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Viele „ob“ und „wie“

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Pompidous Treffen mit Heath fand unlängst in einem Augenblick statt, in dem man sich große Sorgen darüber machte, daß Europa auf dem Weg zur Einheit und zu einer einflußreichen Stellung in der Welt bisher so wenig Fortschritte erzielt hat. Die beiden Staatsmänner, die vor Englands Beitritt zur EG einen sehr wertvollen Kontakt miteinander hergestellt hatten, dürften sich bei ihren Besprechungen stark von dem Gedanken an die Kopenhagener Gipfelkonferenz der EG haben leiten lassen, die Mitte Dezember stattfinden soll und von der man hofft, daß sie den europäischen Beratungen einen neuen Impetus und ein Gefühl der Dringlichkeit geben wird.

Ursprünglich schien es, als würden sich Pompidou und Heath bei ihrem Treffen in Chequers in erster Linie mit Fragen der Wirtschaftsund Währungsreform, mit gemeinsamer Agrarpolitik und Regionalfonds befassen. Jetzt öieht man deutlich, daß die EG doch nicht schon Anfang nächsten Jahres zur zweiten Phase der Wirtschafts- und Währungsunion übergehen kann. Um nur ein Hindernis zu nennen: Englands Wirtschaftsschwierigkeiten schließen wahrscheinlich . die Möglichkeit aus, daß man schon bald zu einem festen Wechselkurs des Pfundes zurückkehrt. Aber bisher haben die Franzosen ihre Zustimmung zur Schaffung eines

Regionalfonds von einem solchen Schritt abhängig gemacht, und dieser Fonds ist wichtig für England als Gegenleistung für die mit schweren Lasten verbundene gemeinsame Agrarpolitik, auf die Frankreich so großen Wert legt, und nicht zuletzt auch deshalb, weil seine Schaffung dem britischen Premierminister bei seinen Bemühungen, die EG-Zugehörigkeit hierzulande populärer zu machen, ohne Zweifel helfen würde.

Der jüngste Nahostkonflikt, die Ölkrise und die augenscheinliche Ohnmacht Europas — von den Differenzen zwischen den USA und ihren Verbündeten während der Nahostkrise ganz zu schweigen — haben dem Problem der europäischen Einheit natürlich eine neue Bedeutung gegeben. Der französische Außenminister Jobert hat beklagt, daß Europa während der Krise als „Unperson“ behandelt worden sei, und die Befürchtung ausgesprochen, es könnte zu einem amerikanisch-russischen Kondominium kommen. Gewiß: auf dem Höhepunkt der Krise ist es den Außenministern der EG-Länder gelungen, sich auf eine Erklärung über den Nahen Osten zu einigen, durch die versucht wurde, im Konflikt zwischen den Arabern und den Israelis einen mittleren Kurs zu steuern und damit Europas Ölversorgung zu sichern. Aber weite Kreise der öffentlichen Meinung in den Ländern der EG haben diese Erklärung als anti-israelisch angesehen und behaupten, sie sei weitgehend durch die nationalen Interessen Frankreichs und Englands diktiert worden. Auch macht man sich gewisse Gedanken darüber, daß die Araber Holland, einem EG-Staat, auch weiter kein öl liefern. Wenn die Idee der europäischen Einheit einen Sinn haben soll, dann braucht man offensichtlich eine europäische Energiepolitik und muß sich mit Holland solidarisch zeigen.

Bundeskanzler Brandt hat dies auch in seiner Rede vor dem Europa-Parlament angedeutet und darin überdies betont, daß man einer Währungs- und Wirtschaftsunion noch vor Ende des Jahres zumindest näherkommen müsse, und daß schneilere Fortschritte in Richtung auf eine souveräne Einheitsregierung erforderlich seien, die in wirtschaftlichen, sozialen, außen-und verteidigungspolitischen Fragen Entscheidungen treffen würde. Aber gleichzeitig betonte der Bundeskanzler mit allem Nachdruck, daß nichts geschehen dürfe, was das Bündnis mit Amerika gefährden könnte.

England ist ebenfalls voll und ganz der Ansicht, daß engstes Zusammenwirken mit Amerika notwendig ist. Frankreich hat stets auf der einen Seite die Notwendigkeit einer amerikanischen Präsenz in Europa anerkannt, auf der andern Seite aber gegenüber den USA auch verschiedentlich eine kritische Einstellung an den Tag gelegt. Wahrscheinlich haben Frankreich und

England größere Vorbehalte als Bundeskanzler Brandt, was den Verzicht auf nationale Souveränität anlangt; und besonders Frankreich neigt dazu, in der Außenpolitik wie in der Verteidigungspolitik eigene Wege zu gehen.

Alle Mitgliedstaaten der EG wünschen, daß Europa eine Eigenpersönlichkeit und damit mehr Einfluß im Weltgeschehen entfalte. Aber es bestehen große Meinungsverschiedenheiten in der Frage, wie und wie bald sich die Einheit Europas herbeiführen läßt. Ohne. Zweifel wäre man allerdings sehr enttäuscht, wenn die europäische Gipfelkonferenz, die jetzt vorbereitet wird, dem Gedanken der europäischen Einheit keinen neuen Impetus gäbe und wenn man sich nicht auf gemeinsame Postionen einigte, die künftigen wirtschaftlichen und politischen Krisen widerstehen könnten.

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