaupt kein Thema.

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Man kann fragen: Was hat die Kirche mit der EG zu tun? Geht es da nicht vor allem um Fragen der Wirtschaft? In der Tat war die Kirche in der EG-Diskussion bisher überhaupt kein Thema.

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Das zeigt zum Beispiel eine 180 Seiten starke Broschüre, von der Bundesregierung 1992 herausgegeben. Titel: „Das Buch - Europa von A-Z”. (Nebenbei: Früher war „Das Buch” die Bibel). Darin kommen weder „Kirche” noch „Religionsgemeinschaft” als Stichwörter vor, auch „Religionsfreiheit” oder „Kultus” sucht man vergebens. Gerechterweise muß man sagen: Auch die Kirchen haben die EG erst spät entdeckt.

Heute sucht die EG das Gespräch mit den Kirchen. Sie erkennt immer mehr, daß Europa nicht allein auf wirtschaftlicher Basis errichtet werden kann. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, ein praktizierender Katholik, sagte: „Wenn es uns nicht gelingt, Europa in den nächsten zehn Jahren eine Seele, eine Spiritualität zu geben, wird es seine Geburt nicht überleben. Mit juristischem Geschick oder wirtschaftlichem Know-how allein ist Europa zum Scheitern verurteilt.”

Für ihn stellt sich die Frage, was wir künftigen Generationen übermitteln wollen: „Ein Europa, das die Wiege vieler Werte ist und Zeuge einer echten Kultur” oder ein Europa, „dessen einziges Ziel es ist, für einen zweiten Kühlschrank, ein drittes Fernsehgerät und einen Zweitwagen zu sorgen”.

In der Tat geht es in der EG-Diskussion um viele Themen, die auch für die Kirchen von eminenter Bedeutung sind. Einige davon seien hier herausgehoben.

Noch ist in der EG nicht festgelegt, daß der arbeitsfreie Tag unbedingt ein Sonntag sejn muß. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall Prais läßt aufhorchen. Frau Prais war auf ihre Bewerbung um eine Beamtenstelle zu einer schriftlichen Prüfung aller Kandidaten an einem Freitagnachmittag geladen worden. Da sie jüdischen Bekenntnisses ist, bat sie um einen alternativen Prüfungstermin. Dieser wurde ihr versagt. Ihre Klage wurde vom EuGH mit der Begründung abgewiesen, daß der Sabbat ein rein religiöser Feiertag sei und der Beamte auf Einzelinteressen der Bewerber, in diesem Fall ein religiöses, nicht Rücksicht nehmen müsse.

Was bedeutet dieser Entscheid für den Sonntag? Denn von der Wirtschaft her gerät der Sonntag ohnehin immer mehr unter Druck.

Problem Biotechnologie

In keinem anderen Bereich der Technologie weisen die Vorschriften des nationalen Rechtes der einzelnen Mitgliedsstaaten so viele Unterschiede auf wie im Bereich der Biotechnologie. Unsere gesamte Werteskala droht hier in Auflösung zu geraten. Noch in diesem Jahr soll eine europäische Konvention zur Bioethik in Kraft treten. Man erkennt immer deutlicher die Dringlichkeit, einen europäischen „ethischen Raum” zu schaffen. Denn wenn Rechtsvorschriften in einem Land restriktiv sind, in einem anderen aber nicht, wird mit dem Verschwinden der nationalen Grenzen innerhalb Europas dem „medizinischen Tourismus” Tür und Tor geöffnet.

Zum wichtigen Thema „Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zum

Tod” gehört die Einstellung zur Euthanasie. Der dazu 1991 abgegebene Entschließungsantrag des Europa-Parlaments ist das erste offizielle Dokument einer europäischen Instanz, das die freiwillige Euthanasie ausdrücklich zugelassen hat. Auf vielfältige Proteste hin, auch seitens der Katholischen Kirche, wurde die Diskussion in öffentlicher Sitzung zunächst auf unbestimmte Zeit vertagt.

Das Gemeinschaftsrecht kennt noch keinen ausformulierten Grundrechtskatalog. Allerdings hat die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes inzwischen einen Grundrechtsschutz herausgebildet, der sich am jeweils höchsten in einem Mitgliedsstaat geltenden Standard orientiert. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn sich dieses Prinzip durchsetzt und es nicht zu einer Nivellierung auf den geringsten gemeinsamen Nenner kommt.

Erstmalig hat das Europäische Parlament am 16. Februar 1993 einen Entwurf für eine europäische Verfassung vorgelegt. Die in diesem Rahmen wichtige Herausbildung eines Grundrechtskataloges ist für die Kirchen von großem Interesse. Wieviel auch kleine Länder dabei bewirken können, zeigt ein analoges Beispiel aus dem Europarat.

Dort fand eine Abstimmung darüber statt, ob die freie Entscheidung zur Abtreibung ein Grundrecht werden solle. Ein österreichischer Abgeordneter, der sich mit einigen christlichen Abgeordneten zusammentat, beantragte namentliche Abstimmung; dies bedeutete zugleich Zweidrittelmehrheit. 74 Abgeordnete stimmten dafür, 56 dagegen. Obwohl die Mehrheit für das Grundrecht auf Abtreibung war, kam es aufgrund des Abstimmungsmodus nicht zur Aufnahme in den Grundrechtskatalog.

Sozialpolitik f

Da mehrere Mitgliedsstaaten große Mühe haben, die strengen Kriterien für die Währungsunion zu erfüllen, könnten sie versucht sein, in der Sozialpolitik einzusparen. Die Kirche hat auf der Seite der Schwächeren zu stehen; sie wird daher sehr genau beobachten, wie weit die wirtschaftliche von einer sozialen Integration begleitet wird. Europäische Arbeitsund Sozialpolitik wird auch hier an der Katholischen Soziallehre gemessen. Dem Gedanken des solidarischen Teilens kommt große Bedeutung zu.

Wichtige Fragen für die Kirchen sind auch die Landwirtschafts-, die Immigrations-, die Umwelt- und Familienpolitik, ebenso Fragen der Friedenssicherung und der demokratischen Entwicklung der EG-Institutionen. Bei all diesen Fragen sind die Kirchen herausgefordert, christliche Werte einzubringen, über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen und aus ihrem Weltverständnis heraus an einem neuen Europa in Frieden und Gerechtigkeit mitzubauen.

Der Autor ist EG-Beauftragter der Erzdiözese Salzburg, Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz und Rektor des Bildungshauses St. Virgil, Salzburg.

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