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Sogenannte Balance

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Mit der EG-Erklärung zur Nahostfrage fand eine Politik der europäischen Staatengemeinschaft ihren Höhepunkt, die seit dem Ausbruch des jüngsten arabisch-israelischen Krieges mehr den Eindruck eines ängstlichen Reagierens denn einer zielbewußten Aktion hervorrief. Dies gilt, abgesehen von Frankreich, das in der Resolution ein Einschwenken auf seine von Anfang an proarabische Haltung sehen darf, vor allem für die Bundesrepublik D3utschland.

Dieses durch seine Wirtschaftsmacht in der EG so entscheidende Land hatte versucht, seine in den vergangenen Jahren vor allem durch eine Annäherung an die arabischen Staaten gekennzeichnete Nahostpolitik fortzusetzen. Dies bedeutete ein Hin- und Herlavieren, das schließlich in der Zustimmung zu der wesentliche Forderungen der Araber berücksichtigenden EG-Erklärung en^-dete. Allerdings würde es eine Mißdeutung dieses Schritts bedeuten, wollte man in ihm.nur eine Kapitulation vor arabischen Öl-Boykott-Drohungen sehen.

In der Bundesrepublik fehlten diesmal alle jene massiven und spontanen, ja fast übertriebenen Sympathiebekundungen für Israel, wie sie beim Sechstagekrieg so charakteristisch waren. Eine Unterschriftenaktion wie in Österreich, mit Namen prominenter Politiker, wäre in der Bundesrepublik diesmal schwer vorstellbar gewesen und dies, obwohl in der Vergangenheit die Frage der Wiedergutmachung und der Aussöhnung mit Israel in der Bundesrepublik einen ganz anderen, zentraleren Stellenwert hatte als vergleichsweise in Österreich.

In der Bundesrepublik wurde trotz des Krieges versucht, die Politik der Annäherung an die arabischen Staaten nicht zu stören. Diese bedeutete bereits in Friedenszeiten, angesichts der „besonderen Beziehungen“ der Bundesrepublik zu Israel, einen schwierigen Balanceakt, der in Krisenzeiten kaum durchzuhalten war. Zwar betonte Bundeskanzler Willy Brandt in seiner ersten öffentlichen Erklärung zum Nahostkrieg, daß das Lebensrecht Israels nicht angetastet

wenden dürfe, doch relativierte Außenminister Scheel tfie deutsch-israelischen Beziehungen erheblich, als er bald darauf erklärte, auch zu den Arabern seien die Beziehungen „besonderer Natur“.

Diese Politik der Balance, die zwischen moralischer Verpflichtung gegenüber Israel und wirtschaftlichen Interessen in Arabien hin und her pendelte, fand schließlich in Bonn die unglückliche Bezeichnung „Neutralität“. Vor dem weltpolitischen Hinter-

grund des Nahostkonflikts, der auch eine Konfrontation zwischen USA und UdSSR ist, zeigte schon die Wahl dieses Wortes etliches von der Ungeschicklichkeit, mit der-Bonn in *der Nahastfragfe> agierte. Die Regie '“fung Brandt-Scheel, die bisher mit einiger Überzeugungskraft den Vorwurf, einen bundesdeutschen Neutralismus und damit ein Ausscheren aus dem NATO-Bündnis anzustreben, zurückweisen konnte, wählte für ihre Politik das fatale- Wort „neutral“.

Der, freilich erst nach Beendigung der Kampfhandlungen, erhobene Protest gegen die Verschiffung amerikanischen Kriegsmaterials vi>n deutschen Häfen fügte sich in diese Neu-

tralitätspolitik, machte aber ihre Problematik um so deutlicher. Freilich darf nicht übersehen werden, daß die Deutschen nur mit der für sie nicht untypischen Direktheit das gesagt haben, was andere westeuropäische Staaten auch gedacht und weniger offenkundig auch praktiziert haben.

Nach der EG-Erklärung schließlich wurde von bundesdeutscher Seite darauf verwiesen, daß nicht so sehr die Sorge um die gefüllten Öltanks als vielmehr die Sorge um die Erhaltung des Friedens hinter dieser Resolution und der Zustimmung Bonns zu ihr stehe. Eine pro-israelische Haltung hätte die Friedensbereitschaft der Araber schwinden lassen und die Gefahr einer Fortsetzung der militärischen Auseinandersetzungen wäre wieder akut geworden. Damit wäre ein mögliches direktes Engagement der Sowjetunion heraufbeschworen worden, die es hätte nicht zulassen können, daß die Araber in diesem neuerlichen Waffengang gedemütigt werden. Ein Eingreifen der USA, und damit der militärische Konflikt der Großmächte, wäre dann unausweichlich gewesen.

Vor dieser Argumentationskette erweist sich dann die Haltung der Bundesrepublik als Fortsetzung der Entspannungsbemühungen der Regierung Brandt-Scheel. Der Abbau der Ost-West-Spannung in Nahost schien dabei Bonn, und wie die EG-Erklärung zeigt, nicht nur in dieser Regierung, nur bei Zugeständnissen an die Araber möglich.

Sicher stand neben diesen weltpolitischen Überlegungen auch die Sorge um die Sicherung der Ölversorgung bei der Bonner Haltung im Nahostkonflikt Pate. Das Embargo gegen Holland saß den Verantwortlichen in Bonn und auch in den anderen EG-Staaten in den Knochen. Und dies so sehr, daß sie sich plötzlich zu der Einigkeit zusammenfanden, die vorher nicht zu erreichen war. Es ist dabei für die Situation der EG charakteristisch, daß sie sich schließlich und reichlich spät zu einem Akt der Schwäche eher zusammenfand, als zu einem entschiedenen Auftreten gegen arabische Forderungen, als dies noch Erfeig versprochen hätte.h'Ftir die BQWtäesi*1 publik' besonders belastend' t-kömmt im Unterschied zu den anderen Ländern hinzu, daß sie sich selbst bei Berücksichtigung ihrer entspannungspolitischen Motive, nicht nur der arabischen Erpressung gebeugt hat, sondern dabei auoh ihre besondere Verantwortung gegenüber Israel nicht ernst genug nimmt. Dies führte denn auch nicht nur zu einem Dissensus zwischen Regierung und Opposition in dieser Frage, sondern sogar zum Zwiespalt innerhalb der SPD.

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